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Filiz:
Als ich in der Nacht das Haus betrat, war alles still.
Ich atmete endlich aus, die Begegnung mit Demir hatte mich komplett aus der Bahn geworfen.
Er konnte so vieles sagen, doch für mich war es immer klar gewesen, das er und seine Familie für Umuts Tod verantwortlich waren.
„Filiz?"
Ich sah verwirrt hoch und entdeckte meinen jüngsten Bruder Levent.
„Wo warst du, abla?"
„Ist nicht so wichtig, Levent."
„Weisst du was heute los ist? Okan und Hassan sind irgendwann weggefahren, sie sind immer noch nicht zurück."
Ich seufzte und zuckte nur mit den Schultern.
„Ich weiss es nicht, ich bin müde. Bitte lass mich schlafen.", sagte ich erledigt.
Levent nickte und ging mit mir nach oben.
„Heute ist Umut abis Todestag.", flüsterte Levent, bevor wir in unsere Zimmer gingen.
„Ich war am Rhein.", gab ich nun zu.
Levent kam zu mir und umarmte mich fest.
Stumm fing ich an zu weinen.
„Psch, abla...", tröstete mein Bruder mich.
„Irgendwann werden wir ihn rächen."
Doch ich schüttelte den Kopf.
Ich wollte nicht das noch mehr Blut vergoßen wurde.
Ich hatte Demir in die Augen gesehen, er war es nicht gewesen...
Er hatte es nicht verdient zu sterben.
Seine Mutter hatte es nicht verdient, ihren einzigen Sohn zu begraben.
„Soll ich heute Nacht bei dir schlafen?", fragte Levent.
Stumm nickte ich.
Ich wollte nicht alleine sein.
Also folgte Levent mir in mein Zimmer, wo wir beide sofort einschliefen.

Am nächsten Morgen war Levent nicht mehr da.
Ich sah müde auf die Uhr.
08:30, das hieß er war bereits in der Schule.
Ich musste zum Glück nicht aufstehen.
Meinen Bachelor in Betriebswirtschaftslehre hatte ich im September beendet.
Jetzt konnte ich mich entspannen, bis ich mich für den Master anmelden musste.
Ich dachte an Okan und seinen Vorschlag.
München wäre vielleicht wirklich schön...
Dann könnte ich Dilan auch besser kennenlernen, ich sah sie so selten.
Obwohl sie immer freundlich und gut zu mir gewesen war, kannte ich sie nicht wirklich gut.
Ich fragte mich ob Okan schon mit Baba geredet hatte, ob er ihm gesagt hatte, das Demir in der Stadt war.
Gestern Abend kam es mir so rüber, als könnte er kaum warten Baba davon zu erzählen.
Meine ganze Familie hegte nach all dieser Zeit immer noch so einen Hass auf die Familie Ceylan.
Dabei hatten wir viel schöne Zeiten mit ihnen durchlebt.
Geburtstage, Grillpartys, gemeinsame Urlaube in der Türkei...
Onkel Berkan und Tante Büsra hatten mich wie ihre eigene Tochter behandelt.
Sie waren sogar bei meiner Einschulung dabei...
Doch das alles ging kaputt.
Ich setzte mich auf und versuchte auf andere Gedanken zu kommen.
Es war für mich schwierig, mich abzulenken.
Also rief ich Aleyna an, sie war eine ehemalige Kommillitonin.
„Hey Filiz, du bist aber früh wach.", sagte diese lachend, da sie zu gut wusste, das ich eigentlich eine Langschläferin war.
„Hey, ja ich weiss auch nicht was heute los ist."
„Was gibts?"
„Ich wollte fragen, was du heute vorhast. Vielleicht können wir ja in die Stadt gehen oderso."
„Klar, können wir gerne machen. Ich bin aber bis 16 Uhr bei meinem Praktikum. Danach können wir uns treffen. Sagen wir 16:30 im City-Paleis?", schlug sie vor.
„Klingt gut, bis später."
„Bis später, ich freu mich!", sagte Aleyna zur Verabschiedung.
Sie machte momentan ein Praktikum bei einer Firma im Innenhafen, welche es genau war wusste ich nicht.
Doch ich freute mich für sie.
Sie war die erste ihrer Familie, die studiert hatte.
Generell sah ich zu Aleyna auf.
Sie lebte alleine, arbeitete neben dem Studium und verdiente ihre eigenes Geld.
Einen reichen Mann brauchte sie nicht, betonte sie immer.
Sie sei selbst irgendwann ein reicher Mann.
Ich dagegen machte das Studium nur um mich zu beschäftigen.
Mein Vater sagte ich brauche nicht zu arbeiten.
Sein Plan war es immer einen guten Mann für mich zu finden, das er mir bis heute keinen geeigneten vorgestellt hatte, wunderte mich.
Ich war 20, in manchen Augen bereit zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen.
Doch ich fühlte mich immer noch wie ein kleines Mädchen...

„Kizim?", klopfte es an meine Tür.
Es war mein Vater.
„Günaydin, Baba!", rief ich und ging zur Tür um ihm aufzumachen.
„Guten Morgen, Filiz. Kann ich rein kommen?", fragte er mich, er sah so besorgt aus.
Ich ließ ihn eintreten und setzte mich auf die Bettkante.
„Ich möchte nicht mehr, das du alleine rausgehst, meine Tochter.", fing er an.
„Es wird dich ab jetzt immer jemand begleiten, Filiz. Hörst du?"
Ich nickte. Hatte er Angst, die Ceylans würden mir was antun?
Demir hatte gestern die Chance gehabt, aber er hatte mich in Ruhe gelassen.
Ich wollte keinen Aufpasser dabei haben...
„Hat das was mit Demir Ceylan zu tun?", fragte ich leise.
Mein Vater schloss die Augen und nickte.
„Sprich seinen hässlichen Namen nicht aus, hayatim.", zischte er nur gehässig.
„Wenn du ihn siehst, ruf mich sofort an. Onkel Hakan oder Hassan werden dich die nächste Zeit lang begleiten. Auch, wenn du nur kurz etwas holen willst, bitte ich dich nicht alleine zu gehen.", meinte er eindringlich.
Langsam bekam ich Angst.
„Denkst du sie wollen mir weh tun?", flüsterte ich.
Baba sah auf und sagte: „Es wäre nicht das erste Mal, das sie unserer Familie schaden würden."
Ich bekam Gänsehaut, als ich wieder einen Flashback an den Tag bekam.
Ich drückte die Augen fest zusammen und sah wieder den Mann mit dem Motorradhelm vor mir.
Er war komplett schwarz und so bedrohlich.
Mein Vater setzte sich zu mir und nahm mich stumm in den Arm.
Er kannte diese Attacken von mir bereits.
Sie waren Routine geworden...
Sie gehörten zu meinem Alltag.
Und mir Demir Ceylan in der Stadt, würde es noch viel schlimmer werden.

Liebe unter FeindenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt