My own medicine.

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Für eine halbe Ewigkeit stand ich am Fenster, die Hand noch am Griff. Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen und ich atmete nicht mehr. Irgendwann tat ich es doch wieder. Ich ließ das kühle Metall los, hörte, wie sich meine Lungen lautstark mit Luft füllten, mein Puls wummerte schmerzhaft in meinen Adern. Langsam drehte ich mich um. In der Dunkelheit, kaum sichtbar in dem schwachen Licht der Nacht, das durch die Scheibe drang, saß ein Mann auf dem Stuhl an meinem Schreibtisch. Er trug denselben Kimono wie vor Stunden beim Abendessen, hatte die Arme verschränkt und starrte mich aus kalten, silbernen Augen an. „Wo bist du gewesen?"

Hiashis Stimme jagte mir eine panische Übelkeit die Speiseröhre hinauf. Ich schluckte, obwohl mein Mund und Hals trocken waren, und suchte in meinem Körper nach meiner Stimme. „O... O... Otoo-s-sama...", stammelte ich. Es schien, als schlüge mein Herz in meinem Zahnfleisch. Ich konnte kaum ein Wort hervorbringen.

Mein Vater stand auf, schaltete die Deckenlampe ein und legte eine trügerische Ruhe an den Tag, die mir mehr Sorgen machte, als wenn er geschrien hätte. „Tochter, ich frage dich nur noch dieses eine Mal, und ich verlange von dir, dass du antwortest. Wo. Bist du. Gewesen?"

In meinem Gehirn funktionierte einfach gar nichts mehr. Wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht stand ich da, starrte mit leeren, aufgerissenen Augen meinen Vater an und konnte mich nicht rühren.

Hiashi seufzte. Er kam auf mich zu, noch immer bewegte ich mich nicht. Er holte mit der Hand aus und schlug sie mir ins Gesicht. Mein Kopf wurde durch die Wucht zur Seite geschleudert und erstmals konnte ich wieder blinzeln. Ein Brennen breitete sich auf meiner Wange aus, zog bis in mein linkes Auge und meinen Nasenrücken. Ich keuchte ob des Schmerzes und spürte, wie ich anfing zu zittern. „Ich höre?"

„Ich...", fiepte ich, schluckte erneut, obwohl in meinem Mund kein Tropfen Spucke war, und krächzte weiter: „Ich.. I-ich... war.. bei... m-meinem Freund..."

„Mh-hmmm", machte Hiashi langsam und in einem ironisch nachdenklichen Ton. „Dein Freund also. Meinst du damit Shino?"

Ich nickte hastig.

„Oder doch eher jemanden namens ‚King'?"

Vor Schreck riss ich die Augen auf und den Kopf herum. Das Gesicht meines Vaters war oberflächlich ausdruckslos, doch in seinen Augen erkannte ich etwas, das ich lange nicht gesehen hatte – zuletzt an jenem Tag, als ich mich geweigert hatte, an einem Meeting teilnehmen zu wollen. „W---wo...."

„Woher ich den Namen kenne?", fragte er gelassen und verzog das Gesicht zu einem Lächeln. „Oh, das kann ich dir zeigen." Er ging zurück zum Schreibtisch. Erst jetzt bemerkte ich, dass eine schwarze Kiste darauf stand. Den Deckel hatte jemand entfernt und der graue Laptop, den ich für kleines Geld bei einem Gebrauchtwarenhändler gekauft hatte, lag neben der Box, aufgeklappt, und eine vertraute Website war geöffnet. Ich sah, dass meine letzten beiden Nachrichten an King zwar gelesen worden waren, aber keine Antwort war erfolgt. In meiner Panik konnte ich diese Information kaum verarbeiten. Es galt, im Hier und Jetzt zu bleiben. Mein Kopf steckte in einer Schlinge, bei der ich nicht wusste, wie ich sie lockern konnte.

„Was für eine schmutzige, kleine Tochter ich doch habe", murmelte Hiashi, nahm den Laptop auf und begann, mit einem widerlich anrüchigen Schwingen in der Stimme ein paar der Nachrichten vorzulesen. „ ‚King, ich will deinen Schwanz sehen, sofort.', ‚Ich bin heute auch scharf wie sonst was', ‚Bitte komm für mich', ‚Magst du eigentlich anal', ‚Wie stehst du zu neunundsechzig', ‚Leg mir die Hände um den Hals und drücke so fest zu, dass ich unter deiner Kontrolle komme und sterbe', ‚Du machst mich wahnsinnig.. Buttercup.' " Dieses letzte Wort betonte er besonders. Seine silbernen Augen huschten zu den meinen, die glasig zurückblickten. „Kennt er deinen richtigen Namen? Oder bist du einfach seine Hure?" Er gab ein paar leise „Kst" von sich, stellte den Laptop wieder zurück und strich sich durch sein langes, blau-schwarzes Haar. „Ich hätte viel von dir erwartet, Hinata. Ich hätte erwartet, dass du dich gegen die Gin'nome-kai stellst, uns verrätst. Dass du Hanabi beschützen möchtest, ist auf eine Weise ehrenhaft von dir, aber damit hast du mir gezeigt, bei wem deine Treue liegt." Sein Blick verdunkelte sich spürbar. „Und das bin nicht ich." Er kam mir wieder näher. „Nicht wahr? Hinata? Du bist mir nicht loyal, warst du noch nie. Du warst dein Leben lang eine Enttäuschung für mich. Die letzten Wochen zeigen dies deutlich." Er schnaubte verächtlich. „Shino? Wer ist er wirklich?"

be_my_ace [18+]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt