# 36 - Eine Chance (Bianca)

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„Hast du denn schon mal in einem Supermarkt oder generell im Einzelhandel gearbeitet?“

Ich schlucke hart über Bastis Frage und beginne auf meiner Unterlippe zu kauen, während meine Finger sich etwas fester um Merles Handy schließen.

Eigentlich hatte meine Mitbewohnerin in ihrer Mittagspause nur kurz ihren Bruder nach einer möglichen Arbeitsstelle für mich fragen wollen, aber dass Basti dies wiederum gleich als Anlass für ein spontanes Bewerbungstelefonat nutzen wollte, hätten weder Merle noch ich erwartet.

„Ich…ähm…nein, bislang nicht“, erwidere ich auf Bastis Frage und werfe Merle einen verunsicherten Blick zu, woraufhin diese lediglich eine Augenbraue hochzieht.
Sie kann ja nicht hören, welche Fragen ihr Bruder mir stellt…

„Hey, kein Ding“, fährt Basti fort und ich glaube für einen Moment das typische Schmunzeln seiner Schwester in seiner Stimme zu hören, „dann lernst du es wenigstens gleich von Anfang an richtig. Hast du denn im Allgemeinen schon mal irgendwo gearbeitet oder Berufserfahrung
gesammelt?“

Und damit wären wir bei meiner Lieblingsfrage angelangt…

„Ähm…ja“, murmle ich und hole tief Luft, bevor ich weiterspreche, „ich...ich war für mehrere Jahre im Escortservice tätig.“

„Woah, okay“, Bastis belustigter Ausruf lässt mich für einige Sekunden die Augen fest zusammenkneifen und den Atem anhalten, bis er endlich weiterspricht, „na, dann hoffe ich doch mal, dass dir unser Job im Vergleich zu deinen bisherigen Erfahrungen nicht allzu glanzlos vorkommen wird. Unser Lager oder die Kasse können bestimmt nicht mit den piekfeinen Restaurants oder glamourösen Veranstaltungen mithalten, die du in der Zeit wahrscheinlich besucht hast.“

W-Was?

Ungläubig verharre ich in stocksteifer Position und bekomme selbst Merles energisches Handwedeln vor meiner Nase nur am Rande mit, da meine Gedanken noch immer Bastis Worten nachhängen.

„D-Das…das heißt…ich hab den Job?“, frage ich schließlich und blinzle immer noch abwesend vor mich hin, während Merle mir breit grinsend ihre beiden gehobenen Daumen
entgegenstreckt.

„Klar. Dein bisheriger Beruf zeigt, dass du ein Händchen für Menschen haben musst und solche Mitarbeiter können wir immer gebrauchen. Und den Rest bringen mein Team und ich dir wie gesagt schon bei. Ich kann dir allerdings erst mal nur einen Aushilfsjob anbieten, aber wenn du dich gut anstellst, wovon ich ausgehe, kannst du auf Teil- oder Vollzeit aufstocken. Passt das für dich?“

„Ä-Äh, j-ja…ja, klar“, erwidere ich mit einem leicht überforderten Nicken, „d-das…das passt vollkommen für mich.“

„Prima, dann komm doch morgen einfach gegen Mittag vorbei, wir regeln das Schriftliche und bequatschen deine ersten Schichten, okay?“

„Okay, das…das klingt gut“, ich nicke erneut zustimmend, diesmal um einiges bekräftigender, während mein Blick Merles zufriedene Miene streift, „dann...ähm…danke, Basti. Wirklich, tausend Dank.“

„Nicht dafür. Freunde meiner kleinen Schwester sind auch meine Freunde“, entgegnet Basti, wobei ich erneut anhand seiner Stimme das vielsagende Schmunzeln auf seinen Lippen vermute, „also, bis morgen dann!“

„Ja, bis morgen. Und danke nochmal“, wiederhole ich erneut und lege mit einem Lächeln auf, während Merle triumphierend eine Hand in die Hüfte stemmt.

„Und?“, fragt sie und nimmt ihr Handy, welches ich ihr hinhalte, mit ihrer anderen Hand entgegen, „hab ich den besten Bruder oder hab ich den besten Bruder?“

„Den allerbesten Bruder“, erwidere ich lachend und seufze befreit auf, während Merle ihr Handy breit grinsend in ihrer hinteren Hosentasche verschwinden lässt.

Ich…ich kann es nicht fassen!
Ich hab einen Job!
Einen Job außerhalb des Escortbereiches!

Das ist meine Chance!
Und ich werde sie nutzen!
Zu einhundert Prozent!

Und wer weiß…vielleicht…vielleicht wird am Ende ja doch noch alles wieder gut…

Sugar & Spice (Johanna & Bianca)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt