A Wolf in the sky.

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Die sanfte Jazz-Musik war die perfekte Untermalung für dieses Ambiente. Sie klimperte leise aus in die Decke eingelassenen Boxen überall in der Wohnung. Mit unverfrorener Begeisterung stand ich in einem weißen T-Shirt, das mir viel zu groß war und halb von der Schulter rutschte, barfuß in Madaras Wohnzimmer. Eine riesige, schwarze Ledercouch nahm den Großteil des Raumes ein. Sie zog sich von einer Ecke in drei Teilen zur nächsten. Unzählige Kissen in verschiedenen Farben waren darauf verteilt und eine gefaltete Decke lag an der Seite, auf der man bequem liegen und den Flachbildschirm an der Wand sehen konnte. Mein Blick wanderte jedoch sogleich zu der Glasfront, hinter der ein großer Pool auf der Dachterrasse leuchtete. Vor den hohen Glasscheiben, auf denen sich die blinkenden Lichter Kyotos reflektierten, stand ein gewaltiger, weißer Flügel. Ich hatte ewig nicht gespielt, weil ich Klaviertasten stets mit Hieben von Reitgerten verbunden hatte. Jetzt allerdings juckte es mich im After. Hier fühlte ich mich sicher. Hier konnte ich einfach ich sein.

Ich schlich zu dem kleinen Hocker, ließ mich auf dessen Rand nieder und drückte eine Taste in die Tiefe. Ein perfektes, dunkles C erklang. Gut, immerhin war der Flügel gestimmt. Ich überlegte kurz, was ich spielen wollte, und entschied mich für etwas, das ich neulich erst in einem Film gesehen hatte. Schon da hatte ich das Bedürfnis verspürt, den Soundtrack selbst zu spielen, hatte aber keine Zeit dafür gefunden. Wenn Hiashi da war, durfte ich keinen Lärm machen, und wenn er weg war, nutzte ich die Zeit lieber, um ins Ame zu gehen.

In d-Moll ließ ich einen melancholischen Wechsel zwischen c, d, e und f aus meinen Fingern gleiten, nahm die zweite Hand an die Tasten und vertiefte das Gefühl, das Emily gespürt haben musste, als sie traurig in der Bar der Toten gesessen hatte. Mit jedem Ton wuchs in mir eine Sehnsucht, die unerträglich war. Ich vermisste King. Ich hasste ihn irgendwie, aber scheiße noch eins, ich wollte bei ihm sein.

Plötzlich schob sich ein warmer Körper von hinten an mich heran und ich schrak zusammen, wodurch der Flügel einen schaurigen Klang von sich gab. „Willst du etwa ein Duett alleine spielen?", raunte mir Madara ins Ohr. Seine Beine und Arme legten sich um mich und er setzte exakt dort ein, wo Victor versucht hatte, Emily aufzuheitern. Ich schmunzelte. „Lass mich meiner mentalen Einsamkeit nachhängen, du ewiger Junggeselle." Ich antwortete auf Emilys Weise.

Madara lachte leise und ich spürte seinen Brustkorb an meinem Rücken beben und seinen Atem auf meiner nackten Schulter. „Ja, ich bin Junggeselle, aber das liegt nur daran, dass ich noch nicht die richtige Frau gefunden habe." Er klimperte wieder Victors Part. Dabei schwebten seine Finger beinahe, berührten kaum den edel versiegelten Kunststoff. Seine Sehnen zeigten unter seiner adrigen, blassen Haut jede Bewegung an.

„An Angeboten mangelt es dir bestimmt nicht", murmelte ich halb abwesend. Ich wusste nicht, ob es mir gefiel, mir Madara mit anderen Frauen vorzustellen. Diese Empfindung passte seltsam gut zu Emilys abweisendem Spiel, das ich pflichtbewusst zu Ende brachte. Ich nahm die Hände von den Tasten, legte sie auf meine Knie und starrte den schlichten Schriftzug des Herstellers an. Nein, es gefiel mir nicht. Ich wollte nicht, dass Madara einer von diesen Männern war. Er hatte doch Klasse, nicht wahr? Er respektierte Frauen. Er respektierte mich. Ich verlangte keine Enthaltsamkeit von ihm – wer wäre ich schon, wenn ich das würde? – aber ich wollte, dass seine Worte und Taten mir gegenüber einzigartig waren. Ich wollte diese Seite von ihm mit niemandem teilen. Sie alle sollten weiterhin denken, er wäre brutal und kaltherzig. Hinter mir auf dem schmalen Hocker saß ein Mann, der nur mir zeigen sollte, wer er wirklich war. War das egoistisch? Sicherlich. Aber ich fühlte mich dadurch besonders, wertvoll, gel–

„Hinata", wisperte Madara, „du zerdenkst die Sache zu sehr." Und damit startete er Victors schnelles Spiel, was mir ein Lachen entlockte und mich dazu animierte, meine Einsätze nicht zu verpassen und genau wie Emily neben Victor in Madaras starken Armen wieder aufzutauen, mich aus meinen trüben Gedanken zu holen und zum Schluss sogar meine Finger sorglos über die Tasten tanzen zu lassen, als wären sie die Bühne und ich der Puppenspieler, der die Fäden zu meiner eigenen Hemmung zerschnitt. Der Flügel verstummte, ich stand auf, drehte mich um und küsste Madara, der breitbeinig dasaß. Sein Mund war so viel besser zu erreichen. Er hatte seinen Knoten wieder gelöst, weshalb ihm die langen Haare auf den Rücken wallten, und trug, um nicht einen spontanen Nudisten-Kult mit mir zu gründen, eine elegante, schwarze Jogginghose und einen seidenen, dunkelgrauen Morgenmantel, den er allerdings offenließ und mir somit einen herrlichen Blick auf seine Bauchmuskeln gewährte. Den Gedanken, wie unfassbar sexy er gerade war, schüttelte ich schnell ab und fragte stattdessen lächelnd: „Hast du mir was zu trinken mitgebracht?" Vielleicht war es angesichts meiner unbeabsichtigten Magenakrobatik unklug, mir schon wieder Alkohol zuzuführen, doch ich fühlte mich viel zu nüchtern für eine solche Nacht.

be_my_ace [18+]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt