Was als unschuldige Unterhaltung vor dem Fernseher beginnt, entwickelt sich zu einer intensiven und emotionalen Konfrontation, bei der JJ gezwungen wird, weitere Details über seine traumatische Vergangenheit preiszugeben. Kie reagiert auf unerwartete Weise, und ihre entschlossene Reaktion führt zu einer überraschenden Wendung, die das Potenzial hat, ihre Beziehung für immer zu verändern.
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Vier Stunden später greift Kie das Thema wieder auf. JJ sieht ihr an, dass sie es fast nicht mehr aushält, sich zurückzuhalten. Sie kommt aus der Dusche, nur in ein Handtuch gewickelt, und beobachtet, wie JJ am Couchtisch einen Joint dreht.
„War es dieser eine Typ, der dich damals angeheuert hat, seine Garage auszuräumen?"
JJ versucht sich daran zu erinnern, aber es funktioniert einfach nicht. „Vielleicht. Keine Ahnung."
„Du weißt es nicht?"
„Ich kenne vielleicht nur drei von denen mit Namen."
Ihre Augen weiten sich. „Drei? Wie viele Leute waren es denn, die dir das angetan haben?"
„Keine Ahnung. Fünfzehn?"
Sie blinzelt und streicht sich über das Handtuch. „Ich versteh das einfach nicht."
JJ merkt plötzlich, dass er wirklich möchte, dass sie es versteht.
„Mein Dad hat mich ganz oft unter Drogen gesetzt und zu Leuten gebracht, die ihm dafür was bezahlt haben. Ich war dabei praktisch nie bei Bewusstsein."
„Oh", sagt Kie. „Moment!"
Er beobachtet die offene Schlafzimmertür, bis sie wieder herauskommt. Sie steht vor ihm, komplett angezogen und mit ihren Autoschlüsseln in der Hand. „Mein Handy lädt gerade, also muss ich deins benutzen."
Sein Magen zieht sich zusammen. Es kann doch nicht sein, dass er Kie so falsch eingeschätzt hat. Sie würde ihn doch nicht wirklich verlassen? Verdammt. So schnell, nachdem er ihr das erzählt hat? Er hätte damit gerechnet, sie würde sich irgendwann mal von ihm distanzieren. Auf diese stille, beängstigende Art, die Kie manchmal hat. Aber doch nicht sofort! JJ hätte gedacht, dass wenigstens eine Chance bestände, sie davon zu überzeugen, ihn nicht dafür zu hassen.
Er schnappt sich sein Handy vom Tisch und hält es fest an seiner Brust. „Nein."
Kie stampft mit dem Fuß auf und streckt fordernd ihre Hand aus. „Du musst nicht mitkommen. Ich mache das alleine. Ich brauche nur noch Tickets!"
„Gott, verdammt. Nein. Vergiss einfach, was ich gesagt habe. Tu so, als hätte ich nie was gesagt."
„Ich muss gehen."
„Nein, nicht!"
Sie schüttelt den Kopf. „Nein, so meine ich das nicht. Ich muss nur deinen Dad finden, damit ich ihn umbringen kann. Es wird verflucht einfach sein. Wie schwer kann es schon werden, in Yucatán einen Dealer zu finden, der sauer genug auf ihn ist, ihn für mich umzulegen? Ganz schnell. Drei Tage vielleicht. Superschnell. Ihn einfach umzulegen."
Es dauert ein paar Sekunden, bis JJ es versteht.
„Du kannst meinen Dad nicht umbringen."
„Warum nicht?"
„Weil er mein Dad ist!"
„Er ist ein widerlicher Mensch. Er hat die schlimmsten Dinge getan, die man sich vorstellen kann. Er verdient es nicht, zu leben."
„Hör auf", sagt JJ, die Stimme erhebend. „Es ist meine Schuld. Es ist nicht seine Schuld."
Kie macht einen Schritt zurück. „Was? Wovon redest du da?"
Er ist so aufgewühlt, dass er nicht darüber nachdenken kann, was er als Nächstes tut. JJ gestikuliert wild mit den Armen, und Kie deutet es richtigerweise als Bitte, einen Gang zurückzufahren. Sie legt ihre Autoschlüssel wieder an den Haken neben der Tür und setzt sich neben ihn. JJ wischt sich die Tränen weg, bevor sie seine Wangen herunterlaufen können.
„Es ist nicht die Schuld meines Dads."
„Wie könnte es um Gottes Willen nicht seine Schuld sein?"
„Ich muss es wohl zu gut gemacht haben." JJ hat das noch nie laut ausgesprochen. Er hat nie zugelassen, dass dieser Gedanke länger existiert, als nötig, und ihn immer verdrängt. „Ich habe es nicht gestoppt. Wenn ich wirklich nicht gewollt hätte, wäre es doch gar nicht erst passiert! Ich hätte es einfach dem Jugendamt oder meinen Lehrern erzählen oder meinen Dad umbringen können. Aber das war nicht so. Ich habe immer mitgemacht. Verdammt, ich habe die Drogen sogar freiwillig genommen und auch noch darum gebettelt, sie zu bekommen. Ich habe mich nie gewehrt!"
„Du warst ein Kind."
„Ich war kein Kind mehr. Ich war fünfzehn!"
„Mit fünfzehn ist man immer noch ein Kind."
„Nein, das stimmt nicht."
Kie schüttelt den Kopf. „Genau deshalb muss ich deinen Dad umbringen. Er hat dir das nicht nur angetan, er hat dich sogar dazu gebracht, all diesen Mist zu glauben, der nicht stimmt. Willst du deinen Dad etwa nicht umbringen? Ich wollte ihn davor schon jeden verdammten Tag umbringen."
„Deine Eltern waren jetzt auch nicht so toll."
Kie gestikuliert wild mit den Händen. „Lenk jetzt nicht ab, JJ. Du wolltest es nicht und deswegen hätte es nie passieren dürfen. Verdammt, selbst wenn du es gewollt hättest, hätte es nie passieren dürfen. Mit fünfzehn ist man noch ein Kind! Kinder sollten einfach gar nicht für Sex verkauft werden."
JJ kennt diese Sätze aus Law and Order. Theoretisch entspricht es seiner Situation, oder entsprach vielmehr seiner Situation, aber JJ hat Schwierigkeiten, beides miteinander zu verbinden. Nicht, dass er nicht schon öfters darüber nachgedacht hätte.
„Du kannst meinen Dad nicht umbringen."
„Ich werde es erst mal nicht tun", stimmt Kie zu.
„Erzähl es John B oder Pope bitte nicht."
„Du hast es ihnen auch noch nicht erzählt?"
„Nein." Er wischt sich über die Augen. „Machst du dir jetzt keine Sorgen, dass ich Geschlechtskrankheiten oder so habe? Ich bin einfach so widerlich. Du solltest sauer auf mich sein, dass ich dich dazu gebracht habe, mit mir zu schlafen, obwohl ich nichts weiter als ein abgeranzter Stricher bin."
„Das bist du nicht. Du bist mein Ehemann, und ich liebe dich genauso wie heute Morgen."
„Wirklich?"
Sie zieht ihre Jacke aus und rückt näher zu ihm, legt ihren Kopf auf seine Schulter. „Ich liebe dich so sehr. Warum hast du es mir nicht viel früher erzählt?"
Er küsst sie auf den Kopf. „Ich wollte einfach niemals darüber reden."
„Wir werden jetzt mindestens noch viermal darüber reden müssen."
„Ich weiß", sagt JJ.
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JJ Maybank: Survive
Narrativa generaleEs geht um das Thema Missbrauch und Zwangsprostitution. Sexuelle Details werden weitestgehend vermieden. Es geht lediglich um die Gefühlswelt und den Auswirkungen des Missbrauchs aus Sicht des Opfers. Die Figur des JJ Maybank aus der Serie Outer Ban...