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Yasemin:
Alles fühlte sich an, als würde ich komplett neben mir stehen.
Als könnte ich auf meinen eigenen Körper nieder sehen.
War ich im Himmel?
War ich gestorben?
Ich sah nur das schwarze Auto...
Danach spürte ich nur noch dumpfe Dunkelheit.

Ich bemerkte erst nach einer langen Zeit wo ich war. Es war nicht im Himmel...
Laute Töne, Menschen die ständig durch eine Tür rein und raus liefen.
Ich spürte Nadeln die man in meine Haut stach.
Es piekste, doch ich konnte nichts sagen.
Ich konnte nichts sehen, irgendwie schaffte ich es nicht meine Augen zu öffnen.
Ein eigenartiger Druck bildete sich in meiner Lunge.
Als würde jemand Luft in meine Lungen pumpen.
Ich wurde beatmet!
Ich lag im Krankenhaus.
Ja... Das schwarze Auto...
Demir und ich hatten einen Unfall.
Wo war Demir?
Oh Gott, was wenn es ihm nicht gut ging.
Ich hatte das Bedürfniss aufzustehen, ich wollte zu ihm!
Aber wieso konnte ich mich nicht bewegen!
Verdammt!
Ich spürte die mir allzu bekannte, innere Panik aufkommen.
Gleich würden die Tränen kommen, das enge Gefühl in meiner Brust.
Wieso passierte nichts?
„Ihre Herzfrequenz ist erhöht, wir geben ihr Beruhigungsmittel, Herr Ceylan."
Demir war hier!
Doch bevor ich ihn hören konnte, spürte ich wie mir eine neue Dosis Schmerzmittel gespritzt wurde.
Schnell konnte ich die Stimmen um mich rum nicht mehr hören.

Jetzt war ich mit Umut abi.
Es war Sommer und wir spielten im Garten.
Er lachte so glücklich und hob mich auf seine Schultern.
„Abi, lass mich nicht fallen!", lachte ich.
„Keine Sorgen, Filiz. Ich werde dich nie fallen lassen!", sagte er.
„Oglum, pass auf meine kleine Filiz auf!", hörte ich meine Mutter sagen.
Mama?
Ich sah zu ihr.
Sie lag auf ihrer Sonnenliege.
Ihre schönen hellbraunen Haare waren verweht vom Wind, sie trug ein geblümtes Sommerkleid.
In ihrem Arm Levent.
Levent war als Baby so süß.
„Annem, ich werde sie nie fallen lassen! Ich bin ihr großer Bruder."
Anne lachte herzlich und widmete sich wieder Levent.
Nun traute ich nich zu sprechen.
„Abi, ich liebe dich über alles.", sagte ich leise, dabei kamen mir die Tränen.
Umut ließ mich runter und nahm mich in den Arm.
„Ich liebe dich auch, canim benim.", sagte er und wischte mir die Träne weg.
„Sollen wir an den Rhein gehen? Ein Eis wird dich bestimmt aufmuntern!", schlug er vor.
Mein erster Instinkt war es Ja zu sagen.
Doch es graute mir plötzlich.
„Ich will noch bei Anne bleiben.", sagte ich.
Doch Umut hob mich wieder hoch.
„Komm mit mir mit, bald sind die Ferien vorbei. Dann habe ich keine Zeit mehr für Eis."
Ich willigte ein und ging mit abi mit nach drinnen.
Schnell blickte ich zu Mama.
Ich hatte sie schon so lange nicht gesehen.
„Umut, komm?", rief baba meinen Bruder.
Er sah ernst aus und winkte ihn zu sich.
„Ich gehe kurz zu baba. Geh doch noch was raus.", sagte Umut, worauf ich nickte.

Ich lief wieder in den Garten und ging vorsichtig zu Anne.
„Canim, Umut wollte doch Eis mit dir holen.", sagte sie und strahlte mich an.
Ich nickte.
„Er muss noch mit Baba reden.", erzählte ich.
Sofort änderte sich ihr Gesichtsausdruck.
Sie sah enttäuscht aus, als wüsste sie, worüber die beiden redeten.
„Dann komm, canim. Wir gehen mit Levent schon mal vor."
Glücklich ging ich mit meiner Mutter und Levent im Kinderwagen in Richtung Rhein.
Unsere Straße hatte sich nicht verändert.
Ich blickte hoch zu meiner Mutter.
Wie lange bis sie gehen würde?
Wie lange blieb mir noch mit ihr.
Waren baba und sie so unglücklich?
Ihre Reaktion eben verriet mir, dass es so war.
Doch das hatte ich damals nicht bemerkt.
Ich war noch ein Kind.
Ich wollte nur spielen mit meinen Geschwistern und in der Grundschule mit meinen Freundinnen basteln und malen.

Am Rhein holten wir uns an unserer Stammeisdiele ein Eis.
Ich hatte Himbeere, es war immer meine Lieblingssorte.
Sie schmeckte herrlich süß und nach Sommer.
Ich hatte Jahre kein Eis mehr gegessen.
„Tante!", rief ich, als ich Tante Büsra entdeckte.
Sie winkte und lief lachend auf meine Mutter zu.
Diese umarmte sie fest, ehe sie sich mir widmete.
„Hallo Filiz, hast du wieder dein leckeres Himbeereis bekommen?", fragte sie, worauf ich stolz nickte.
Hinter ihr kam ein junger Mann hergelaufen.
Es war Demir.
Irgendwie konnte ich mich nicht an den früheren Demir erinnern.
Doch jetzt stand er hier.
Er war dünner als jetzt, hatte lange Haare, keinen Bart.
Er sah gar nicht aus wie mein Demir.
„Hallo Gülcin teyze.", sagte er freundlich zu meiner Mutter und küsste ihre Hände.
„Hallo, Filiz.", sagte er und kniff mir in die Wange.
Verwirrt sah ich zu ihm auf.
Er interessierte sich gar nicht für mich.
Ich war ein Kind...
„Bruder, was machst du hier?", hörte ich meinen großen Bruder freudig sagen.
Umut kam angejoggt und gab seinem besten Freund eine Umarmung.
„Anne wollte unbedingt ein Eis.", lachte Demir.
Umut grinste und die beiden gingen vor, während wir langsam weiter hinter ihnen her spazierten.
Es war so friedlich.
Ein schöner Sommertag...

Ich lächelte und hörte plötzlich eine Stimme.
„Ich bleibe bei dir, kücük.", sagte Demir leise.
Er war bei mir... Er ließ mich nicht alleine...
„Heute ist unsere Hochzeitsnacht, was wäre ich für ein Ehemann, wenn ich dich alleine lassen würde."
Er war ein guter Ehemann!
Ich wollte es ihm sagen, doch es ging nicht.
„Ich hoffe du hörst mich, canim. Es tut mir leid, dass ich das Auto nicht gesehen hab. Ich würde alles geben, dass ich an deiner Stelle hier liegen würde. Doch leider ist es so gekommen."
Natürlich war es nicht seine Schuld!
Es tat so gut ihn reden zu hören.
Das hier war kein komischer Traum...
„Du wirst mich nicht mehr los, kücük."
Nein, dass würde ich auch nicht wollen!
Ich liebe dich auch Demir!

Liebe unter FeindenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt