„Ich schwöre dir, das hat er vorher noch nie gemacht“, sagt Merle und kaut mit zerknirschtem Blick auf ihrer Unterlippe, während ich das weiße Pflaster über den langen Kratzer auf meinen Unterarm klebe.
„Jetzt mach dir doch deswegen keine Gedanken“, entgegne ich und schenke meiner besorgten Mitbewohnerin ein versicherndes Lächeln, „ich bin mir sicher, dass Kasimir mich nicht verletzen wollte. Er war einfach ein bisschen zu enthusiastisch beim Spielen.“
„Ja, das stimmt wohl“, erwidert Merle und lehnt sich mit einem leisen Seufzer gegen den Empfangstresen im Eingangsbereich des Tierheims, „der kleine Kerl liebt Spielen über alles, was es noch viel herzzerreißender macht, dass er keinen einzigen Interessenten hat. Schwarze Katzen und Kater werden leider immer noch sehr doll mit dem Unglücksklischee in
Verbindung gebracht. Dabei könnte Kasimir keiner Fliege was zu Leide tun. Er würde sich eher aus Angst vor ihr verstecken.“Ich bedenke Merle mit einem mitfühlenden Lächeln, als meine Mitbewohnerin sich mit einem langen Seufzer über ihre dunklen Stoppeln fährt.
So hart und abgebrüht, wie sie äußerlich durch ihren fast vollständig geschorenen Kopf und ihre Smokey-Eyes wirkt, so einfühlsam und zart ist sie im Inneren, wenn es um das Wohl eines ihrer Schützlinge geht.
Fast so, als würde sie deren Leid am eigenen Leib erfahren.
Sei es bei Kasimir, bei Millie oder bei einem anderen Tier.„Wenn du magst, kann ich gerne ab und an vorbei kommen und ein bisschen mit Kasimir spielen. Vielleicht auch während eines Zeitraums, in dem Interessenten dem Katzenhaus einen Besuch abstatten, damit sie sehen, dass der Kleine ein ganz charmantes Kerlchen ist.“
Merles Brauen heben sich und ihre grünen Augen blitzen mich voll Verblüffung und Freude an.
„Echt? Das würdest machen?“
„Klar“, ich zucke, immer noch lächelnd, mit den Schultern, „und sofern ich in diesem Zeitraum nicht für die Agentur tätig bin, lässt sich das bestimmt gut arrangieren. Es sei denn es gelingt mir, am Montag Herrn Brandes derart von mir zu begeistern, dass er mich nicht nur sofort einstellt, sondern mich obendrein auch noch bittet, gleich am nächsten Tag die Ausbildung anzutreten.“
Der eben noch freudige Blick meiner Mitbewohnerin weicht mehr und mehr einem irritierten Stirnrunzeln.
„Herr Brandes? Ausbil-…oh shit, stimmt! Du hast ja am Montag dein Bewerbungsgespräch!“„Ja, in der Tat“, erwidere ich zustimmend und streiche mir mit einem tiefen Atemzug eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr, „aber das wird schon irgendwie werden. Denke ich zumindest…“
„Machst du Witze?“ Mit einem verschwörerischen Grinsen lehnt Merle sich mir ein gutes Stück über die Tresenplatte entgegen. „Im Vergleich zu deinen ganzen Dates, bei denen du Frauen und Männer aus der Upper Class gleichermaßen leicht um den Finger wickelst, ist so ein spießiger Anzugträger doch wirklich keine Herausforderung für dich.“
„Merle!“
Mein zurechtweisender Tonfall geht in meinem Lachen fast vollständig unter, während meine Mitbewohnerin nur teilnahmslos mit ihren Schultern zuckt.
„Was denn? Ich hab doch Recht.“
„Teilweise schon, ja“, erwidere ich und seufze leise, als meine Gedanken sich wieder auf Wanderschaft begeben, „aber das kannst du nicht so pauschalisieren. Ich meine, ich kann
noch lange nicht jeden für mich gewinnen.“„Du meinst wohl eher „nicht jede“, oder?“, entgegnet Merle, wobei ihre Augenbraue sich vielsagend hebt, „wie ist eigentlich dein Treffen am vergangenen Samstag verlaufen? Und damit meine ich nicht das geplante Treffen mit dieser spendablen Stammlady, sondern mit dieser anderen Dame, von der du mir erzählt hast. Die, der du ungewollt gewollt zu nahe gekommen bist.“
Oh…
Ich presse meine Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander, aus Sorge, ein unbedachtes Wort von mir zu geben.
Insgeheim hatte ich gehofft, dass Merle meine Befürchtung, Frau Schröder zu begegnen, entfallen wäre.
Zumindest hatte sie in dieser Woche keine darauf hindeutende Bemerkung von sich gegeben.
Aber scheinbar ist dem nicht so…„Hey!“ Merles Schnippser vor meinem Gesicht und ihr verschlagenes Lächeln lassen mich zusammenzucken. „Erde an Bianca. Jemand zu Hause?“
„Sehr witzig“, entgegne ich und werfe ihr einen wenig amüsierten Blick zu, bevor ich leicht aufseufze. „Meine...meine Befürchtung ist nicht grundlos gewesen, wenn du das wissen möchtest.“
„Also bist du ihr auf dieser komischen Veranstaltung begegnet, ja?“, hakt Merle gnadenlos nach, was mich kurz, aber dennoch eindeutig nicken lässt. „Und? Jetzt red schon endlich! Wie hat sie reagiert, als sie dich mit dieser anderen Lady gesehen hat?“
„Du weißt schon, dass das Details sind, welche ich eigentlich nicht mit dir teilen sollte, oder?“, erwidere ich, wobei mich zeitgleich eine kleine Stimme in mir zurechtweist, dass ich mich zurzeit nicht unbedingt in einer Position befinde, in welcher ich mich auf meine sonst so präsente Professionalität berufen kann, wenn ich auf einem Treffen mit Ottilie den Hals von Frau Schröder liebkose…
„Kann sein, aber irgendwo musst dir doch auch deine Gedanken von der Seele reden“, hält Merle dagegen und zuckt erneut mit ihren Schultern, „und da ich ohnehin schon über diese Dame Bescheid weißt, kannst du mir doch zumindest erzählen, ob sie dich ignoriert oder ihr Champagnerglas nach dir geworfen hat.“
„Keine Sorge, weder das eine noch das andere“, sage ich und muss gegen meinen Willen schmunzeln, bevor ich tief Luft hole. „Ich…wir…also…um ehrlich zu sein, kann ich sie immer noch nicht so wirklich einschätzen. In einem Moment ist vollkommen kalt und verärgert über mich und meine Anwesenheit. Aber dann, im nächsten Moment, habe ich das Gefühl, als würde sie mir näher kommen wollen. Zumindest kurzweilig. Und dann...ach, ich verstehe es doch auch nicht so wirklich.“
„Also, für mich hört sich das so an, als könne sich da jemand nicht so ganz eingestehen, dass sie auf Frauen steht“, sagt Merle und verzieht ihr Gesicht zu einer verschwörerischen Miene, als ich ihr einen zweifelnden Blick zuwerfe, „überleg doch mal. So zwiespältig, wie sie sich dir gegenüber verhält, wäre das doch eine ziemlich logische Erklärung. Und außerdem wird sie sich ja nicht ohne Grund zuvor mit dir getroffen haben. Vielleicht versucht sie einfach nur, aus sich selbst schlau zu werden und diese Gefühle zuzulassen, aber ihre alten Denk- und Verhaltensweisen grätschen ihr immer wieder dazwischen, weswegen sie sich dir gegenüber so komisch verhält.“
„Ja, das…das klingt durchaus plausibel“, murmle ich zustimmend und senke meinen Blick ein wenig über die Worte meiner Mitbewohnerin.
Und es würde zudem auch endlich einen zufrieden stellenden Sinn ergeben, weswegen Frau Schröder sich bislang überhaupt mit mir getroffen hat…
„Finde ich auch. Genauso plausibel wie die Tatsache, dass du dich in diese Dame verschossen hast.“
W-Was?!
Mein Kopf schnellt hoch, nur um geradewegs in Merles noch immer verschwörerisch dreinschauendes Gesicht zu blicken.
„Du musst es gar nicht bestreiten, klar? Ich sehe es dir an deiner Nasenspitze an, dass du Interesse an dieser Lady hast. Sonst würdest du auch ganz bestimmt nicht so viel über sie nachdenken. Also, wie ist euer Aufeinandertreffen denn jetzt ausgegangen? Seht ihr euch nochmal?“
„W-Wir…ä-ähm…“, beginne ich und räuspere mich über die Direktheit von Merles Worten, „wir sind heute Abend verabredet.“
„Was?! Und das sagst du erst jetzt?!“
Noch bevor ich etwas auf Merles Ausbruch erwidern kann, stapft meine Mitbewohnerin mit einem fassungslosen Kopfschütteln um den Empfangstresen herum und packt mich an den Schultern, um mich schnurstracks in Richtung des Ausgangs zu schieben.
„Du machst mich echt fertig, weißt du das? Also hör mir gut zu. Du gehst jetzt sofort nach Hause und machst dich für diese Verabredung mit deiner Traumlady fertig. Ein heißes Outfit, verführerisches Make-Up und was auch immer du sonst noch benötigst, damit diese Frau bei deinem Auftritt ihre Kinnlade verliert. Und dann wirst du bitte endlich aufhören, an deinen Instinkten und an deiner Wahrnehmung zu zweifeln, denn ich kann dir allein durch deine groben Erzählungen versichern, dass diese Frau mindestens so sehr auf dich steht wie du auf sie. Und noch etwas…wirf nochmal einen Blick in deine Toykiste, um zu schauen, ob du mit einem dieser Accessoires deine Traumlady heute Nacht verwöhnen kannst..."
DU LIEST GERADE
Sugar & Spice (Johanna & Bianca)
RomanceErfolgreich. Stolz. Und eiskalt. Mit ihrem akribischen Auge fürs Detail zählt Johanna Schröder zu den gefragtesten Architektinnen ihrer Branche. Gleichermaßen gefürchtet und geachtet von ihren Angestellten und Kollegen versteht Johanna es spielend...