Behutsam säuberte Tara Melissas Platzwunde, während sie beide am großen Esstisch in Adams Küche saßen. Eine breite Hängelampe baumelte über diesem und tauchte den Raum in warmes Licht. Die Wunde hatte lange aufgehört zu bluten und sich als relativ harmlos herausgestellt, dennoch hätte Tara am liebsten ein großes Pflaster über diese geklebt. Aber da die Stelle sich oberhalb des Haaransatzes befand, nahm sie zu Melissas Erleichterung Abstand von der Idee. Melissa hatte noch immer leichte Kopfschmerzen, doch ansonsten ging es ihr ganz akzeptabel.
Körperlich.»Bist du sicher, dass alles andere in Ordnung ist? Keine weiteren Verletzungen?«
»Ich denke schon. Bis auf ein paar blaue Flecken vielleicht. Und die habe ich allemal verdient.« Melissas Stimme klang kläglich. Sie hatte Tara gebeichtet, dass sie Nicolas Wagen entwendet hatte, jedoch ihre Motivation für diese Tat ausgelassen. In ihrer Erzählung des vergangenen Abends hatte sie weder die Verabredung mit Nicolas, noch ihren Alkoholkonsum erwähnt. Stattdessen behauptete sie, dass ihr langweilig gewesen sei und sie deswegen die Gelegenheit ergriffen hatte, die Autoschlüssel an sich zu nehmen, nachdem sie entdeckte, dass Nicolas Zimmertür unverschlossen war. Diese Version ließ sie nicht unbedingt gut dastehen, aber allemal besser als die Wahrheit. Doch Tara war nicht dumm und sie hegte Zweifel an der Vollständigkeit von Melissas Geschichte.
»Melissa, wenn etwas vorgefallen ist ... wenn Nicolas etwas getan hat, was dich verängstigt oder entsetzt hat, du kannst mir davon erzählen. Ich weiß selbst leider zu gut, wie daneben er sich benehmen kann.«
»Es war nichts. Mir war einfach langweilig und ich war unglaublich dumm.«
Tara zog skeptisch die Augenbrauen hoch.
Niemals würde Melissa ihr von ihrem Essen mit Nicolas erzählen, von dem berauschenden Tanz und wie nah sie ihm gekommen war. – Und zweifelsfrei nicht von ihren Gedanken, die sie sich über Nicolas und Kari gemacht hatte.
Aber Nicolas deswegen schlecht dastehen lassen, durfte sie ebenfalls nicht. Melissa vermochte sich nicht auszumalen, was mit ihr geschehen wäre, wenn er sie von dem widerlichen Kerl nicht befreit hätte. Und außerdem hatte er nicht mit einem Wort ihren Diebstahl seines Wagens erwähnt. Es war ihr ein Rätsel, warum.
»Du scheinst keine sehr hohe Meinung von deinem Bruder zu haben.«
»Doch, tatsächlich habe ich die – aber nicht, was seinen Umgang mit Frauen betrifft. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass er dir kein körperliches Leid zufügen würde, aber das bedeutet nicht, dass er es nicht schafft, dich zur Weißglut zu treiben. Für Nicolas sind Frauen wenig mehr, als ein Zeitvertreib für höchstens ein paar Stunden und vielleicht ein kleiner Snack, um sich dann nie wieder blicken zu lassen. Mit Sicherheit hasst er es, dass er dich nicht wieder loswerden kann. Leider konnte ich dich ... euch nicht begleiten. – Wenn es darum geht, sich anständig zu benehmen, traue ich ihm wirklich nicht. Leider musste ich Adam mit Amias Betreuung helfen.«
Da hatte sie es. Für Nicolas waren Frauen nur Spielzeuge, und sie war so naiv gewesen, sich zu so einem machen zu lassen.
Tara griff nach Melissas Händen, drückte diese sanft und blickte sie eindringlich an. »Also, wenn es noch einen anderen Grund außer dem Unfall gibt, dass du aussiehst, als hättest du ein Gespenst gesehen, dann sag es mir. Nur so kann ich dir helfen.«
Und dann brach es aus Melissa heraus. »Er hat ihn getötet.« Tränen quollen aus ihren Augen, eine schneller als die andere.
Verwirrung zeichnete sich in Taras Gesicht. »Wen getötet?«
»Den Mann, der im anderen Unfallwagen gesessen hatte.«
Taras Augen weiteten sich und sie zerquetschte Melissas Hände jetzt fast. »Nicolas hat einen Menschen getötet, weil er seinen Wagen beschädigt hat?« Offensichtlich gab es auch für Tara Grenzen, die nicht überschritten werden sollten.
»Ja ... nein ... ich weiß nicht«, stammelte Melissa unter Schluchzern. »Ich glaube nicht, dass das der Grund war.«
Tara holte angestrengt Luft und es kostete ihr sichtlich Mühe, die Ruhe zu bewahren. »Dann sag mir jetzt bitte ganz genau, was der Grund war.«
Melissa konnte Tara nicht in die Augen sehen und ihre Stimme wurde merkwürdig kratzig. »Der Mann ... er hat mich bedroht ... und bedrängt. Sehr bedrängt.« Sie schluckte, doch Taras Griff um ihre Hände lockerte sich.
»Er ... ist dir zu nahe gekommen? Oh Melissa, das tut mir so leid. Du musst schreckliche Angst gehabt haben ... Und Nicolas hat das gesehen?«
Melissa nickte kaum wahrnehmbar. »Er hat ihn von mir fortgerissen. Nicolas sah so unglaublich wütend aus. Und seine Augen waren tiefschwarz. Es war so beängstigend.« Melissa zitterte alleine bei der Erinnerung an die bedrohlich über ihr stehende dunkle Gestalt.
»Aber dir hat er nichts getan?«, fragte Tara jetzt betont sachlich.
»Nein«, hauchte Melissa. »Er hat mich nur kurz angesehen und dann hat er sich umgedreht und ist zu dem Fremden gegangen und ...« Melissa konnte es nicht aussprechen. »Ich weiß nicht, was ich jetzt denken soll ... Muss ich Angst haben, dass er mir irgendwann das Gleiche antut?«
Taras Hände hielten Melissas nun völlig sanft und ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund.
»Nein, musst du nicht. So wie es aussieht, gibt es im Moment keinen sichereren Ort für dich als an seiner Seite.«
Fassungslos sah Melissa zu Tara auf. Was sollte sie darauf antworten?
Zum Glück kam in diesem Moment Amia in den Raum geplatzt, nur mit einem gelben Schlafanzug bekleidet, und hüpfte mit ihrer fröhlichen Art zu den beiden Frauen. Ungeachtet ihres tränenverschmierten Gesichtes fiel sie Melissa um den Hals. »Schön, dass du wieder hier bist, ich habe dich vermisst.« Melissa durchströmte augenblicklich ein tröstlich warmes Gefühl und pure Dankbarkeit für die Existenz dieses kleinen Wesens. Seufzend erwiderte sie die Umarmung, als Taras tadelnde Stimme erklang: »Solltest du nicht im Bett sein, Amia? Es ist mitten in der Nacht.«
»War ich doch. Aber das viele Gerede hier im Haus hat mich geweckt. Und ich wollte Melissa schnell das hier bringen. Bin schon wieder weg.« Rasch legte Amia ein kleines Päckchen auf den Tisch und huschte leise summend davon.
Vor Melissa lag eine Packung Taschentücher, welche sie verdutzt anstarrte. Schließlich nahm sie sich eines und tupfte sich das Gesicht trocken. »Woher wusste sie ...?«
»Das ist eben Amia«, antwortete Tara gelassen. »Manchmal weiß sie Sachen einfach so.«
Unbeeindruckt zuckte sie mit den Schultern. Dann betrachtete sie Melissa nachdenklich. »Du siehst aus, als könntest du dringend etwas Schlaf gebrauchen.«
Als Melissa die Gartenhütte betrat, war sie über die Veränderungen erstaunt, trotz ihrer Erschöpfung. Jemand hatte sich große Mühe gegeben, den Raum gemütlich zu gestalten. Statt des Feldbettes befand sich jetzt ein massives Holzbett mit extra dicker Matratze und frisch bezogenem Bettzeug unter dem Fenster. Daneben prangte ein kleiner, heller Kleiderschrank, neben dem alle ihre Einkäufe standen, in diversen Tüten verstaut. – Nicolas musste sie hierher gebracht haben. Gott sei Dank war er nicht auf die Idee gekommen, den Schrank direkt einzuräumen. Melissa wusste im Moment nicht, was sie über Nicolas denken sollte, aber sie war sich sicher, dass sie es nicht gewollt hätte, wenn er ihre neue Kleidung – und Unterwäsche – in der Hand gehabt hätte. Sie würde sich morgen selbst darum kümmern.
Der Campingtisch war ebenfalls durch einen hölzernen Küchentisch mit dekorativen Beinen ersetzt worden, gesäumt von zwei stabilen Holzstühlen. Ein kleines Bücherregal, gefüllt mit den unterschiedlichsten Werken, stand neben diesem. Melissa zog die Schuhe aus und betrat nur mit Socken an den Füßen den wohlig weichen und dicken, runden Teppich, der fast den gesamten Boden bedeckte und dem Zimmer eine einladende Atmosphäre mit seinem cremefarbenen und blauen Muster gab. Sie zog vorsichtig die dichten hellblauen Vorhänge zu und sah dann auf die surrende Heizung, welche den Raum in angenehme Wärme tauchte, die sie wohlig umhüllte und bis in ihr Innerstes kroch. Dann ließ sie sich in einen weichen blauen Sessel in der Zimmerecke fallen.
Dieses Zimmer war eindeutig hergerichtet, um zum Bleiben einzuladen.
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♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The Vampire
VampirosSie rettet sein Leben - Er will sie töten ✰✰✰ Ein düsterer Vampir, ein verhängnisvoller Zauber und eine alles verschlingende Liebe ✰✰✰ Stell dir vor, du wirst durch einen mysteriösen Zauber an einen gefährlichen Vampir gebunden, der dich um jeden Pr...