# 14 - Nähe (Bianca)

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Ein verhaltener Seufzer verlässt meine Lippen, als ich mich gegen die steinerne Brüstung der weitläufigen Terrasse lehne, welche einen guten Blick auf die kleine Parkanlage hinter dem Festgebäude bietet.

Noch bei Ottilies und meiner Ankunft vor nicht einmal zwei Stunden hatte man die satten Farben der unzähligen Blüten und die kunstvoll geschnittenen Formen des üppigen Buschwerks bewundern können, welche nun jedoch beinahe gänzlich in die Dunkelheit des vorangeschrittenen Abends getaucht worden sind.
Lediglich das sanfte Zirpen der Zikaden lässt noch vermuten, dass man sich in unmittelbarer Nähe dieses kleinen Paradieses befindet.

Genießerisch schließe ich die Augen und spüre, wie fernab des rauschenden Trubels im Saal hinter mir meine Gedanken zum ersten Mal in den vergangenen Tagen zur Ruhe kommen.

Zumindest einigermaßen, denn ein Teil davon verweilt noch immer bei dem Moment, als ich auf Frau Schröder getroffen bin…

Mein Atem zittert, als ich meinen Brustkorb langsam mit Luft fülle und meine Augen mit einem leichten Flattern meiner Lider wieder öffne.

Auch wenn Frau Schröder, meinem bisherigen Eindruck zufolge, eine Frau zu sein scheint, die es versteht, ihre Gefühlsregungen hinter einer Miene aus distanzierter Erhabenheit und pedantischer Gründlichkeit zu verbergen, habe ich dennoch einen Riss in dieser so vollkommen wirkenden Fassade erkennen können, als ihr Blick auf mich gefallen ist.

Es ist nur ein Sekundenbruchteil gewesen.

Ein kurzes, leicht übersehbares Aufblitzen ihres grauen Augenpaares.

Und dennoch hatte dieser bruchstückhafte Moment ausgereicht, um zu verraten, wie verblüfft sie über meine Anwesenheit gewesen ist.

Verblüfft…und sichtlich erzürnt, wovon jedoch glücklicherweise weder Ottilie noch dieser Projektleiter Herr Witting etwas bemerkt haben.
Oder zumindest haben sie nichts erwähnt, was diesen Anschein erwecken könnte…

Weder, dass Frau Schröder meine Anwesenheit mehr als missfallen hat, noch, dass wir uns bereits bekannt gewesen sind…

Aber wiederum habe ich mich auch wenige Minuten nach dem gemeinsamen Anstoßen unter einem Vorwand zurückgezogen und bin erst wieder zu Ottilie zurückgekehrt, als Frau Schröder sich von ihr und Herrn Witting wieder entfernt hatte, wodurch ich etwaige Vermutungen in diese Richtungen hoffentlich zerstreuen konnte…

„Hier haben Sie sich also versteckt.“

Der Schauer, der mich beim Klang von Frau Schröders eisiger Stimme herumfahren lässt, wird nur noch durch den Schauer übertroffen, welcher mich bei ihrem Anblick kribbelnd und wohlig warm überkommt.

Schon als sie noch in ihre Unterhaltung mit Ottilie und Herrn Witting vertieft gewesen ist, ist mir aufgefallen, wie makellos sich der schwarze Stoff des einschultrigen Kleides an Frau Schröders verführerische Figur schmiegt und einen durchaus verlockenden Blick auf ihre freigelegte linke Schulterpartie und ihren cremefarbenen Hals- und Nackenbereich preisgibt.
Ihr engelblondes Haar ist in einem strengen Knoten zurückgebunden, welchem lediglich eine Strähne entweichen konnte.
Es ist dieselbe Strähne, welche sich bereits bei unserem ersten Treffen so widerspenstig verhalten hat und nun in gewellter Form Frau Schröders Gesicht einseitig umrahmt.
Ein recht verspielter Kontrast zu den verhärteten Zügen, mit welchen mich die begnadete Architektin begutachtet…

Ich schlucke, behalte meine aufrechte Haltung jedoch bei.

„Ich habe mich nicht versteckt. Ganz im Gegenteil, ich…"

„Verschonen Sie mich bitte mit Ihren drittklassigen Ausflüchten, Bianca!“, schneidet Frau Schröder mir mit einem hochmütigen Naserümpfen das Wort ab, bevor sie sich mit absatzklappernden Schritten auf mich zu bewegt. „Vielmehr würde mich interessieren, weshalb Sie heute Abend hier sind?“

Sugar & Spice (Johanna & Bianca)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt