Sugar & Spice (Johanna & Bianca)

# 43 - Gedankenstrudel (Johanna)

Schweigend schaue ich durch mein Wohnzimmerfenster über die vereinzelt scheinenden Lichter der Stadt, welche zu dieser späten Stunde noch glühwürmchengleich in den Fenstern einige Häuser flackern.

Eine angenehme Kühle dringt durch den Spalt meines auf Kipp gestellten Fensters und streicht auf lindernde Weise über meine Augen, die von den Tränen der vergangenen Stunden
arg in Mitleidenschaft gezogen worden sind.

Im Nachhinein kann ich nicht sagen, wie lange ich zusammengekauert und mit tränenüberströmten Gesicht vor dem Restaurant gehockt habe, bis Passanten mich auf meinen desolaten Zustand angesprochen und mir ihre Hilfe angeboten hatten, was ich natürlich kategorisch abgelehnt und mich mit dem letzten Rest an erzwungener Würde von dem Restaurant entfernt habe.
Trotzdessen bin ich danach ziellos durch die Straßen der Stadt geirrt, wobei ich immer wieder äußerst fragwürdig von einigen Menschen begutachtet worden und letztendlich irgendwann vor meiner Wohnungstür aufgeschlagen bin…

Ich verziehe das Gesicht über das unbehagene Gefühl, welches bei diesen Erinnerungen in meinem Körper aufsteigt und verschränke mit einem tiefen Atemzug meine Arme vor der Brust.

Mein Verhalten an diesem Abend ist durchweg beschämend gewesen…
Nicht nur dieses armselige Kauern vor dem Restaurant und das daran anknüpfende wahllose Wandeln durch die Stadt, sondern auch mein erbärmliches Gestammel gegenüber Bianca…

Mein Brustkorb rasselt beim Einatmen und ich verschränke meine Arme noch etwas fester ineinander.

Wieso habe ich keinen Ton rausbekommen?
Ich hatte mir doch alles so perfekt zurechtgelegt!
Jeder einzelne Satz!
Jedes einzelne Wort!

Und trotzdem…nichts!
Nicht mal ein einzelner Laut hat meine Lippen verlassen!
Das…das kann doch alles nicht wahr sein!

Kopfschüttelnd über mich selbst schließe ich meine Augen und atme erneut tief ein, diesmal um einiges langsamer.

Ich mag mir gar nicht ausmalen, was Bianca nun über mich denken mag...

Und Ottilie Breidenbach…sie hat mir schließlich nicht grundlos dazu geraten, die Chance auf ein klärendes Gespräch mit Bianca zu nutzen.

Und was mache ich?

Ich lasse diese einmalige Chance nicht nur arglos verstreichen, sondern bringe es obendrein nicht einmal fertig, Bianca die Stirn zu bieten, als sie sich über mich und mein Verhalten echauffiert…

Dieser…dieser ganze Abend ist eine einzige Bloßstellung meiner Person gewesen…

Ich kneife die Lider meiner Augen noch etwas fester aus Wut über mich selbst zusammen und spüre, wie ein schmerzhafter Stich meinen Oberkörper durchstößt.

Herrgott, was stimmt denn nur nicht mit mir?

Ich erkenne mich überhaupt nicht wieder!

Seit dem Tag, an dem ich Bianca kennengelernt habe, treiben mich diese unstetigen Emotionen und körperlichen Empfindungen in den Wahnsinn!

Warum empfinde ich seit unserem allerersten Treffen diese seltsam vertraute Bindung zu ihr?!
Warum dominiert diese Frau seit unserer Auseinandersetzung in meinem Büro jeden einzelnen meiner Gedanken?!
Warum ist es mir so unerklärlich wichtig gewesen, ein klärendes Gespräch zu suchen und mich bei ihr zu entschuldigen?!
Und warum…in Gottes Namen warum…bin ich nach ihren Worten draußen vor dem Restaurant derart zusammengebrochen?!

Ich verstehe es nicht!

Ich…ich verstehe…mich nicht…

Ich löse meine verschränkten Arme mit einem kraftlosen Seufzer und umfasse stattdessen mit deren Händen die Ränder des kalten Marmorfensterbrettes, während ich meine Augen langsam wieder aufschlage und hinaus in die nächtliche Dunkelheit blicke.

Vielleicht…vielleicht ist es unter diesem Aspekt ja gar nicht so verkehrt, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist…

Bianca hat schließlich mehr als deutlich gemacht, dass sie mich nicht mehr sehen möchte…

…und vielleicht…vielleicht ist es auch so das Beste…sowohl für Bianca als auch für mich…

Ein abruptes Klingeln lässt mich erschrocken zusammenzucken und einige Augenblicke später mit gerunzelter Stirn herumfahren.

Das…das war doch…meine Wohnungstür?!