49. Du bist nicht dein Traum

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Ich ging durch die Gänge von Hogwarts, meinen Kopf voller wirrer Gedanken. Der Traum von ließ mich immer noch nicht los. Es war, als hätte er sich in mein Gehirn gebrannt, jede Szene, jedes Detail noch so klar vor mir. Doch so sehr ich es auch versuchte, ich konnte das bedrückende Gefühl nicht abschütteln.

Als ich um eine Ecke bog, entdeckte ich Severus. Er saß allein in einer kleinen Nische, die Fensterbank vor ihm war übersät mit Büchern und Pergamenten. Er wirkte so, als ob er die Welt um sich herum völlig ausgeblendet hätte, völlig vertieft in seine Notizen. Die Stirn in Falten gelegt, die Augen auf den Text fixiert, schrieb er mit schnellem, konzentriertem Schwung.

Ich zögerte, ihn zu stören. Aber wenn es einen gab, der vielleicht verstehen würde, was mich quälte, dann war es Severus. Er war einer der wenigen, mit denen ich wirklich reden konnte, einer der wenigen, die nicht nur diese kalte Fassade sahen, die ich jedem anderen zeigte.

„Severus“, sagte ich schließlich leise, fast zögernd. Er blickte auf, ein wenig überrascht, mich zu sehen, aber sein Ausdruck blieb, wie immer, neutral.

„Regulus“, erwiderte er knapp und legte seinen Federkiel beiseite. „Was führt dich her?“

Ich trat näher an ihn heran, ließ meinen Blick kurz über die Bücher gleiten, die er vor sich ausgebreitet hatte. „Ich weiß nicht“, begann ich zögerlich. „Ich... habe viel nachgedacht.“

„Über was?“

Ich setzte mich neben ihn, auf die gleiche Fensterbank, meine Hände auf meinen Knien verschränkt. „Über alles“, sagte ich leise. „Über die Erwartungen, die man an uns stellt. Über die Zukunft. Und... über den Traum, den ich hatte.“

Severus‘ Augen verengten sich leicht. „Einen Traum?“

Ich nickte. „Es war... verstörend. Ich sah mich selbst, mit Bellatrix. Wir waren... Todesser. Und wir...“ Ich schluckte hart. „Wir haben Sirius getötet.“

Ein Schatten huschte über Severus’ Gesicht, aber er sagte nichts. Er kannte Bellatrix und wusste, was sie bedeutete. Und er wusste auch, wie kompliziert meine Beziehung zu Sirius war.

„Träume sind oft nur das“, sagte er nach einer Weile. „Träume. Sie müssen nichts bedeuten.“

Ich schüttelte den Kopf. „Es hat sich so echt angefühlt. So... unvermeidlich.“

Severus sah mich eine Weile an, dann sprach er mit leiser, eindringlicher Stimme. „Regulus, du bist nicht dein Traum. Du bist nicht Bellatrix. Und du musst nicht das tun, was von dir erwartet wird, wenn es sich falsch anfühlt.“

Ich spürte, wie meine Kehle sich zuschnürte. „Aber was, wenn ich es doch tue? Was, wenn ich schwach bin?“

„Schwach ist nur derjenige, der blind den Weg anderer folgt“, sagte Severus ernst. „Es ist schwerer, seinen eigenen Weg zu finden. Aber es ist der einzige Weg, der zählt.“

Ich starrte auf meine Hände, die sich unbewusst zu Fäusten geballt hatten. Seine Worte klangen in meinem Kopf wider, vermischten sich mit den Stimmen meiner Eltern, meiner Verwandten, die alle nur eine einzige Richtung kannten. Aber war das wirklich mein Weg?

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, hörte ich Schritte hinter uns. Ich drehte mich um und sah, wie Lily Evans den Gang entlangging. Sie bemerkte uns und lächelte leicht, als sie näher kam. „Severus, Regulus“, begrüßte sie uns freundlich. Ihr Lächeln war ehrlich, doch es verstärkte nur das Unbehagen in mir.

„Lily“, erwiderte Severus, sein Ton etwas weicher. „Was machst du hier?“

„Ich wollte nach dir sehen“, sagte sie, dann wandte sie sich an mich. „Geht es dir gut, Regulus? Du siehst irgendwie blass aus.“

„Ja, alles in Ordnung“, log ich und zwang mich zu einem schwachen Lächeln.

Lily sah mich noch einen Moment prüfend an, dann nickte sie. „Gut. Wenn ihr beide mal etwas anderes als düstere Gedanken braucht, könnt ihr mich gerne in der Bibliothek besuchen.“ Sie zwinkerte uns zu, bevor sie weiterging.

Ich sah ihr nach, ihre freundliche, warme Ausstrahlung hinterließ ein seltsames Gefühl in meiner Brust. „Warum bist du mit ihr befreundet?“ fragte ich schließlich, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Severus zuckte mit den Schultern. „Weil sie nicht so ist wie die anderen. Weil sie mich sieht, nicht das, was sie erwarten.“

Ich verstand nicht ganz, was er damit meinte, aber ich ließ es dabei. „Ich sollte gehen“, sagte ich schließlich, und erhob mich von der Fensterbank. „Danke, Severus.“

„Pass auf dich auf, Regulus“, sagte er nur.

Ich nickte und ging dann langsam den Gang entlang, zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Doch Severus’ Worte blieben bei mir.

Wir waren Brüder | Regulus Black FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt