# 40 - Dessert (Bianca)

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„Also, das war wirklich vorzüglich“, sagt Ottilie und tupft sich mit einer Serviette über ihren rotgeschminkten Mund, ehe sie sich mit einem Lächeln zu dem Kellner wendet, welcher gerade damit beschäftigt ist, unsere leeren Teller von dem edel gedeckten Restauranttisch abzuräumen, „seien Sie doch so gut und richten bitte dem Küchenchef mein Kompliment und
allerbesten Dank für dieses vortreffliche Essen aus.“

„Das mache ich sehr gern, Frau Breidenbach“, erwidert der dunkelhaarige Mann und nickt Ottilie und mir freundlich lächelnd zu, bevor er sich mit einer leichten Verbeugung von uns rückwärts gehend abwendet.

„Ein charmanter junger Mann. Er erinnert mich fast ein wenig an meinen Gustav in jungen Jahren...aber wie dem auch sei…“
Mit amüsiertem Schmunzeln und einem ungewöhnlich verschwörerischen Blitzen in ihren marineblauen Augen dreht Ottilie ihren Kopf wieder zu mir und lehnt sich ein Stück vor, um ihre Hand sanft auf meiner zu platzieren.
„Kann ich dich noch zu einem Dessert überreden, Liebes?“

„Oh, ich weiß ja nicht, Ottilie“, seufze ich und fahre mir mit einer Hand über den Bereich meiner dunkelgrünen Bluse, unter welcher sich mein Magen verbirgt, „ich bin ehrlich gesagt bereits ziemlich gut gesättigt.“

„Aber für ein Dessert ist doch immer noch Platz, oder?“, entgegnet die Privatierswitwe und zwinkert mir dabei auf diese immer noch merkwürdig verschwörerische Weise zu, während sie meine Hand ein wenig fester drückt, „und außerdem möchte ich nur höchst ungern unseren gemeinsamen Abend bereits jetzt beenden. Ehrlicherweise kommt es mir vielmehr so vor, als hätte er eben erst begonnen. Und wer weiß, ob ich noch einmal so bald die Gelegenheit bekomme, dich zu sehen, wo du doch nun einer anderen beruflichen Tätigkeit nachgehst und in deiner Freizeit sicherlich Besseres zu tun hast, als mit einer Frau voranschreitenden Alters Essen zu gehen.“

„Dafür, dass Sie so eine ausgesprochen gebildete Dame sind, verstehen Sie es, ab und an höchst unsinnige Äußerungen von sich zu geben, Ottilie“, halte ich gegen die Worte der älteren Dame und bedenke sie mit einer hochgezogenen Augenbraue, bevor ich einen ergebenen Seufzer von mir gebe. „Aber gut…um auf ihre ursprüngliche Frage zurückzukommen…ich denke, dass ich mich durchaus noch zu einem Dessert hinreißen lassen könnte.“

„Hervorragend!“ Mit einem zufriedenen Lächeln löst Ottilie ihren beherzten Griff und klatscht stattdessen einmal erfreut in ihre Hände, ehe sie sich mit einem verhaltenen Räuspern von ihrem Stuhl gegenüber von mir erhebt. „Dann werde ich die Gunst der Stunde noch einmal nutzen und mir eben die Nase pudern, bevor wir mit unserem abendlichen Plausch fortfahren. Ich habe im Übrigen gehört, dass es hier eine ausgezeichnete Orangen-Crème-Brûlée geben soll. Oder vielleicht doch lieber das Weiße Schokolade-Parfait mit Rotweinsauce? Ach, wir werden uns schon entscheiden. Und zur Not nehmen wir eben beides, nicht wahr?“

Ich lächle über das beinahe jugendlich vergnügte Kichern der Privatierswitwe und spüre, wie sie mit einer Hand versonnen über meine Schulter streicht, als sie an meinem Stuhl vorbei und dem Klang ihrer Schritte zufolge zum Saalausgang geht, in dessen Nebengang sich die Toilettenräume des Restaurants befinden.

Bereits zu Beginn unseres Treffens konnte ich beobachten, wie sich die angestaute Spannung in dem Nacken- und Schulterbereich der älteren Dame nach und nach gelöst hat, so wie jedes Mal bei einem Treffen zwischen uns Beiden.

Schon damals bei unserem allerersten Treffen ist mir aufgefallen, dass meine bloße Präsenz eine befreiende  Wirkung auf Ottilie zu haben scheint, auch wenn mir bis heute nicht so ganz klar ist, woher diese Wirkung kommen soll oder weswegen sie gar zustande gekommen ist…

Anfangs habe ich vermutet, dass Ottilies unerwartete Großzügigkeit und Zuneigung mir gegenüber von einem unerfüllten Bedürfnis nach weiblicher Gesellschaft und Intimität getrieben wird, aber nachdem Ottilie mir unzählige Geschichten und Anekdoten aus ihrem erfüllten Eheleben mit ihrem verstorbenen Gustav erzählt hat, habe ich diesen Gedanken rasch wieder verworfen.

Bis heute ist es mir ein Rätsel, weshalb diese elitäre Dame ein derartiges Gefallen an mir gefunden hat, aber vielleicht wird sie mir ja eines Tages den Grund dafür nennen oder zumindest näher umschreiben.

Im Fokus sollte jedoch in erster Linie die Zeit sein, welche Ottilie und ich gemeinsam verbringen.
Denn, wenn ich ganz ehrlich bin, ist Ottilies reine Anwesenheit für mich ebenfalls außergewöhnlich befreiend…

„Sie können es wohl kaum erwarten, eines der verlockenden Desserts auszuwählen, oder?“, frage ich, als ich das näher kommende Absatzklacken hinter mir vernehme, bevor ich über die unerwartete Frische des aufkommenden Parfums stütze, welches mir mit einem Mal in die Nase steigt.

Dieser Duft…
Diese frische Nuance…

Aber das…d-das ist d-doch…

„Guten Abend, Bianca.“

Ich spüre, wie mein Herz einen Aussetzer bei dem Klang der mir allzu vertrauten Stimme macht und balle meine Hände über die wachsende Anspannung in meinem Körper zu Fäusten, als ich meinen Kopf langsam zur Seite drehe und geradewegs in das sturmgraue Augenpaar von Frau Schröder über mir blicke…

Sugar & Spice (Johanna & Bianca)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt