Entfesselt

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In diesem Kapitel wagt JJ sich mit Kiara in neue, intime Gefilde.  Was zunächst als spielerisches Experiment beginnt, nimmt eine unerwartete Wendung, was beide mit Fragen und einem Gefühl der Unsicherheit hinterlässt. Die Schatten der Vergangenheit lassen JJ nicht los.

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Das Seil ist weich.

Es vergehen zwei Monate, bis JJ einwilligt, dass Kiara Fesselspiele oder wie auch immer dieser Kram heißt, ausprobieren kann. Sie fragt ihn seither nicht mehr gefragt. Sie schauen manchmal zusammen Pornos, und einmal sieht JJ eine Frau, die mit gefesselten Handgelenken im Bett liegt. Er sagt: „Wir können das ausprobieren, wenn du willst."

Kie schaut ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wirklich?"

„Klar."

„Okay", sagt sie. „Ich muss mich aber erstmal informieren"

Dann dauert es noch einen weiteren Monat, bis drei Pakete mit Seilen per Post kommen und sie sich das für einen Donnerstagnachmittag vornehmen.

Kie ist zu der Zeit nicht in Sexstimmung, weil sie beschlossen haben, es das erste Mal ohne großes Theater auszuprobieren. Der Fernseher läuft und sie sitzen voll bekleidet auf der Couch. JJ hat eine Tüte Chips in der Hand und schaut ihr beim Auspacken zu.

„Meistens habe ich eigentlich keine Ahnung, was ich tue", gibt sie zu, als sie ein Paket Seil aus einem Amazon-Karton zieht. „Es ist nicht wirklich was Erotisches daran, wenn ich die ganze Zeit damit rumfummele und so tue, als hätte ich die Situation im Griff."

JJ isst einen Chip. „Also fesselst du mich jetzt mal oder übst du nur an einem Stuhl?"

„Ist es denn ok, wenn ich es an dir ausprobiere?" fragt sie. Sie wählt eine weiße Seilrolle und beginnt, sie abzuwickeln. „Wir sehen mall, ob ich das hinbekomme und ob es dir gefällt."

JJ ist sich ziemlich sicher, dass es ihm nicht gefallen wird, aber er will es Kie zu Liebe dennoch ausprobieren. Sie schaut ständig auf ihr Handy und als sie anfängt, das Seil um ihre eigenen Handgelenke zu wickeln, räuspert sich JJ und bietet ihr seine zusammengepressten Handgelenke an.

„Los. Mach schon."

Plötzlich scheint sie so aufgeregt. „Im Ernst?"

„Ja."

„Okay, also wenn du nein sagst, hören wir sofort auf. Oder sag mir, wenn wir etwas ändern müssen. Willst du ein Safeword?"

„Ich denke, es reicht, wenn ich ‚nein' sagen kann."

Sie nickt. „Ich glaube, ich weiß, wie man diesen einen Knoten macht."

JJ schaut aufmerksam zu, ist aber größtenteils gelangweilt, während Kie mit dem Seil herumfummelt und es nie richtig hinbekommt, dass es tatsächlich eine Fessel ergibt. Er würde wirklich lieber fernsehen. Law and Order hat nach der Werbung wieder angefangen und er hat vergessen, wer wen in dieser Folge umgebracht hat. Er wirft einen Blick auf den Fernseher, aber seine Aufmerksamkeit wird unterbrochen, als Kie etwas macht.

Etwas, das Spannung erzeugt.

Das Seil drückt auf seine Handgelenke und JJ wird stocksteif. Der Druck fühlt sich heiß auf seiner Haut an.

„Gut?" fragt sie, die Augen auf das Seil gerichtet.

„Ja, mach weiter."

Kie dreht eine Schleife an seinen Daumen und zieht das lose Seil durch. Es drückt auf seine Handgelenke und--

Etwas, das nach Orangen riecht, direkt vor seinem Gesicht.

Da ist jemand. Fremder Schweiß, klebrig auf seiner Brust. Und--

„Nein."

Es ist nur schwach zu hören, aber so schwindelig wie ihm dabei ist, ist JJ überrascht, dass er das überhaupt sagen konnte.

„Okay", sagt Kie schnell. Sie wechselt von Fesseln zum Auseinanderziehen des Seils so schnell sie kann.

Die Phantomkörper die ihn verfolgen, pressen sich auf seinen Rücken, auf seinen Mund. Er kann sich nicht genug konzentrieren, um sie von Kie  zu unterscheiden, also schaut er weg, während sie die Seile entwirrt, bis sie in seinen Schoß fallen. JJ rennt ins Badezimmer, fällt vor die Toilette und übergibt sich heftig.

Kie steht im Türrahmen des Badezimmers. „Alles gut?"

JJ antwortet nicht. Die Fliesen tun seinen Knien weh. Sein ganzer Körper schmerzt. Er zieht den Saum seines Shirts hoch, um sich den Mund abzuwischen. Eine Dusche wäre jetzt gut, aber die Vorstellung, seine Kleidung auszuziehen, scheint im zu bedrohlich. JJ lehnt sich gegen die Seite der Badewanne und bedeckt seine Augen mit den Händen, bis es sich anfühlt, als würde die Welt ihn nicht mehr von ihrem Rand stoßen wollen. Er steht auf und putzt sich die Zähne, bis er Blut ins Waschbecken spuckt. Kie schaut ihm zu und wartet auf eine Erklärung, die er ihr nicht geben kann. Sie folgt ihm ins Schlafzimmer.

„Rede bitte mit mir. Zur Nachsorge. Ich kann dir die Schultern massieren – verdammt, ich kann alles machen, was du willst."

Er zieht nicht mal die Schuhe aus. JJ greift nach seinem Lieblingskissen am Fußende des Bettes und zieht die Decke über seinen Kopf.

Nach einem Moment der Stille kriecht Kiara hinterher. Sie kuschelt sich neben ihn und füllt den Raum, den sein zusammengekauerter Körper schafft. „Es tut mir so leid", flüstert sie.

„Entschuldigung", flüstert JJ zurück. „Ich wusste nicht, dass das passieren würde."

Die dünne Decke, die sie über sich gezogen haben, lässt das Tageslicht durchfallen und lässt das Blumenmuster durch die Innenseite leuchten.

Sie lehnt ihren Kopf an seine Schulter und es ist unklar, welche ihrer Körper mehr angespannt und bereit für einen Angriff sind. Aber der Schlaf kommt, und er kommt so heftig, dass JJ erst spät am nächsten Nachmittag aufwacht.

JJ Maybank: SurviveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt