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Filiz:
Ich sah ungläubig nach draußen auf das demolierte Auto meines Onkels.
Ich hatte sofort Demir erkannt, als er zu mir hoch sah.
Er hätte das nicht tun sollen...
Vor Allem so kurz, bevor mein Vater nachhause kam.
Hätte er ihn erwischt...
Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was dann passiert wäre.
Was, wenn er beim nächsten Mal auch hier einbrach?
Was, wenn er Levent etwas antun würde...
Oder mir.
Ich zitterte schon wieder und hoffte aus diesem Albtraum bald aufzuwachen.
Aus dem Fenster so ich, wie meine Verwandschaft sich das Auto ansah.
Mein Vater hörte ich bis hier her fluchen.
Ich legte mich hin und drückte die Augenlider zusammen.
Das Ganze musste aufhören!

„Hayatim, bist du wach?", hörte ich Okans Stimme.
Ich war eingeschlafen.
„Okan abi?", fragte ich leise und er legte sich zu mir aufs Bett.
„Hast du mitbekommen, was draußen passiert ist?"
„Nein, abi... Was ist los?", stellte ich mich dumm.
Er räusperte sich.
„Hakan amcas Wagen wurde verwüstet. Wir glauben es war Demir Ceylan."
„Wieso macht er sowas?"
„Weil er ein Ceylan ist, Filiz. Es hat guten Grund, das wir uns von ihnen fern halten."
Ich spürte, das Okan Demir hasste.
Das er versuchte mich auch dazu zu bringen.
Doch ich wusste auch, das Okan und Hassan letzte Nacht bei den Ceylans eingebrochen waren.
Es war also einfach nur Demirs Reaktion auf deren Aktion gewesen.
Meine Familie unterschätzte mich oft, behandelten mich als kleines Mädchen. Doch ich bemerkte immer öfter, wie falsch deren Handeln und Vorstellungen waren.
„Aber wieso macht er sowas, so ganz ohne Grund?", hakte ich nach.
Okan spannte sie an.
„Verteidigst du ihn?", fragte der gereizt.
„Nein, abi. Natürlich nicht... Ich verstehe das alles nur nicht. Ich habe Angst vor ihm."
Okan legte seinen Arm um mich.
„Keine Angst, hayatim. Ich bleibe die nächste Zeit hier. Es wird dir nichts passieren."
„Inshallah."
„Inshallah."

In dieser Nacht träumte ich das erste Mal von Demir Ceylan.
Er hatte sich in mein Unterbewusstsein geschlichen...
Ich saß wieder nachts am Rheinufer, als ein Fremder mir seine Hände auf die Schulter legte.
Sofort schreckte ich zusammen.
Ich sah verängstigt hoch und erblickte Demirs Gesicht.
Er grinste mich an und strich sanft über meine Schultern.
„Vor mir brauchst du keine Angst zu haben, Filiz.", sagte er und ich glaubte ihm.
Er schenkte mir ein Lächeln und setzte sich dann neben mich.
„Ich habe keine Angst.", sagte ich zu ihm:
„Wieso hast du das Auto beschädigt?"
Doch darauf gab er mir keine Antwort.
Stattdessen stand er auf und lief zum
Wasser.
Wieso ignorierte er mich?
Er nahm sich eine Hand voll Steine und fing an die Kiesel ins Wasser zu werfen.
Geduldig beobachetete ich ihn.
„Demir?", fragte ich, doch erneut kam keine Reaktion von ihm.
Ich stand auf und tippte ihn an.
Er drehte sich zu mir und lächelte.
Plötzlich ertönten Mottorradgeräusche.
Ich zuckte zusammen und sah nach hinten.
Der Motorradfahrer mit dem schwarzen Helm.
Er fuhr mit schneller Geschwindigkeit auf uns zu.
Instinktiv klammerte ich mich an Demir fest.
Er drückte mich an sich und ich spürte seine Wärme.
Das Motorrad kam zum Stehen und der Fahrer sah uns an.
Ich traute mich hinzuschauen.
Er richtete seine Waffe auf uns.
„Wer bist du??!", schrie ich verzweifelt und spürte wie mein Körper unter Adrenalin stand.
„Zeig dich!", kreischte ich.
Der Unbekannte kam meiner Bitte nach.
Er fasste sich an das Visier des Helmes und klappte es hoch.
„Siehst du ich bin es nicht!", rief Demir.
Ich schaute auf doch, sah in seinem Gesicht nur eine dunkle Leere.
Verwirrt sah ich zu Demir, doch zeitgleich fiel ein Schuss.
Ich fasste mir an den Bauch.
Doch ich war nicht die Getroffene.
Es war Demir, ein Schuss mitten durch die Stirn.
Ich sah zu dem Schützen.
Nun sah ich ihn vor mir.
Okan.
Meinen eigenen Bruder.

Ich schreckte panisch hoch und sah verwirrt zu Okan, der neben mir lag.
Ich entfernte mich von ihm und musste mich wieder beruhigen...
Das war alles nicht echt.
Oh Gott!
Ich drehe noch durch.
Ich atmete schwer und verließ dann mein Schlafzimmer.
Im Bad wusch ich mein Gesicht und schaute in den Spiegel.
„Das war nicht echt.", flüsterte ich.
Diese Machtspielchen zwischen unseren Familie mussten aufhören.
Ich hatte schon mit psychischen Beschwerden zu kämpfen, doch so wurde es nur noch schlimmer.
Vielleicht sollte ich mit Demir und seinen Eltern reden...
Seine Eltern waren zu mir immer gut gewesen, Tante Büsra würde mich niemals einfach wegschicken, auch jetzt nicht.
Zumindest glaubte ich das.
Demirs Aktion war so dämlich gewesen...
Nun würde es garantiert ausarten.
Onkel Hakan würde das nicht einfach so stehen lassen.
Ich musste versuchen mit ihm in Kontakt zu treten.
Aber wie?
Ich wusste nur, das er jetzt in Essen wohnte.
Ich hatte meinen Vater früher ein Mal gefragt, warum sie nicht mehr vorbei kamen.
Dann hatte er mir gesagt sie seien umgezogen.
Hm... Onkel Berkan hatte doch eine Firma.
Vielleicht fand ich sie so.
Also tippte ich in mein Handy.
Firma Ceylan, Essen.
Schon poppte es auf.
Kfz-Sachverständigung Ceylan.
Ich ging auf die Seite des Unternehmens und schaute sie mir an.
Unter den Mitarbeitern waren sie aufgelistet.
Demir, sowie sein Vater mit Bildern.
Unter Demirs Bild stand eine e-mail-Adresse und eine mobile Telefonnummer.
Sollte ich wirklich anrufen?
Was wenn jemand im Haus davon etwas mitbekam.
Ich musste raus gehen.
Also zog ich meinen Morgenmantel an und ging leise nach unten in die Garage.
Es war mittlerweile 2 Uhr und niemand war noch wach.
Also setzte ich mich in mein Auto und wählte die Nummer.
Lange Zeit nahm niemand ab und ich wollte
schon auflegen, doch dann hörte ich ihn.

„Demir Ceylan hier, wieso rufen Sie mitten in der Nacht an? Gibt es einen Notfall?"
Ich wusste nicht was ich sagen sollte.
„Hallo, ist da jemand?", fragte er genervt, er wollte wohl auflegen.
Doch ich hielt ihn auf.
„Demir. Hier ist Filiz, Filiz Aslan.", sagte ich leise.
Er räusperte sich.
„Woher hast du meine Nummer?"
„Ich hab sie aus dem Internet, aber das ist nicht so wichtig. Wir müssen reden..."
„Ich denke nicht das das eine gute Idee ist.", gab er zurück.
„Bitte, Demir. Leg nicht auf."
„Wieso sollte ich nicht? Wer weiss wer gerade mithört.", schnaubte er.
„Glaub mir, ich bin alleine. Wüsste meine Familie das ich mit dir spreche, dann würden sie mich vermutlich auf ewig hier einsperren."
„Du willst reden, okay. Dann rede.", forderte er mich auf.
„Können wir uns vielleicht treffen?", sagte ich, da ich lieber von Angesicht zu Angesicht reden wollte.
„Hast du keine Angst, das ich die was antue?", fragte er überrascht.
„Du hast mir gesagt, das ich vor dir keine Angst zu haben brauche.", sagte ich ehrlich.
Ich hörte, wie er schmunzelte.
„Na gut, ich schicke dir einen Standort. Kannst du dorthin kommen?"
„Ja... Ja ich denke schon.", meinte ich.
Obwohl ich innerlich schon ein wenig zitterte.
Noch nie hatte ich mich nachts heimlich mit einem Mann getroffen.
Natürlich war dies eine Ausnahmesituation, doch es fühlte sich gewissermaßen falsch an.
In meinen Nachrichten erschien der Standort, also tippte ich ihn in mein Navi ein und startete mein Auto.
„Bis gleich.", sagte ich noch dann legte ich auf.

Liebe unter FeindenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt