Ich hatte Kyotos Straßen oft genug in schlaflosen Nächten durchstreift. Meistens war ich dabei nahe des Hyuuga-Anwesens geblieben, doch ab und zu hatte es mich in andere Viertel gezogen. Ich musste keine drei Querstraßen von Genmas Haus in Richtung Norden gehen, bis ich eine größere Kreuzung erreichte und genau wusste, wo ich war. Von hier aus waren es keine zwanzig Minuten zu Fuß zur Uni. Schnellen Schrittes machte ich mich auf den Weg.
Mit jedem Meter wurde ich nervöser. Mein Herz schlug nicht nur wegen der Bewegung in rasantem Tempo. Eventuell stand ich gleich King gegenüber. Ich würde ihm ins Gesicht sehen, in seinen Augen erkennen, was wir einander bedeuteten, konnte in seine Arme fallen und auf ewig dort bleiben. Was würde ich zu ihm sagen? Einfach „Ich liebe dich"? Wir sollten definitiv reden, alles zwischen uns klären. Und dieses Mal würde ich nicht zulassen, dass einer von uns beiden den Schwanz einzog. Kakashi hatte mich schon einmal von sich gestoßen, ein zweites Mal würde er das nicht schaffen.
Auf der Hälfte der Strecke kam mir ein anderer Gedanke. Was wäre denn, wenn es gar nicht Kakashi war? Dann würde ich gleich mit irrem Blick und zerschundener Fresse vor ihm stehen, nachdem ich einen Tag ohne Begründung nicht in den Vorlesungen erschienen war. Was würde er denken? Würde er Rückschlüsse ziehen? Würde er sich heroisch auf mich werfen und mich in Sicherheit wissen wollen? Nein.. Wenn er nicht King war, wollte er nichts mit mir zu tun haben. Und da wäre es mir dann auch egal, was er von mir und meinem Auftreten hielt. Er konnte mich ruhig als wahnsinnig abstempeln. Entweder liebte er mich und wir strebten eine gemeinsame Zukunft an, oder er konnte sich seine Meinung über mich sonst wo hinstecken. So einfach war das. Es gab nur diese zwei Optionen.
Es war kurz vor neun. Die ersten Vorlesungen würden gleich anfangen und Kakashi war mit hoher Wahrscheinlichkeit in seinem Büro. Ich stratzte gedankenverloren über den gepflasterten Weg, der zu einem Seiteneingang führte, und wollte mir gerade etwas zurechtlegen, das ich ihm sagen konnte – vielleicht „King, lass uns auf alles scheißen" oder so? Hm – da knallte ich gegen einen Körper, strauchelte rückwärts und fiel mit dem Ellbogen voran zu Boden. „Hah fuck", stieß ich erschrocken aus, besah mir sofort die aufgescheuerte Stelle am Ärmel der Sweatjacke und schalt mich innerlich selbst dafür, nach nicht einmal ein paar Stunden schon geliehene Kleidung zerstört zu haben. Tsunade wäre bestimmt sauer, oder?
„Hinata?", fragte eine bekannte Stimme irgendwo über mir.
Ich sah auf. Vor mir stand Shino, wirkte nicht anders als sonst. An ihm war der gestrige Tag wie an wohl jedem sonst spurlos vorbeigezogen. Ich hatte beinahe vergessen, dass nur ich so viel Scheiße erlebt hatte und es für alle anderen ein stinknormaler Dienstag gewesen war. Für mich hatte er sich angefühlt wie ein ganzes Leben. Shino musterte mich mit gerunzelter Stirn. „Was ist dir denn widerfahren? Du siehst.."
„.. furchtbar aus? Ich weiß", unterbrach ich ihn sofort und rappelte mich mit seiner Hilfe hoch.
„Geht es.. dir gut?", fragte er erstaunlich zaghaft. Trotz dunkler Brillengläser erkannte ich Besorgnis in seinen schwarzen Iriden. „Warum bist du gestern nicht gekommen? Ich.. also.. Man hat sich schon gefragt, wo du bist."
Was sollte ich denn darauf jetzt antworten? Auf keinen Fall die Wahrheit, das wäre in höchstem Maße dämlich. Aber irgendwie musste ich meine sichtbaren Verletzungen rechtfertigen, sonst könnte ich Shino sicherlich nicht abwimmeln. Und ich musste Kakashi sehen, bevor er mit seinem Unterricht begann. „Äh.. I-ich.. Ich hatte einen Unfall", stammelte ich und fragte mich, wo plötzlich wieder dieses Stottern herkam. Eigentlich konnte ich doch ganz gut lügen, nur vielleicht meldete sich da gerade mein schlechtes Gewissen, weil Shino es ja eigentlich nicht verdient hatte, überhaupt belogen zu werden.
Er zog seine Augenbrauen weiter zusammen und ich bemerkte, wie seine Augen zu meinem Hals huschten. Ja, ein Unfall, der Handabdrücke hinterlässt? Beste Idee des Universums, Hinata, gut gemacht. Ich entschloss mich dazu, einfach gar nicht weiter auf dieses Problemchen einzugehen. „Hast du Hatake-sensei heute schon gesehen?"
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be_my_ace [18+]
FanfictionHinata ist die älteste Tochter des Hyuuga-Clans und als solche verbringt sie ihr Leben in Reichtum und Angst. Von ihr wird erwartet, jeden Tag perfekt zu sein und sich keinerlei Fehler zu erlauben. Mit ihren achtzehn Jahren hat sie dies auch bis in...