# 12 - Befürchtungen (Bianca)

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„Hui, du siehst ja schick aus“, flötet Merle mir entgegen und lehnt sich mit einem kecken Schmunzeln auf dem Sofa zurück, als ich das Wohnzimmer betrete. „Die Dame, die du heute Abend treffen wirst, kann sich wirklich glücklich schätzen, dich an ihrer Seite zu haben.“

„Woher willst du denn wissen, dass es eine Dame ist?“, frage ich mit einem
verschwörerischen Lächeln, was Merle jedoch nur die Zunge rausstrecken lässt und ihr Zungenpiercing mir dadurch entgegenblitzt.

„Oh, komm schon“, sagt sie und lässt ihre grünen Augen von oben nach unten über mich gleiten, „ich glaube nicht, dass du versuchen würdest, einen Geschäftsmann oder einen anderen wohlhabenden Kunden des männlichen Geschlechts mit diesem Womanizer-Outfit zu verführen. Da würdest du dich eher in eines dieser engen Cocktailkleider quetschen, bei denen ich vom Ansehen schon Schnappatmungen bekomme.“

„Vielleicht. Auch wenn ich dich dahingehend korrigieren muss, dass ich ganz sicher niemanden meiner Kunden verführen möchte“, erwidere ich und stocke kurz in meinem Gang zur Kommode, als Frau Schröders Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde vor meinem inneren Auge aufflackert.

Ein eigentlich recht angenehmes Bild, welches jedoch einen Gedanken zu Tage fördert, den ich in der vergangenen Woche immer wieder bewusst verdrängt habe.
Ein Gedanke, welcher mehr einer Befürchtung gleicht…

„Ach ja? Und wofür genau wirst du dann bitte bezahlt, hm?“, entgegnet Merle und schmunzelt erneut, bis sie bemerkt, dass ich mitten im Raum stehen geblieben bin und sich mit einem Ruck wieder aufsetzt.

„Was ist los? Fühlst du dich nicht gut? Ist dir schlecht?“

„Nein, ich…alles in Ordnung, Merle.“

„Hör auf mich zu verarschen! Du bist weißer als die Wand! Also raus damit, was ist los?“

Ich zögere und beginne, nachdenklich auf meiner Unterlippe zu kauen.

Wenn ich meine Befürchtungen mit Merle teile, werde ich auch notgedrungen etwas von meiner Arbeit mit ihr teilen müssen.
Und das habe ich bislang noch nie gemacht.
Zum einen, weil ich zur Verschwiegenheit verpflichtet bin und zum anderen, weil ich diese teils sehr persönlichen Dinge, die mir anvertraut werden und die ich erlebe, aus Respekt gegenüber meinen Kundinnen und Kunden niemals mit einer außenstehenden Person teilen
würde.
So etwas gehört sich einfach nicht.
Und dennoch…

Ich spüre, wie meine Gedanke zurück zu dem Bild von Frau Schröders Gesicht wandern, während Merle sich von dem Sofa erhebt und sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor
mir aufbaut.

„Also, entweder sagst du mir in den nächsten fünf Minuten, was dich gerade so krass aus der Bahn geworfen hat oder ich schnappe mir die Handschellen aus deiner Toykiste und kette dich für den Rest des Abends an dein Bett.“

„Was?!“ Ich starre Merle mit weit aufgerissenen Augen an, deren Drohung wie ein Eimer kaltes Wasser mit einer anschließenden Ohrfeige auf mich gewirkt hat. „Woher weißt du, dass…“

„Du solltest deine Sachen nach einem deiner ominösen Treffen eben nicht so nachlässig wegräumen, wenn du weißt, dass ich am nächsten Tag Putzdienst habe“, schneidet Merle mir das Wort mit einem selbstgefälligen Lächeln ab und zieht ihre Augenbraue vielsagend hoch, bevor ihr Blick wieder ernster wird, „so, und jetzt lenk nicht ab und sag mir endlich, warum du gerade so schlagartig erstarrt bist. Liegt es vielleicht an dem Treffen heute Abend?“

„Ja…und nein…“

„Und was soll das jetzt wieder bedeuten?“

Ich seufze tief und betrachte Merle, die meinen Blick fest erwidert, während die Finger ihrer rechten Hand ungeduldig auf den oberen Teil ihrer noch immer verschränkten Arme trommeln.

Eine Notlüge wäre zwecklos.
Dafür kennt Merle mich mittlerweile zu gut.
Zumal ich ihr durchaus zutrauen würde, ihre Drohung mit den Handschellen wahrzumachen, wenn sie merkt, dass ich ihr etwas vormache…

„Nun gut“, ich räuspere mich und kann aus den Augenwinkeln förmlich sehen, wie sich Merles Ohren spitzen, als ich meinen Blick ein wenig senke, „ich werde dir erzählen, was mich beschäftigt. Aber in grober Form und ohne irgendwelche Namen oder nähere Details zu nennen, einverstanden?“

„Klar“, entgegnet Merle, während sie die verschränkten Arme vor ihrer Brust löst und ihre Hände stattdessen in ihre Hüften stemmt. „Und jetzt schieß schon los. Es geht also tatsächlich um deine Arbeit?“

„Ja“, ich nicke leicht und hole einmal tief Luft, bevor ich weiterspreche, „ich begleite heute Abend eine Dame auf eine wichtige Veranstaltung. Und auch wenn ich mir anfänglich bei der Zusage nicht sonderliche Gedanken darum gemacht habe, haben sich während der Woche immer mehr die Befürchtungen in mir gefestigt, dass ich dort eine weitere Dame antreffen
werde, die mir bekannt ist.“

„Eine Dame, die nichts von deiner Arbeit weiß?“, hakt Merle mit hochgezogener Augenbraue nach, woraufhin ich mit dem Kopf schüttle.

„Beide Damen sind Kundinnen von mir. Die Dame, die ich heute Abend begleite, schon seit einigen Jahren. Mit der anderen Dame habe ich mich erst zweimal getroffen, wobei das
zweite Treffen…nun ja…“

Ich spüre, wie meine Wangen sich über diese Erinnerung erwärmen und mein Körper vor Scham erschauert.

Merles Mundwinkel heben sich zu einem verschlagenen Lächeln. „Ihr seid euch näher gekommen, stimmt’s?“

„Ja, schon“, ich schlucke den sich anbahnenden Kloß in meinem Hals hinunter, „aber das scheint wohl nicht in ihrem Interesse gewesen zu sein. Zumindest hatte sie mir äußerst deutlich zu verstehen gegeben, dass sie meine Annährung keinesfalls gewünscht hat und dass sie sich auch in Zukunft nicht mehr mit mir treffen möchte.“

„Okay, das überrascht mich jetzt ehrlich gesagt“, erwidert Merle, wobei ihre Stirn sich nun in Falten legt. „Ich meine, du machst diese Arbeit schon so lange und ich kann durchaus bestätigen, dass du ein äußerst gutes Gespür dafür hast, Menschen zu lesen.“

„Das habe ich eigentlich auch immer gedacht. Und ich bin auch immer noch der festen Überzeugung, dass ich ihre Signale richtig gedeutet habe. Aber ihre abweisende Reaktion und deren Heftigkeit haben mich…na ja…dann doch irgendwie ein wenig verunsichert“, murmle ich und seufze erneut, „und dass ich sie heute Abend wahrscheinlich wieder sehen werde und noch dazu ohne ihr Wissen, trägt nicht unbedingt dazu bei, dass ich mich besser fühle.“

„Wieso glaubst du denn, dass du sie heute Abend auf dieser Veranstaltung sehen wirst?“, fragt Merle und streicht mir aufmunternd über die Schulter, woraufhin ich wieder zu meiner Mitbewohnerin aufschaue.

„Sie ist heute Abend ebenfalls auf einer Veranstaltung eingeladen. Und es wäre schon ein äußerst eigenartiger Zufall, wenn an einem Tag zwei Veranstaltungen dieser Art und Größe in einer Stadt stattfinden. Zumal die Branche durchaus zu ihrem Beruf passen würde.“

„Verstehe“, Merle nickt langsam, bevor ihre Miene wieder verschlagene Züge annimmt, „na, dann wird sich diese mysteriöse Dame heute Abend aber ordentlich in ihren eigenen Hintern dafür treten, dass sie dich zurückgewiesen hat, wenn sie sieht, wie unwiderstehlich du in diesem Outfit aussiehst.“

Obwohl mir nicht danach ist, verdrehe ich über Merles Bemerkung und ihr freches Zwinkern mit einem leichten Lachen die Augen.

„Wenn du das sagst…“

„Ich sage es nicht nur, ich weiß es“, entgegnet Merle in einem bestimmenden Tonfall und dreht sich um, um nach meinem Schlüsselbund auf der Wohnzimmerkommode zu greifen und sich wieder zu mir zu wenden, „hier. Deswegen bist du doch ursprünglich ins Zimmer gekommen, oder?“

„Ja, stimmt“, erwidere ich und atme einmal tief durch, als Merle den Schlüsselbund in meine Handfläche fallen lässt, „danke, Merle.“

„Ich bitte dich, dafür sind Mitbewohnerinnen doch da. Es sei denn du möchtest dich für mein offenes Ohr erkenntlich zeigen und für eine Woche meinen Spüldienst übernehmen?“

„Vergiss es“, entgegne ich und muss erneut lachen, diesmal etwas lauter, während Merle ergeben mit ihren Schultern zuckt.

„Na ja, hätte ja klappen können. Aber egal, dann viel Erfolg für dein Treffen und verdreh nicht allzu vielen Damen den Kopf.“

Sugar & Spice (Johanna & Bianca)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt