Das Auge brennt wie Feuer, ich blinzele ein paar Mal, aber das verschlimmert es nur noch mehr. Plötzlich packt mich Pierre grob an der Schulter und sieht mich fuchsteufelswild an.
"Was hast du gemacht? Du hast aber nicht mit deinen Fingern im Auge rumgewischt?!", faltet er mich stinksauer zusammen und ich kneife schuldbewusst beide Augen zu.
"Herrgott, hast du je wirklich eine Küche von innen gesehen?! Wenn ja, meine Liebe, eine, in der nur Tüten und andere Fertigprodukte verwendet wurden, komm mit", er packt grob eine Hand von mir und zieht mich quer durch die Großküche hinter sich her, verfrachtet mich auf einem Stuhl vor einem großen Waschbecken. Sein Sou-Chef reicht ihm eine Flasche Milch und er sagt mir schroff, dass ich den Kopf leicht zurück neigen soll.
Ich folge seinen Anweisungen, ohne auch nur einen Mucks von mir zu geben, weil es einfach höllisch brennt. Er kippt einen Schluck nach dem anderen, in das mit Chili verätzte Auge, wischt es mit einem frischen Handtuch trocken und wiederholt die Prozedur sicherheitshalber auf der anderen Seite.
"Lass sie noch einen Moment zu", ich nicke und traue mich nicht, ihn anzusprechen, geschweige denn mich zu bewegen. Es vergehen ein paar Minuten und ich spüre seine Präsenz sehr deutlich. Zwischendurch brüllt er Arbeitsanweisungen in sämtliche Richtungen und steht erneut dicht neben mir.
"Okay, mach sie auf", ich öffne flatternd ein Auge nach dem anderen, sehe im ersten Moment leicht verschwommen, aber das Brennen ist weg und alles wieder scharf. "Die Crew hat in einer Stunde Feierabend, du bleibst, bis der letzte Teller gespült und weggestellt ist. Dann kannst du gehen", er dreht sich weg, schreitet zu seinem Platz und kümmert sich um etwas in zwei Pfannen. Ich gehe zu ihm und schaue unsicher über seine rechte Schulter, er brät Rehmedaillons fertig und ich wage es nicht zu fragen, was jetzt meine Aufgabe ist. Das hektische Treiben ebbt langsam ab und einer der Hilfsköche versucht krampfhaft, mit dem Schneebesen eine Flüssigkeit glatt zu rühren. Pierre reißt ihm wütend den kleinen Topf aus der Hand.
"Habe ich es heute nur mit Dilettanten zu tun, Gabriella scheint den Unterschied zwischen Gabel und Löffel geradeso zu beherrschen und du bist zu blöd eine Bechamelsoße ohne Klumpen zu produzieren!", es ist totenstill, ich ziehe die Augenbrauen hoch, niemand bewegt sich, nur die Musik dröhnt durch die Boxen. "Was ist?! Seid ihr eingefroren?!", Dennis steht im Türrahmen, versieht alle mit einem Blick, der zum sofortigen Tod, durch Erstechen verurteilt.
"Was ist hier los?! Pierre, man hört dich bis in den Gastraum!", er geht zu ihm und führt ihn raus. Ich sehe die anderen an, die widmen sich aber wieder ihrer Arbeit, da ich nichts zu tun habe, schenkt mir auch keiner weiter Beachtung und ich schleiche mich unbemerkt hinterher.
Auf dem Flur höre ich sie in der Vorratskammer laut diskutieren, mit leisen Schritten nähere ich mich und quetsche mich dicht an die Wand, neben der offenen Tür.
"Tisch vier, ist der Meinung, da war zu wenig Puderzucker auf den Macarons", beschwert sich Dennis. Pierre stöhnt frustriert auf Französisch.
"Bon Dieu! Ich schüttel mir das Zeug doch nicht aus dem Ärmel, wir arbeiten am Limit und ich weiß noch nicht, wie ich die nächste Lieferung zahle!"
"Ich weiß, dann musst du die Preise erhöhen, eventuell servierst du es mit dem Hauptgang, damit sie verstehen, warum es mehr kostet", schlägt sein Restaurantleiter vor.
"Vergiss es, das funktioniert so nicht. Ich habe Personal zu bezahlen, eine Familie zu unterhalten, und werde auf keinen Fall noch mehr verlangen. Hast du das mit dem Barchef vorne an der Ecke mitbekommen?"
"Die haben ihm wohl einen diskreten Besuch abgestattet, aber er kommt durch, also mach dir nicht so viel Gedanken."
"Ich muss zurück in die Küche, verkauf einfach mehr Getränke, damit wir das Geld zusammen bekommen", ich schaue mich hektisch nach rechts und links um, verschwinde schnell den Gang hinunter, der zu den Toiletten führt. Gehe ein paar Stufen runter und wähle Caros Nummer. Aber sie nimmt nicht ab, also schreibe ich ihr eine Nachricht, dass ich es nicht zu unserer Verabredung schaffe, dafür aber eine heiße Spur habe. Wo ich schon fast bei den Toiletten bin, mache ich einen kurzen Abstecher und schaue mich im Spiegel an, der Chili-Angriff ist deutlich am Auge zu erkennen, denn es ist nach wie vor feuerrot.
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Dangerous taste
Romance„Lauf Gabriella, vor deiner Vergangenheit kannst du nicht fliehen, ich finde dich, immer!" Hauptkommissarin Gabriella Farina wird undercover auf den exzentrischen Sterne-Koch Pierre Durand angesetzt, der in der Schickeria von München ganz spezielle...