„Dann können Sie mir doch gewiss dabei behilflich sein, Sie vollends zu verstehen. Nicht wahr, Frau Schröder?“
„Frau Schröder? Frau…Frau Schröder?“
Nicoles fragende Stimme lässt mich meine Augen, welche ich in einem Anflug von Verärgerung über diese leidige Erinnerung geschlossen habe, wieder öffnen, wodurch ich dem sorgenvollen Blick meiner Assistentin begegne, die mit einem Klemmbrett in der Hand und in ihrer charakteristisch aufrechten Haltung mir gegenüber hinter meinem Schreibtisch steht.
„Fahren Sie fort, Nicole.“
„Ähm, sicher“, die dunkelblonde Frau räuspert sich und ist bereits im Inbegriff weiter zu sprechen, als erneut innehält, „aber falls Sie…falls Sie sich nicht wohl fühlen sollten, können wir die übrigen Punkte auch in der folgenden Woche besprech-“
„Wenn ich mich recht entsinne, beinhaltet Ihr Arbeitsvertrag keine Passage, welche Sie dazu verpflichtet oder gar dazu ermutigt, sich um mein Befinden zu sorgen.“
„Natürlich nicht, Frau Schröder. Ich dachte nur…nun ja…“
Die Lider des verunsicherten braunen Augenpaares beginnen zu flattern, als ich meine Augenbraue vor wachsender Ungeduld langsam in die Höhe ziehe.
„Sie sollen nicht denken, Nicole. Sie sollen den Ihnen zugewiesenen Job als meine Assistentin ausführen. Und als solche ist es Ihre Aufgabe, mich am Ende einer äußerst arbeitsintensiven Woche über die gegenwärtigen Ereignisse im Büro und die anstehenden Besprechungen und Termine zu informieren. Also...informieren Sie mich!“
Mein harscher Tonfall lässt meine Assistentin kurz zusammenzucken, ehe sie mit einem weiteren Räuspern und einem daran anknüpfenden Straffen ihrer Schultern endlich fortfährt.„Die…Die Pläne des Böhler-Areals sind zur abschließenden Überarbeitung zurückgekommen. Darüber hinaus hat Herr Dr. Burkhard Wenz den Termin für das gemeinsame Essen am Dienstag um 14 Uhr bestätigt. Er hat einen Tisch im „Le Flair“ reserviert und ich habe bereits ein Taxi bestellt, welches Sie fünfzehn Minuten vorher abholen und vom Büro aus dorthin fahren wird. Und die Assistentin von Herrn Brandes hat mich darüber informiert, dass das Bewerbungsverfahren für die neuen Auszubildenden nunmehr abgeschlossen ist und dass die Einladungen zu den jeweiligen Bewerbungsgesprächen verschickt worden sind.“
„Wie erfreulich“, erwidere ich ohne eine Spur ehrlicher Freude und hoffe inständig, dass Ingo dieses Mal seinen Fokus primär auf die Kompetenz und Eignung der einzelnen Bewerber und nicht auf deren vermeintlichen Charme gelegt hat, während ich meine langen Beine übereinander schlage, „ich nehme an, dass es das dann gewesen sein wird, nicht wahr?“
„Nicht ganz…“
Das verhaltene Zögern in Nicoles Stimme lässt mich wieder zu meiner Assistentin sehen.
„Nicht ganz?“
„Nein“, mein mäßig erbauter Tonfall lässt Nicoles Haltung noch aufrechter werden, als ihre Augen über den offenbar letzten vermerkten Punkt auf ihrem Klemmbrett gleiten, „es gäbe da noch eine zu klärende Frage bezüglich des abendlichen Empfangs und den damit verbundenen Festivitäten am nächsten Samstag hinsichtlich der Fertigstellung des Krokus-Quartiers…“
Natürlich…
Ich spüre, wie das warme Gefühl von Stolz und einer tief greifenden Zufriedenheit meine Brust durchströmt.
Das Krokus-Quartier.
Eines meiner bislang umfangreichsten und prestigehaltigsten Einzelprojekte.
Ein Neubaukomplex, bestehend aus sieben Gebäuden mit insgesamt 230
Eigentumswohnungen, welcher unter Berücksichtigung der teils recht individuellen Kundenwünsche einen adäquaten Raum für ein angenehmes Leben schafft und zudem die zentrale Lage im Herzen der Stadt durch die Anlegung von großzügigen Grünflächen und schattenspendenden Bäumen perfekt abrundet.Ein wahres Meisterwerk aus meiner Feder, welches sowohl bei dem Projektleiter Albert Witting als auch bei Investoren und Kunden gleichermaßen Beigeisterung gefunden und mir in den vergangenen drei Jahren mehr Nächte in meinem Büro als in meinem eigenen Bett beschert hat.
Aber im Vergleich zu dem Ansehen und den Kontakten, welche ich durch den Abschluss dieses einmaligen Bauprojektes erhalten habe, ist dies nur eine kurzlebige Unannehmlichkeit, welche ich jederzeit wieder dafür in Kauf nehmen würde.Und nun, in acht Tagen an dem kommenden Samstag, würde nun endlich der endgültige Abschluss des Projekts bekannt gegeben werden.
Und damit würde sich nun auch für mich ein letztes Mal die Gelegenheit bieten, bestehende Kontakte weiter zu vertiefen und darüber vielleicht auch an neue Projekte zu gelangen…
„Und um was für eine zu klärende Frage handelt es sich dabei, Nicole?“, hake ich nach, als meine Assistentin erneut verstummt ist und stattdessen ihren Blick zwischen ihrem
Klemmbrett und mir hin und her wandern lässt, bis sie schließlich ihren Brustkorb mit einem tiefen Atemzug füllt und ihre Augen vollständig auf mich richtet.„Der Sekretär von Herrn Witting bereitet zurzeit die Gästeliste sowie die entsprechende Sitzordnung vor und bittet Sie um Mitteilung, wer…wer Ihre „Plus-Eins“-Begleitung sein
wird.“Das eben noch so wohlige Stolzgefühl in meiner Brust kühlt schlagartig ab und meine Lippen pressen sich zu einem schmalen Strich aufeinander, welcher durch den zerknirscht wirkenden Blick von Nicole noch dünner wird.
Ebenso wie mir wird auch meiner Assistentin durchaus bewusst sein, dass Arno mich zu all den anfänglichen Veranstaltungen und Feierlichkeiten dieses Projektes begleitet hat.
Ein Umstand, welcher sich durch unser Scheidungsvorhaben jedoch gewiss nicht wiederholen wird.Aber wer sollte mich an Arnos Stelle begleiten?
Und wie sollte ich vor allen Dingen seine Abwesenheit erklären?Während ich mich stets mit den wenigen zielgerichteten Fachgesprächen, welche auf solchen
Veranstaltungen geführt werden, begnügt habe, hat Arno eine regelrechte Freude daran gehabt, Kontakte zu den verschiedensten Menschen zu knüpfen und mit Ihnen über die unterschiedlichsten Themen zu sinnieren, weswegen er dort immer ein gern gesehener Gast gewesen ist.
Was für ein Licht würde es nun auf mich werfen, wenn ich ebendiesen Menschen...diesen potentiellen Geschäftspartnern…unterbreiten würde, dass dieser von Ihnen so wertgeschätzte Gesprächspartner und ich nun in Scheidung leben?„Frau Schröder?“
Nicoles Stimme holt mich erneut aus meinen Gedanken zurück und ich verweile für einen Augenblick in der von mir gewählten Stille, bis meinen Blick hebe und meine Assistentin mit
leicht erhobenem Kinn ansehe.„Richten Sie Herrn Wittings Sekretär bitte aus, dass mein…Mann...unglücklicherweise an diesem Abend verhindert ist. Darüber hinaus können Sie Herrn Wittings Sekretär aber versichern, dass ich ihm am Montag persönlich mitteilen werde, ob ich in Begleitung oder alleine zu dem Empfang erscheinen werde. Und danach dürfen Sie Feierabend machen, Nicole. Zumindest einmal im Monat sollten Sie das Büro an einem Freitagabend ohne Überstunden verlassen.“
Genauso wie ich.
Und zumal ich mich auch noch auf das heutige Treffen mit einer bestimmten jungen Dame vorbereiten muss…
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Sugar & Spice (Johanna & Bianca)
RomanceErfolgreich. Stolz. Und eiskalt. Mit ihrem akribischen Auge fürs Detail zählt Johanna Schröder zu den gefragtesten Architektinnen ihrer Branche. Gleichermaßen gefürchtet und geachtet von ihren Angestellten und Kollegen versteht Johanna es spielend...