Kapitel 34

16 6 4
                                    

Ziellos irrte ich einige Stunden im Tower umher. Ich wollte nicht zurück auf mein Zimmer, wenn es denn überhaupt noch das meine war. Und ich wollte auch nicht zu den anderen zurückkehren und mich mit dem auseinandersetzen, was im Besprechungsraum geschehen war. Man musste es nicht einmal schönreden. Ich war von der Situation maßlos überfordert.

Alles was ich von meiner Vergangenheit, von meiner Mutter, wusste, waren nicht mehr als Daten in einer Akte. Ich hatte mir in dem vergangenen halben Jahr auch nie die Mühe gemacht, etwas daran zu ändern. Wozu auch, wenn es mir meine Erinnerung nicht zurückbringen würde?

Doch nun ließ mich der Gedanke daran nicht los.

Ich wusste, dass ich bereits in jungen Jahren ausschließlich von meinem Vater großgezogen wurden war. Zu der Frau, die mich geboren hatte, gab es keine Sterbeurkunde, nicht einmal eine Vermisstenanzeige. Ich hatte es einfach als Tatsache akzeptiert. Immerhin gab es unzählige Menschen, die einfach verschwanden, gewollt oder ungewollt. Aber nun... Mir war bewusst, dass ich keinerlei Ansprüche an Nieva Lim als Mutter hatte. Und ich hatte auch keine Ahnung, wie es sein musste, ein Kind zuhaben und es zurück zu lassen.

Vielleicht wusste sie es nicht, dachte ich plötzlich und schluckte hart, während der Aufzug mich nach oben fuhr.

Wenn sie Hydra diente, bestand immerhin eine Chance, dass sie ebenfalls manipuliert wurde. Das würde immerhin erklären, warum sie vor drei Jahren keinerlei Anzeichen gezeigt hatte, mich zu erkennen.

Doch genauso gut konnte es einfach nur sein, dass sie mich nicht erkannte, weil sie mich das letzte Mal als kleines Kind gesehen hatte. Nicht als erwachsene Frau in taktischer Ausrüstung.

Der Aufzug hielt an und ich fand mich in der oberen Partylounge wieder. Nachdenklich lief ich durch den großzügigen Bereich und kam schließlich an einer gläsernen Tür an, die zu der Terrasse führte. Ich suchte mir einen Platz im hinteren Teil. Eine Sitzecke, die von einer Hand voll kleiner Laternen eingerahmt war, welche im Dunkeln jedoch nur mäßig Licht boten.

Ich konnte nicht einmal überrascht darüber sein, dass der Abend bereits herangebrochen war.

Auch wenn mir aufgrund der Außentemperaturen bereits kalt wurde, setzte ich mich auf das kleine Sofa und zog die Beine dicht an meinen Körper heran. Ich legte das Kinn auf meine Knie ab und starrte einfach nur vor mich hin, während die Gedanken sich weiterhin in meinem Kopf drehten.

Doch was, wenn es ihr egal war? Wenn Nieva Lim sich freiwillig Hydra angeschlossen hatte? Was, wenn sie genau gewusst hatte, wer vor ihr auf dem Boden lag und gegen den personifizierten Tod ankämpfte? Wenn es ihr einfach nichts ausgemacht hatte?

Ich schüttelte den Kopf und versuchte diese Möglichkeit zu verdrängen. Das ganze Was-wäre-wenn brachte doch im Grunde überhaupt nichts. Nicht, solange mir selbst die Erinnerung an meine Vergangenheit fehlte.

Überrascht hob ich den Kopf, als eine kleine, zierliche Frauengestalt durch die Terrassentür trat. Madison, eingepackt in einer dicken Jacke, als wären wir im tiefsten Sibirien, lächelte mir zögerlich zu und kam langsam näher.

»Hier bist du ja«, sagte sie und kleine dünne Wölkchen bildeten sich vor ihrem Mund. Als sie schließlich vor der Sitzgruppe stehen blieb, erkannte ich, dass sie zwei dampfende Tassen in der Hand hielt. Eine davon hielt sie mir nun entgegen. »Kaffee?«, fragte sie, doch zu meiner eigenen Überraschung schüttelte ich den Kopf.

»So schlimm also...«, murmelte sie und stellte das Getränk vor mir auf den niedrigen Tisch.

»Mhmm«, brummte ich und legte meine Kopf wieder auf die Knie.

Die Blonde setzte sich auf den kleinen Sessel, der mir am nächsten stand. Einen Moment lang saßen wir einfach nur schweigend da. Ich konnte nicht einmal behaupten, dass ich darüber unglücklich wäre. Sie nippte an ihrem Getränk, bevor sie es ebenfalls abstellte. Tee, soweit ich aufgrund des kleinen grünen Schildchens erkennen konnte, welches am Porzellan herunterbaumelte. Madison rutschte auf dem Sessel ein kleines Stück vor, ehe sie sich umdrehte und das kleine Kissen in ihrem Rücken kurz anhob.

Silly Broken Soul *Bucky FF*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt