Ich stand vor meinem neuen Klassenraum und versuchte, gleichmäßig und ruhig zu atmen. Gleich würde ich meine neue Klasse betreten. Die acht A. Frau... Ich hatte ihren Namen schonwieder vergessen. Zumindest war sie bereits vorausgegangen. Da hörte ich, wie sie meinte, es gäbe einen neuen Schüler. Mich. Das war mein Stichwort. Ich atmete ein letztes Mal durch und betrat den Raum. Zum Glück richteten sich nicht sofort alle Blicke auf mich. Das war mein angeborener Vorteil. Da ich ein Oblivion war, konnte mich niemand sofort sehen. Ich wollte mich gerade räuspern, damit ich entdeckt werden konnte, doch da spürte ich bereits Blicke. War ich irgendwie aufgefallen? Nein, war ich nicht. Ich sah mich ganz kurz um. Drei Leute sahen mich an. Unter anderem dieses Mädchen von gestern! Natürlich dachte ich mir. Selbstverständlich ist gerade dieses Mädchen, dass mich gestern am See gestört hat, als ich einen Tasfaren rufen wollte, auch in meiner Klasse. Ich riss mich von ihr los und machte mich bemerkbar. Auf der Stelle schnellten alle Blicke in der Klasse zu mir. Ich versuchte, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Das hätte gerade noch gefehlt. Da erhob die Lehrerin wieder ihre Stimme ≫So ... Wo könntest du dich hinsetzen?≪ sie blickte sich kurz in der Klasse um. Ich tat es ihr gleich ... und stockte. Nicht ernsthaft, oder? dachte ich noch, bevor die Lehrerin den freien Platz ebenfalls entdeckte. ≫Setz dich am besten neben Esca. Sie ist auch eine gute Schülerin. Mit ihr findest du dich bestimmt schnell hier zurecht≪ erklärte sie. Einerseits fand ich es natürlich nicht so gut, dass ich gerade neben Esca sitzen sollte, da diese ... Situation gestern ziemlich peinlich war, aber andererseits war es gut, dass ich in ihrer Nähe sein könnte. Selbstverständlich nur um herauszufinden, weshalb sie mich nicht vergessen hatte. Meine Oblivionkräfte hatten noch nie versagt. Dem musste ich noch auf den Grund gehen. So entspannt wie möglich und mit leicht gesenktem Kopf ging ich zu meinem neuen Platz. Ich wollte mich gerade setzen, als mich die Lehrerin aufhielt. ≫Erzähl uns doch ein bisschen über dich≪ forderte sie mich auf. Ich seufzte so leise, dass es veemutlich nur Esca hören konnte. ≫Gut, also ich bin Xenio, fünfzehn Jahre alt. Ich bin vor zwei Tagen mit meiner Mutter hier nach Eutin gezogen und ja. Das war's eigentlich schon≪ ich hatte wirklich keine Lust, hier mein Leben breit zu treten. Nein danke. Und ich brauchte auch keine neuen Freunde. Ich hatte in München Freunde, wenn auch nicht viele. Aber die reichten mir. Sobald ich dann endlich dazu kam, mich hinzusetzen, wanderte mein Blick wie ferngesteuert zu Esca. Ihre langen blonden Wellen lagen locker auf ihrer Schulter und ein paar Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Die hellgrünen Augen waren verträumt ins Nichts gerichtet. Woran sie wohl dachte, dass sie den Unterricht gar nicht mitbekam?
☽...☾
Als die Pause endlich bagann und ich rausfand, dass meine neue Lehrerin Frau Büttner hieß, waren meine Gedanken ziemlich durcheinander. Eigentlich sollte ich an meinem ersten Tag an der neuen Schule nur mit der Klasse und dem Lehrstoff beschäftigt sein. Doch stattdessen drehten sie sich um ein Mädchen. Ja, um ein hübsches Mädchen. Aber deshalb nicht. Sondern weil irgendwas an ihr anders war. Ich verließ den Klassenraum mit den meisten anderen. Irgendein Mädchen, das Chloè oder so hieß, sah auf dem Schulhof ständig zu mir rüber. Als sie dann auch noch in meine Richtung lief, reichte es mir und ich ergriff so entspannt wie möglich die Flucht. Irgendwann entdeckte ich ein kleines Stückchen Wald. Obwohl man es so eigentlich gar nicht nennen konnte. Es waren ein paar kleine Bäume und in der Mitte ein umgestürtzter. Auf dem saßen drei Mädchen. Eines davon war Esca. Sie und ihre Freundinnen hatten sich offensichtlich zurückgezogen von all den Leuten. Ich entschied mich, an der Gebäudeecke stehen zu bleiben und sie zu beobachten. Ich musst dribgend herausfinden, warum sie mich nicht hergessen hatte. Es funktionierte immer. Nur bei ihr nicht. Wieso? Plötzlich sah ich, dass Yuna und Ayla auf den Weg zu einem Gebäude waren, welches ich als Sporthalle identifizierte. Wo war Esca? Da. Sie kam direkt auf mich zu. Shit. Ich drehte mich auf dem Absatz um und lief um die nächsten Ecken, sodass ich mich nun hinterder Schule befand. Doch mir war klar, dass sie mir hinterher lief. Am liebsten wäre ich geflohen. Aber das hätte wenig gebracht. Da tauchte sie plötzlich bei mir auf. Weil ich direkt an der Ecke stand, lief sie direkt in mich rein und wäre fast gestolpert. Als sie dann wieder einen Schritt zurückgewichen war und mich ansah, wirkte sie verwirrt und gleichzeitig ein bisschen wütend. Trotzdem sah das irgendwie süß aus. Ich öffnete schon den Mund, um sie nach gestern zu fragen, doch da unterbrach Esca mich schon, bevor ich anfangen konnte zu sprechen. ≫Was machst du hier?≪ fragte sie. Ich hatte keine Ahnung, was ich antworten sollte. Mir war völlig klar, dass sie nicht die Schule generell meinte. Doch da erklang das erlösende Klingeln, und bevor sie mich zurückhalten konnte, floh ich geradezu.
☽...☾
Im Englischunterricht musste ich mehrfach von Esca abschreiben. Auf meiner alten Schule hatten wir zwar auch Englisch gehabt, doch nie wirklich viel geschrieben. Und hier durfte ich gleich mit einem Aufsatz starten. Es entging mir nicht, dass Esca es nicht gerade klasse fand, doch sie zog ihr Blatt auch nicht weg. Ganz imm Gegenteil. Als ich so weit war, dass ihre Arme einen Teil verdeckten, schob sie mir den Aufsatz ein bisschen hin und hob ihre Arme an. Oder täuschte ich mich? Doch als sie ihre Arme wieder ablegte und nach ihrem Füller griff, fielen mir glatt die Augen aus dem Kopf und war beinahe überzeugt, Wahnvorstellungen zu haben. Gleichzeitig wurde auf einmal alles logisch. Die Begegnung am See. Das Nicht-Vergessen. Ihre übervorsichtigen Schritte auf nassem Gelände. Dieses Gefühl, sie beschützen zu müssen. Und die Handschuhe. Die Handschuhe. Die Finger abgeschnitten, damit es drinnen nicht zu warm wurde. ≫Was ist?≪ fragte Esca schroff. Ich hätte am liebsten geantwortet Du bist ein Meermädchen! Aber dann hätte sie mich für verrückt erklärt vermutete ich. Außerdem bekam ich keinen Ton heraus. Ich hatte noch nie einen Meermenschen in echt erlebt. Zwar schrieb ich täglich mit anderen Meerkindern und der Alpha Cru, doch jetzt von einem Meermenschen abzuschreiben war was anderes. Genervt über mein Schweigen stöhnte Esca. Doch ich hatte das Gefühl, dass sie damit Unsicherheit überspielte. War es weil sie wusste, dass sie ein Meermädchen war? Oder eher weil sie dachte, sie hätte Kälteurtikaria? Vermutlich letzteres. Außerdem war mir bereits gestern am See etwas anderes aufgefallen. Grün-blau schuppige Haut an einigen Stellen. Also dachte sie wohl auch, dass sie eine seltene Art von Neurodermitis hatte. Zumindest hatte Zuzana, eine Anschu aus der Chatgruppe, gesagt, dass sie das immer dachte, weil es die einzige Erklärung für die Stellen war. Also war Esca offenbar eine Anschu. Da fing sie wieder an zu reden. ≫Ja, ich trage drinnen Handschuhe≪ bemerkte sie. Dann änderte sich für den Bruchteil einer Sekunde etwas in ihrem Gesicht. Sie fing sich jedoch wieder un schob hinterher ≫Tust du ja auch.≪ Esca hatte keine Ahnung, wer ich war. Das war schonmal klar. Aber vielleicht irrte ich mich auch und das alles war bloß Zufall? Nein. Erstens hatte much die Alpha Cru gelehrt, dass es keinen Zufall gab, sondern nur Schicksal, und zweitens wären das zu viele Zufälle und Eindrücke gewesen. Sie war eine Anschu. Da endete auch schon der Unterricht und alle packten zusammen. Inklusive Esca. Sie konnte jetzt doch nicht gehen. Ich musste heraus-
finden, was hier los war. Als beinahe alle den Raum verließen und Esca ihnen folgen wollte, senkte ich meine Stimme so, dass es beinahe ein Flüstern war und sagte zu ihr ≫Warte! Du kannst jetzt doch nicht einfach gehen!≪ Esca drehte sich zu mir. Ich konnte deutlich erkennen, dass sie wütend war. Warum wusste ich nicht. Doch ich ließ mich dadurch nicht beirren. Ich wollte mit ihr über die Meermenschen reden und sicherstellen, dass sie über ihre Herkunft bescheid wusste. ≫Warum kann ich nicht gehen? Bist du noch nicht fertig damit, mich zu veräppeln?≪ Veräppeln? Was meinte sie? ≫Ich habe zwar keine Ahnung, warum du es gerade auf mich abgesehen hast oder woher du weißt, dass mein Dad Hajara sprach, aber das ist mir auch egal. Lass mich bitte einfach in Ruhe!≪ Moment mal. Ihr Vater sprach Hajara? Woher wusste sie das? Aber warum ging sie damit so offen um? Ich erschrak. Sie hatte Hajara gesprochen. Es fiel mir erst jetzt auf, da diese Sprache in Meerkindern tief verankert war. ≫Bist du verrückt?!≪ fuhr ich sie an. ≫Du kannst hier doch nicht einfach auf Hajara rumschreien!≪ Nun wurde Esca rochtig wütend. Warum auch immer. ≫Ich hab dir doch gerade gesagt, bei meinem Vater ist Ende. Da versteh ich keinen Spaß mehr≪ Esca wirkte nicht, als hätte sie eine Ahnung, warum ich sie zurechtgewiesen hatte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Sie wusste nicht, dass sie ein Meermensch war. ≫Du weißt es gar nicht≪ brachte ich nur hervor. Das würde ein langes Gespräch werden ...
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Esca || Alea Aquarius FF
FanficEine Fanfiction von Alea Aquarius, der Buchreihe von Tanya Stewner. 'Esca ist ein vierzehnjähriges Mädchen mit einem ziemlich normalem Leben. Sie hat zwei beste Freundinnen, mit denen sie wenig, aber auch viel gemeinsam hat. Doch wie viel Esca, Yuna...