Teil 36

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Ich fahre in gemäßigtem Tempo die engen Straßen entlang, um Zeit zu schinden, es herrscht eine angenehme Stille zwischen uns, aber die Aussprache ist nun nicht mehr zu umgehen. Er hat sie verdient und ich hoffe, das die Last von meinen Schultern, die ich die ganze Zeit mit mir herum trage, endlich verschwindet.

Ich stoppe den Wagen vor dem großen Eisentor, die Kamera visiert das Nummernschild an und die Türen schwingen nach innen auf. Die Sicherheitsleute sehen Pierre misstrauisch an, aber ich nicke ihnen zu und sie verschwinden wieder auf ihre Posten. Massimo klebt an meiner Stoßstange und ich halte vor dem Eingang zur Villa. Steige aus und Pierre sieht sich unsicher um.

"Park ihn anständig", ich werfe meinem Bodyguard den Schlüssel zu und er wünscht uns eine gute Nacht.

"Was möchtest du trinken, Wein, antialkoholisch oder etwas starkes?", frage ich und wir schreiten durch die Eingangshalle.

"Brauche ich einen guten Drink oder reicht auch ein Glas italienischer Rotwein, für das, was du mir erklären willst?", er tritt dichter zu mir, legt seine Hände auf meine Hüften und haucht einen zarten Kuss unterhalb des Oberläppchens und den Hals. Ein feiner Schauer rieselt über mich hinweg und ich räuspere mich kurz. Die intensive Verbindung zwischen uns erwacht, trotz der vergangenen Monate, sofort.

"Ich hole uns eine Flasche aus dem Keller, begleitest du mich?", ich umschließe zärtlich seine Hand und wir steigen die schmale Holztreppe runter. Der modrige Geruch des alten Gewölbes schlägt uns entgegen, seit dem Umbau war ich nicht mehr hier unten und eine merkwürdige Enge bildet sich in meinem Brustkorb. Hier sind zwei geliebte Familienmitglieder gestorben und ich dränge die schmerzhaften Erinnerungen, an meine Mutter und Danielle zurück in die hinterste Ecke meines Gehirns. Öffne die Tür zum Weinkeller und wir schauen gemeinsam die verschiedenen Etiketten an. Fassen gleichzeitig nach einer Flasche aus der Toskana, lächelnd überlasse ich sie Pierre und wir treten den Rückweg an.

Im Wohnzimmer angekommen, ziehe ich eine Seite der Terrassentür auf, lasse ihn kurz allein, um Gläser aus der Vitrine zu holen, bringe sie raus und verschwinde noch in die Küche. Hier ist um diese späte Uhrzeit niemand mehr und ich suche mich durch drei Kühlschränke, um ein paar gefüllte Oliven zu finden. Ich kippe sie in ein mittelgroßes Schälchen, streife auf dem Weg nach draußen, die Sandalen von den Füßen, weil sie einen Höllenlärm auf dem Marmorboden veranstalten. Massimo schaut interessiert aus seinem Zimmer im oberen Stockwerk und ich verziehe den Mund zu einem breiten, unschuldigen Lächeln. Er schüttelt mit dem Kopf und zieht sich wieder zurück.

Pierre hat in der Zwischenzeit den Wein geöffnet und ihn in die bereitgestellten Gläser gekippt. Ich stelle die Oliven in die Mitte des Tisches und setze mich dicht neben ihn. Wir stoßen an und ich stecke einen Fuß unter den Oberschenkel, drehe mich weiter zu ihm und umklammere fest den Stiel vom Weinglas.

"Was möchtest du wissen?", fange ich vorsichtig an.

"Alles", antwortet er resolut.

"Okay, wie du sicher schlussfolgern konntest, gehören wir der obersten Mafiaorganisation an. Nachdem ich dich fortgeschickt habe, lag es in meiner Hand, wie ich mein Leben beende oder weiterlebe. Ich habe mich entschieden, erst meinen Vater zu erschießen, die ganzen Sicherheitsleute einem nach dem anderen zu erledigen und zum Schluss Danielle. Testamentarisch bin ich daher die Letzte überlebende Farina, Alleinerbin, heißt im Endeffekt, ich führe die Mafiageschäfte weiter."

"Aber, Gabriella, du bist Polizistin, du hast einen Eid geleistet", sagt er entsetzt.

"Ich habe ihn in Deutschland geschworen, das gehört nun zur Vergangenheit. Italien, beziehungsweise Sizilien hat eigene Gesetze und ich stehe seit der Testamentseröffnung auf der dunklen, illegalen Seite. Die Menschen vertrauen mir, niemand weiß, was hier wirklich passiert ist, und das ist auch gut so. Es war sehr schwer, für mich, gerade als Frau in dieser absoluten Männerdomäne zu bestehen. Aber es ist mir relativ schnell gelungen, ich habe die Zweige meines Vaters und Bruder ausgebaut, lasse seither arbeiten. Die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen sind notwendig, weil ich von nun an, ständig mit einem Fuß im eigenen Grab stehe. Pierre, ich kann nie wieder in mein altes Leben zurückkehren. Mit der Entführung, alles, was danach geschehen ist, ist auch ein Teil von mir gegangen", die letzten Worte flüstere ich nur noch und trinke schnell einen großen Schluck Rotwein.

Er legt seine warmen Hände über meine und sieht mich mit schiefgelegtem Kopf an.

"Was ist mit uns? Warum hast du Maurice das Trikot geschickt? Sind deine Gefühle für mich auch mitgegangen?"

"Ich kann das nicht", ich schiebe seine Hände weg, stelle das Glas etwas fester auf den Tisch und fliehe aus der angespannten Situation. Meine nackten Füße streifen durch das feuchte Gras und ich versuche mich zu sammeln, mit aller Macht drängt sich unsere gemeinsame Zeit nach oben. Am Rand des Pools bleibe ich stehen, atme stoßweise ein und aus, zwinge mich dazu, die Fassung nicht zu verlieren. Erschrocken zucke ich zusammen, als sich die Handflächen von ihm auf meinen Bauch schieben und er den Kopf auf einer Schulter von mir ablegt.

"Gabriella, bitte, ich habe dich die ganze Zeit über schrecklich vermisst. Aus Lorenzo war nicht ein Wort heraus zubekommen. Er hat immer wieder betont, dass ich dich selbst fragen soll, aber wie?! Ich hatte keine Telefonnummer und wollte auch nicht unangemeldet hier auftauchen. An meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert, ich liebe dich nach wie vor", bei den letzten Worten, versteift sich mein ganzer Körper und ich drehe mich in seinen Armen um. Tränen schimmern in unseren Augen, die Verzweiflung steht ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

"Pierre, ich-, wir können nicht einfach da weiter leben, wo wir vor über sechs Monaten aufgehört haben. Du kennst jetzt die Wahrheit, schlaf in einem der Gästezimmer, es ist schon spät", ich trete den Weg zur Terrasse an und warte, das er mir folgt. Schwerfällig kommt er auf mich zu und ich verschließe die Terrassentür. Gemeinsam steigen wir schweigend die Treppen in den ersten Stock hoch und ich zeige ihm das Zimmer, das nicht weit von meinem Schlafzimmer entfernt ist. Er sieht sich in dem gemütlichen großen Raum um und steckt die Hände locker in die Hosentaschen. Ich nutze die Chance, als er mir den Rücken zudreht, und verschwinde leise.

Lehne mich gegen die geschlossene Tür und schließe die Augen für einen kurzen Moment. Tränen bahnen sich ihren Weg und ich wische sie wütend von den Wangen. Schwäche, etwas was ich abgelegt habe und Pierre mit seinen Fragen und Anwesenheit heraufbeschwört hat.

"Verdammt, reiß dich zusammen!", schimpfe ich mit mir selbst und schminke mich im Bad ab. Putze Zähne und werfe die Klamotten in die Wäschetonne. Nur in Unterwäsche schlüpfe ich unter die Decke und falle in einen unruhigen Schlaf.

Träume von Kindern die im Pool planschen und untergehen, im Garten verstecken spielen und spurlos verschwinden, die an das runde Holzbrett gefesselt sind und blutüberströmt schreien, doch es sind auf einmal nicht mehr die Jungs und Mädchen, sondern ich, die ohrenbetäubend schreit.

Meine Schlafzimmertür fliegt auf, das Licht geht an, ich keuche atemlos und Pierre schaut mich mit besorgtem Blick an. Springt zu mir aufs Bett und schließt mich fest in seine Arme. "Beruhige dich, ich bin da", flüstert er und ich konzentriere mich auf meine Atmung. Da steht auch schon Massimo nur in Boxershorts im Türrahmen, in der einen Hand seine Glock auf uns gerichtet, die er aber sofort senkt, als er sieht, dass alles in Ordnung zu sein scheint.

"Ich habe nur schlecht geträumt", sage ich noch leicht kurzatmig und wische mir den feinen Schweißfilm von der Stirn.

"Du hast geschrien, als ob dich jemand umbringt", wendet Pierre ein und Massimo gießt ein Glas Wasser für mich ein. Reicht es mir und ich trinke einen kleinen Schluck.

"Geh ruhig wieder schlafen. Pierre ist ja hier", sage ich ihm und er schließt leise die Tür hinter sich. Pierre macht ebenfalls Anstalten, doch ich halte ihn an der Hand zurück. "Bleibst du bei mir?", er kämpft innerlich, "bitte", flehe ich ihn an. Er steht auf und schaltet die Deckenbeleuchtung aus. Nur der Mond fällt durch die dunklen Vorhänge ins Zimmer und ich rutsche zur Seite. Er zieht mich sofort in eine feste Umarmung, ich spüre seinen warmen Atem in meinem Nacken und schaue Richtung Fenster, wo ein paar Sterne am Himmel blinken.

"Pierre, ich war schwanger", flüstere ich und er hält die Luft an. Stützt einen Arm auf und dreht mich an der Schulter zu sich um. "Was?!"

"Ich war noch ganz am Anfang, vermutlich habe ich die Pille ein paar Mal zu spät eingenommen und so hat die Wirkung nachgelassen. Aber, ich habe es verloren und kann nie wieder eigene Kinder bekommen", ich fange erneut an zu weinen, drehe mich schnell weg und rolle mich zu einer Kugel zusammen. Er legt sich dicht an meinen Rücken, schiebt einen Arm unter mir durch und platziert den anderen über meinen Kopf.

"Gabriella, das-", flüstert er und ich merke, wie er mit sich ringt und Tränen auf meine Schulter tropfen, "tut mir so unendlich leid", er hält mich einfach nur fest, gemeinsam weinen wir um unser verlorenes Glück und ungeborenen Baby, bis wir schließlich erschöpft einschlafen.

Dangerous taste Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt