Because it's tradition.

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Dienstag, 18. April 2017, vormittags


Prasselnder Regen auf der Fensterscheibe weckte mich. Ich fuhr aus einem unruhigen Schlaf und hatte zunächst Mühe damit, mich zurechtzufinden. Ich blinzelte und sah über mir meine Zimmerdecke, die in leichten Schlieren nachzog. Ächzend fasste ich mir an den Kopf. Ich fühlte mich, als hätte ich die ganze Nacht gesoffen oder geweint. Ich wusste, dass ich geträumt hatte, hatte aber schon vergessen, von was.

Als ich mich aufsetzte und neben mir den getrockneten Blutfleck sah, ahnte ich, welches Thema mich in meinem Schlaf heimgesucht hatte. War also gar nicht dramatisch, dass ich mich nicht erinnern konnte. Diese Erniedrigung wollte ich nun wirklich nicht erneut durchleben müssen.

Es war bezeichnend, wie schlecht ich mich fühlte. Viele Jahre war es her, dass es mir nach einem Missbrauch derart ergangen war. Normalerweise spielte ich sowas im Innern einfach runter, ignorierte damit verbundene Emotionen und machte mit meinem Leben weiter, als wäre nichts passiert. Doch die Taubheit, die ich mir, seit ich fünfzehn war, antrainiert hatte, hatte schon vor Kurzem begonnen zu bröckeln und war nun endgültig verschwunden. Ich konnte nicht mehr. Es war alles zu viel. Meine Lage war völlig aussichtslos. Ich bereute es mehr und mehr, gestern von Itachi weggegangen zu sein, doch bei ihm zu bleiben wäre auch keine Lösung gewesen. Dadurch hätte ich Hanabi zurückgelassen und das war etwas, was ich mir noch weniger verziehen hätte als meine eigene Naivität. Aber irgendwie, das wusste ich, musste ich einen Weg finden, mit ihr zu fliehen.

Wie es aussah, würde ich heute nicht zur Uni gehen, was bedeutete, dass ich nicht mit Genma reden konnte. Mein ach so grandioser Plan, meinen Vater zu stürzen, war gescheitert. ICH war gescheitert. Ich hatte versagt. Und die Scheiße musste ich jetzt irgendwie wieder aufwischen.

Es klopfte. Ich zuckte bei diesem Geräusch zusammen und krallte mich in meine Bettdecke. „Hinata-sama? Seid Ihr wach?", fragte die Stimme von Kou auf der anderen Seite des Holzes.

„Ja", rief ich halblaut zurück.

Das Schloss klickte und ein Mann, dessen Anblick ich noch nie so geschätzt hatte wie jetzt, kam herein. In der Hand hielt er ein Tablett mit einer Schale Reis, auf dem ein rohes Ei schwamm. „Ich bringe Euch Frühstück."

„Mh, mehr als Wasser und Brot?" Es tat erstaunlich gut zu scherzen. Oder war es einfach wieder mein Rückzug in die Taubheit?

Kou lächelte schmal, schloss die Tür und stellte das Tablett auf den Schreibtisch. Die schwarze Kiste räumte er beiseite, ging zum Bad und entriegelte sie, wobei ich ihn scharf beobachtete. Ich hatte nicht den Eindruck, er hätte sich nach gestern Abend verändert, war nur müder als sonst. „Hiashi-sama erlaubt, dass Ihr das Badezimmer frei benutzen dürft, allerdings bleibt Hanabi-samas Tür verschlossen."

„Wo ist sie?", hakte ich besorgt nach. Noch immer hatte ich Angst, was meine Schwester alles mitbekommen hatte.

„Im Unterricht", erwiderte Kou. „Es ist bereits halb zehn. Ich habe Euch schlafen lassen, weil ich der Meinung war, Ihr brauchtet Ruhe."

„Warum sind Sie dann noch hier? Wo sind Tokuma und Iroha?"

Kou holte tief Luft. „Tokuma hat den Tag frei bekommen und Iroha ist unten bei Hiashi-sama, trifft Vorbereitungen für die Akumahikari-kai."

„Ist mein Vater wütend, weil ich nicht an der..", ich schnaubte vernichtend, „.. Sitzung teilnehmen kann?"

„Macht Euch darüber keine Gedanken", sagte Kou. „Wie ich mitbekommen habe, lässt er sie ausfallen."

„Also ist er wütend", nickte ich und erhob mich.

Kou senkte den Blick und murmelte: „Ja, ist er."

be_my_ace [18+]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt