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Filiz:
Frieden.
Das einzige wonach sich meine Familie seit Jahren sehnte.
Frieden zwischen uns, den Aslans, und den Ceylans.
Ich jedoch sehnte mich nach etwas ganz anderen. Ich wollte meinen Seelenfrieden.
Vor zwölf Jahren starb mein ältester Bruder Umut vor meinen Augen.
Ich war damals erst acht Jahre alt.
Wir saßen am Rhein und schleckten unser Eis, als ein Unbekannter auf einem Motorrad vorbei fuhr und Umut eine Kugel durch den Kopf jagte.
Szenen die seither in meinem Kopf spukten und die ich niemals vergessen würde.
Umuts lebloser Körper, der in sich zusammensackte und dessen Blut auf meinem pinken Kleid landete.
Ein Mord, beauftragt durch die Ceylans.
Rache für einen geplatzten Deal, wie ich als ich älter wurde erfuhr.
Wie immer entfuhr mir ein leichtes Wimmern als ich daran dachte.
Mein Herz zog sich zusammen, als ich die Bilder wieder vor mit sah.

„Hayatim, alles in Ordnung?", fragte mich mein Bruder Okan.
Ich sah zu ihm auf und nickte.
Gerade saßen wir in einem gehobenen Lokal, indem wir zu Abend gegeessen hatten.
Okan bekam ich selten zu Gesicht.
Er lebte seit Jahren nicht mehr bei uns, hatte seine Frau Dilan und lebte mit dieser in München.
„Hast du immer noch diese Anfälle?", fragte er mich besorgt.
Ich schüttelte den Kopf.
Niemand sollte davon wissen...
Ich wollte nicht, das sich jemand um mich sorgte. Ich kam alleine zurecht.
„Es ist alles gut, Okan abi. Ich war nur in Gedanken.", murmelte ich und sah mich im Restaurant um.
„Na gut, Baba sagte mir, das du bald dein Masterstudum beginnen wirst. Wie wäre es, wenn du dafür zu Dilan und mir ziehen würdest. Wir würden uns freuen dich bei uns zu haben, Filiz."
Überrascht blickte ich zu ihm.
Mit so einem Vorschlag hatte ich nicht gerechnet.
„Wirklich?", fragte ich ihn.
Okan nickte.
„Ich vermisse dich, Schwesterchen. Außerdem würde München dir gefallen. Es ist nicht so grau wie hier.", sagte er.
Ich sah raus.
Ja Duisburg war eine graue Stadt, aber es war auch mein Zuhause.
Als Kind fiel mir nie auf, das unsere Heimat so hässlich war. Zumindest für Außenstehende war es so.
Okan gefiel es hier nie.
Er war schon früh weggezogen.
Nach Umuts Tod, war er nach Frankfurt gezogen um zu studieren.
Dort hatte er auch schnell Dilan kennengelernt.
Ich glaube er wollte, nicht vor Duisburg fliehen, sondern vor seiner Trauer.
Ich konnte es ihm nicht übel nehmen, das er mich alleine gelassen hatte.
Ich hatte Baba und Levent das reichte.
„Hast du mit Baba darüber gesprochen?", fragte ich ihn, da ich mir nicht vorstellen konnte, das er diesen Vorschlag gut heißen würde.
„Nein, noch nicht.", sagte Okan und trank seinen Kaffee:
„Morgen früh wollte er mir mir und Onkel Hakan reden. Ich werde es dann erwähnen."
„Danke, abi. Ich weiss das wirklich zu schätzen."
„Alles für dich, hayatim."
Ich spürte, wie mich ein fremder Mann ansah.
Er hatte dies den ganzen Abend lang schon getan, doch ich tat mein Bestes es zu ignorieren.
Schließlich war ich hier mit meinem Bruder.
Beim Rausgehen sah ich zu dem Fremden.
Er saß alleine an einem Tisch, trug einen Anzug und hatte eine Espressotasse vor sich.
Als er meinen Blick bemerkte sah er mich bedrohlich an.
Sofort sah ich weg.
Was hatte er denn?
Okan bemerkte, das ich stehen geblieben war und sah nun auch zu dem Mann.
Es schien als würde er ihn kennen, doch er legte nur seine Hand um meine Schulter und zerrte mich regelrecht aus dem Laden.
„Komm.", sagte Okan und eilte raus.
Verwirrt liefen wir zum Auto.

„Kanntest du den?", fragte ich leise.
Okan nickte.
„Wer ist er?"
„Ist egal."
Ich stieg in Okans Wagen ein und er fuhr mit Vollgas weg.
„Okan! Wer war das? Was ist los mir dir?", fragte ich verwirrt.
Ich wollte wissen was es mit dieser Reaktion auf sich hatte.
So verhielt sich Okan nie, er war immer eine ruhige Seele.
„Das war Onkel Berkans Sohn.", sagte Okan nur leise und umgriff fest das Lenkrad.
Ich schluckte und spürte wie mir das Blut in den Adern erfror.
„Demir?", erinnerte ich mich an seinen Namen, da Onkel Berkan nur einen Sohn hatte.
Okan nickte.
Demir war Umuts bester Freund gewesen.
Es hieß er hatte Umuts Tod auf dem Gewissen.
Angeekelt sah ich nach draußen.
„Ich dachte die Ceylans sind damals weggezogen.", flüsterte ich leise.
„Sie sind nicht weggezogen Filiz. Baba hat sie regelrecht verbannt.", sprach Okan: „Er dürfte nicht hier sein, dieser hayvan!"
Ich schluckte schwer, als Okan das sagte.

Immer wieder holte die Vergangenheit mich ein.
Ich erinnerte mich an den Streit zwischen Baba und Tante Büsra.
Sie hatte geweint, ihn angefleht.
Sie hatte auf dem Boden vor unserer Tür gefleht und gebetet.
Doch mein Vater hatte ihr gesagt, sie und ihre Familie seien hier nie wieder willkommen.
Bis heute wusste ich nicht was genau zu Umut abis Tod geführt hatte.
Wer der Schütze war...
Wieso er hatte sterben müssen.
Stumm liefen mir wieder Tränen über die Wangen.
„Filiz, bitte wein nicht.", sagte mein Bruder und nahm ermutigend meine Hand.
„Wenn Baba das erfährt, wird Demir Ceylan nicht mehr lange unter uns weilen. Er will seit Jahren Blutrache für Umuts Tod."
Okans Aussage brachte mich noch mehr zum weinen.
„Blutrache?", wimmerte ich verstört.
Meinen Vater hatte ich nie als gewalttätigen Mann gesehen... Das er freiwillig einen anderen Menschen umbringen würde, konnte ich mir nicht vorstellen.
„Mach dir darum keine Gedanken, hayatim. Wir machen das unter uns Männern schon aus.", sagte Okan und parkte vor unserem Haus.
Doch seine Worte beruhigten mich keinesfalls.

Den ganzen Abend hörte ich Stimmengewirr im Haus.
Baba, Okan, Hakan amca und viele weitere waren zusammen gekommen.
Umuts Name fiel. Auch Demirs Name fiel.
Es wurde geflucht, diskutiert und schlussendlich herrschte Stille.
Doch Schlaf fand ich in dieser Nacht nicht.
Ich sorgte mich um das was kommen würde.
Also beschloss ich zu Umut zu gehen.
Heimlich schlich ich mich aus dem Haus und fuhr mit meinem kleinen Mini zum Rheinufer.
Auf dem Weg hielt ich den Anhänger meiner Kette zwischen den Fingern.
Umut hatte sie mir als Kind geschenkt, seither trug ich sie und spielte mit dem kleinen Herz, wenn ich nervös war.

Liebe unter FeindenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt