# 42 - Hoffnungsschimmer (Bianca)

662 97 18
                                    

„Alles in Ordnung, Liebes?“

Ich muss meinen Kopf nicht heben, um Ottilies Anwesenheit zu spüren, die mit zögernden Schritten neben mich getreten ist und mich nun mit einem besorgten Blick aus ihren
marineblauen Augen betrachtet.

Stattdessen starre ich weiter auf die schneeweiße Decke auf dem Restaurranttisch vor mir und übe mich in mehreren tiefen Atemzügen, in der Hoffnung, auf diese Weise wieder die Kontrolle über das in mir tobende Gefühlschaos zu erlangen.

Wut.
Trauer.
Scham.
Enttäuschung.
Fassungslosigkeit.

Nicht mal, wenn mein Leben davon abhinge, könnte ich sagen, welches dieser äußerst prägnanten Gefühle ich am meisten in mir verspüre.

„Bianca?“ Ein sanfter Druck an meiner Schulter verrät mir, dass Ottilie ihre Hand auf ebendieser platziert hat. „Es…es tut mir Leid, Liebes.“

Was?

Irritiert ziehe ich meine Augenbrauen zusammen und wende nun doch meinen Kopf zu der alten Dame empor, deren Gesicht zu meiner noch größeren Verwunderung einen
ungewöhnlich schuldbewussten Ausdruck trägt.

Aber weshalb sollte Ottilie sich schuldig fühlen?
Sie hat doch nichts falsch gemacht…es…es sei denn…

„Sie…Sie haben es gewusst, oder?“, frage ich tonlos und drehe mich auf dem Stuhl noch ein wenig mehr zu Ottilie, als ich die Privatierswitwe hart schlucken sehe, „Sie haben gewusst, dass Frau Schröder heute Abend hier erscheinen würde und haben sich dann absichtlich entschuldigt, damit sie ungestört mit mir sprechen kann, richtig?“

Auch wenn ihr Mund sich zu einem schmalen Strich verformt hat und ihr Griff um meine Schulter sich etwas mehr festigt, hält Ottilie meinem durchdringenden Blick stand, bis schließlich ein schwerer Seufzer ihre Brust verlässt und sie ihre Hand langsam von meiner Schulter löst.

„Ja, ich habe davon gewusst“, gibt die weltgewandte Dame mit einem weiteren Seufzer zu und nimmt gegenüber von mir auf ihrem Stuhl Platz, „und ich habe Frau Schröder auch dazu geraten, ihre Chance zu nutzen. Und glaub mir…dass sie dies nicht getan hat, enttäuscht mich
ebenfalls unfassbar.“

„Ihre Chance?“, wiederhole ich Ottilies kryptische Andeutung und runzle meine Stirn erneut, wobei meine Falten sich um einiges tiefer in meine Haut graben, „von was für einer Chance sprechen Sie denn da?“

„Nun“, setzt Ottilie an und räuspert sich kurz, bevor sie weiterspricht, „Frau Schröder hatte unter einem Vorwand Kontakt zu mir aufgenommen und mich während unseres Treffens darum gebeten, ihr dabei behilflich zu sein, ein Gespräch zwischen ihr und dir zu arrangieren.
Sie schien aus einem mir unbekannten Grund anzunehmen, dass wir trotz deines Austritts aus der Agentur noch in Kontakt stehen würden, womit sie ja tatsächlich auch richtig gelegen hat. Und auch wenn sie mir keine Details genannt hatte, konnte sie mir glaubhaft versichern, dass sie sich in allererster Linie mit dir treffen wollte, um sich bei dir zu entschuldigen, weswegen es mich umso mehr enttäuscht und auch verärgert, dass sie es nicht getan hat.“

„Moment mal“, sage ich und hebe eine Hand, während meine stockenden Gedanken versuchen, einigermaßen mit Ottilies Erklärungen mitzuhalten, „Frau Schröder…sie…sie hat Ihnen gesagt, dass sie sich bei mir entschuldigen wollte?“

„Ganz richtig“, erwidert Ottilie mit einem zustimmenden Nicken, „auch wenn sie, wie ich schon sagte, nicht näher auf die genauen Umstände oder ihre Beweggründe eingegangen ist, hat Frau Schröder mehrmals gesagt, dass sie sich dir gegenüber nicht richtig verhalten und dir Unrecht getan hat, weshalb sie dich auch sehen und dir dies persönlich sagen wollte. Deswegen bat sie mich um Hilfe. Und nach ein wenig Bedenkzeit habe ich mich dazu
entschlossen, ihr diese Hilfe zu gewähren…“

„…indem Sie mich in dem falschen Glauben ließen, dass Sie mich vermisst hätten und deshalb mit mir zu Abend essen wollten, nur um im Nachgang für dieses Aufeinandertreffen zwischen Frau Schröder und mir zu sorgen“, beende ich den Satz der Privatierswitwe mit
bitterem Unterton, woraufhin diese nur den Kopf schüttelt.

„Ich habe dich in keinem falschen Glauben gelassen, Bianca. Ich habe dich vermisst. Wirklich. Unsere Gespräche und deine unbekümmerte und weltoffene Art gehören zu den wenigen Dingen, die mein Leben trotz des vorangeschrittenen Alters noch lebenswert machen. Und aus diesem Grund allein habe ich auch zugestimmt, Frau Schröder behilflich zu sein.“

„Das…das verstehe ich nicht“, entgegne ich und ziehe langsam eine Augenbraue hoch, „was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

„Nun…“ Ottilie zögert, so als würde sie ihre Worte mit Bedacht wählen wollen, bevor sie weiterspricht, „ich...ich nehme an, dass…dass du für Frau Schröder romantische Gefühle
entwickelt hast. Oder liege ich mit dieser Annahme etwa falsch?“

W-Was?

Ich spüre, wie meine Wangen um einiges wärmer werden, während ich die Privatierswitwe aus geweiteten Augen anstarre und in meinem gänzlich leeren Kopf nach irgendwelchen Worten suche.

„D-Das…i-ich…w-wie…wie kommen Sie darauf, Ottilie?“

„Es schien mir die einzig logische Erklärung zu sein“, entgegnet Ottilie schlicht, wobei ihre marineblauen Augen mich nun äußerst aufmerksam beobachten. „Für deinen kurzzeitig
aufbrausenden Auftritt bei unserem letzten Treffen. Für deinen überstürzten Austritt aus der Agentur. Für dein gesamtes Verhalten in letzter Zeit. Zumal du mehr oder weniger indirekt angedeutet hattest, dass dich eine Liebesangelegenheit so derartig beschäftigt. Und als Frau Schröder mir erzählte, dass sie sich dir gegenüber ungerecht und falsch verhalten hätte, habe ich eins und eins zusammengezählt. Ich hatte gehofft, dass du dich durch eine Aussprache mit Frau Schröder besser fühlen würdest und habe ihr lediglich aus diesem Grund geholfen, dieses Treffen zu arrangieren. Weil mir dein Wohlbefinden am Herzen liegt, Bianca. Also sag mir schon, Liebes...habe ich Recht? Hast du romantische Gefühle für Frau Schröder entwickelt?“

Mein Hals schnürt sich zusammen und ich bin mir sicher, dass meine Wangen mittlerweile einem Inferno gleich glühen müssen, bis ich schließlich mit einem kraftlosen Seufzer meinen Blick senke.

„Das…das spielt doch keine Rolle mehr“, sage ich leise und schlucke hart über meine eigenen Worte, „ich habe Frau Schröder alles gesagt, was ich ihr zu sagen hatte. Und damit ist die Sache endgültig vom Tisch.“

„Das sehe ich anders.“ Ottilies Einwand lässt mich mit einem sowohl frustrierten als auch hilflosen Blick wieder zu ihr sehen, von dem sich der kryptische Ausdruck auf dem Gesicht der alten Dame jedoch nicht beirren lässt. „Ich bin mir sicher, dass du ihr eine überaus wichtige Sache verschwiegen hast. So wie sie dir offenbar auch noch lang nicht alles gesagt hat, was sie dir sagen wollte. Und deshalb denke ich auch, dass ihr noch einmal miteinander sprechen solltet…“

Sugar & Spice (Johanna & Bianca)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt