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»Seit wann bist du ein Vampir?«, fragte Melissa nach einem entspannten Frühstück mit Adam und Amia – Nicolas und Tara hatten sich noch nicht blicken lassen. Sie lächelte nervös bei dieser Frage, da sie ihr merkwürdig persönlich vorkam.

»Seit etwa zwei Jahren.« Adam verzog das Gesicht, als würde er sich an etwas Schmerzliches erinnern, aber das hielt ihn nicht davon ab Melissas Reaktionen genau zu beobachten.

Diese zögerte kurz, doch schließlich siegte ihre Neugier: »Wie kam es dazu?« Adam kam ihr heute viel unverkrampfter vor und sie hatte ihm seinen Verrat und dass er Nicolas mit ihr hat fortfahren lassen, lange verziehen. Seine warme Art beruhigten ihre angegriffenen Nerven auch dieses Mal.

Adam senkte die Augen. Fast taten Melissa ihre Fragen leid, als er zu erzählen begann.
»Als unsere Mutter gestorben war, stand ich mit einem Mal vollkommen alleine da – ich und ein kleines Kind. Für Amia nicht das Sorgerecht zu übernehmen, kam für mich nicht in Frage, wir hatten doch nur uns gegenseitig. Aber ich hatte keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, oder wie man sich um ein Kind kümmerte. Ich wusste nicht mal, wie ich mich um mich selbst kümmern sollte. Und Amia und ich standen beide unter Schock. Bevor unsere Mutter starb, war sie lange krank gewesen. Wochenlang litt sie starke Schmerzen und wir konnten nichts tun, um ihr zu helfen, außer für sie da zu sein. Amia erträgt es seit dem nicht mehr, ein anderes Wesen leiden zu sehen. Du hast selbst gesehen, wie hysterisch sie wurde, als die Katze sich verletzt hatte.«

Und als Nicolas gedroht hatte, mich zu töten, dachte Melissa, sprach es aber nicht aus.

»Ich war hoffnungslos überfordert mit mir, mit Amia und mit meiner Trauer und letzten Endes habe ich einen unguten Weg eingeschlagen, auf den ich nicht stolz bin.« Adam holte tief Luft und atmete lange aus.

»Was ist geschehen?« Melissa lächelte ihn zaghaft an, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie nicht vorhatte, ihn zu verurteilen.

»Ich habe mich auf die falschen Leute eingelassen. Und irgendwann alles konsumiert, was ich bekommen konnte.« Er richtete den Blick auf den Tisch. »Mein wichtigstes Ziel war es, den Schmerz auszuschalten, um ihn nicht mehr ertragen zu müssen.« Er machte einen langen, tiefen Atemzug. »Am Ende gab es kaum einen Tag, an dem ich nicht irgendetwas einschmiss. Amia habe ich dabei völlig vernachlässigt. Oft ist sie zu mir gekommen, um mir selbstgeschmierte Brote zu bringen, die sie mit größter Sorgfalt zubereitet hatte. Sonst hätte ich das Essen vermutlich komplett vergessen. Dutzende Male brachte sie sich abends alleine ins Bett und erzählte sich Geschichten. Wenn ich völlig verzweifelt war, hat sie meine Hand genommen, an ihre Wange gelegt und gesagt, dass alles gut werden würde. – Sie war damals fünf.«

Melissa wagte es kaum zu atmen. Mit einem derartigen Geständnis hatte sie nicht gerechnet. Sie konnte sich Adam als einen solchen Menschen absolut nicht vorstellen, so vollkommen aus dem Lot geraten. Wie selbstverständlich übernahm er mittlerweile die Verantwortung und Fürsorge für das Kind – und das durchaus kompetent – sodass es unvorstellbar war, dass es mal anders gewesen sein sollte. Wohingegen sie sich bei Amia merkwürdigerweise alles genau so vorstellen konnte, so ein ungewöhnliches, feinsinniges Kind wie sie war.

»Mein Zustand wurde immer schlimmer. Die Leute in der Stadt fingen an zu tuscheln und mir war klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, bis man mir Amia wegnehmen würde. Als ich Nachricht bekam, dass eine Kontrolle für den nächsten Tag anstand, um festzustellen, ob Amia und ich zurechtkamen, geriet ich in Panik. Es war nicht der erste Besuch dieser Art, aber mir war klar, dass es der letzte sein würde. Ich konnte niemanden mehr etwas vormachen. Und ich tat das dümmste, was ich überhaupt hätte machen können – ich dröhnte mich dermaßen zu, dass ich absolut nichts mehr mitbekam. Währenddessen ging Amia alleine in den Wald. Sie musste stundenlang unterwegs gewesen sein. Sie hat meist ein sehr feines Gefühl für die Welt und irgendwie scheint sie Dinge zu spüren, die anderen entgehen. Unter anderem ist sie Meister darin, ungewöhnliche Sachen zu finden, oft gerade dann, wenn man sie am dringendsten braucht – An diesem Tag fand sie Nicolas.«

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt