Kapitel 22

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Der Anblick der sich mir am nächsten Morgen bietet überrascht mich dann doch völlig. Alexander hat scheinbar die Nacht neben mir verbracht. Seine gleichmäßigen Atemzüge verraten, dass er immer noch tief und fest schläft. Er wirkt viel entspannter und nicht so getrieben, wie sonst. Ich sollte ihn nicht ohne seine Schutzschilde sehen, war ich selbst doch so an meine eigenen gewöhnt. Ich hebe die Decke, steige aus dem Bett und verschwinde im Badezimmer. Das Wasser der Badewanne war abgelassen worden, ebenso war mein Glas und der restliche Wein verschwunden. Alexander musste gestern noch alles aufgeräumt haben. Ich greife nach meinen nun sauber zusammengelegten Kleidungsstücken. Meine Haare binde ich wieder in einen unordentlichen Knoten, ehe ich aus dem Badezimmer, dem Gästezimmer und seinem Penthouse fliehe. Es ist eine schlechte Angewohnheit einfach zu verschwinden, doch so bin ich schon immer gewesen. Der Morgen danach sorgt meist nur für Verwirrung und schlechtes Gewissen. Dem will ich mich eben nicht stellen. Zumal es der Mehrheit der Männer lieber war- nach dem bösen Erwachen - mich nicht mehr antreffen zu müssen. Alexander wird es sicher genauso sehen.
Ein paar Blocks entfernt gehe ich in ein Café, um mir erst einmal ein ordentliches Frühstück zu gönnen. Ich verkrieche mich in der hintersten Ecke und genieße meinen Kaffee, als mein Handy einen Piepton von sich gibt. Mit schlechtem Gewissen hole ich es aus meiner Handtasche und öffne die Nachricht.

Bleibst Du länger weg? - Jimmy

James habe ich fast schon wieder vergessen. Mit ihm muss ich heute dringend reden. Das was ich gestern mitanhören konnte beweist, dass er Geheimnisse vor mir hat. Wenn er es mir noch nicht erzählen will, muss ich ihm beweisen, dass er mir alles erzählen kann.

Bin bald Zuhause. Müssen reden. - Marie

Bis ich nach Hause komme sollte ich mir Gedanken machen, wie ich dieses Gespräch starte. Ich sollte ihm erzählen, dass ich gelauscht habe. Eigentlich war es mehr ein Versehen, doch trotzdem wird er sauer sein. Ich hätte auf mich aufmerksam machen müssen. Ohne Zweifel kann er mir das auf jeden Fall vorwerfen. Ich lege meinen Kopf in beide Hände. So viele Gedanken die meinen Kopf besetzen. Ich habe das Gefühl nichts klären zu können. Eher verstricke ich mich immer weiter in diesem Gewirr. Meine gesamte Aufmerksamkeit sollte sich jetzt auf James zentrieren. Er ist mein bester Freund, auch wenn er diese Freundschaft vielleicht nicht mehr so pflegt, wie er es einst getan hat. Du solltest ihm trotzdem beistehen. Eventuell lässt sich alles ganz leicht lösen. Ein klitzekleines Missverständnis. Schließlich hört doch der Lauscher an der Wand, seine eigene Schand'. Woher soll dieses Sprichwort sonst kommen? Was kann er schon angestellt haben, dass mich von den Socken hauen würde?

Ich hab Mist gebaut, stimmt's? - James

Seine Nachricht lässt mich lächeln. Er mag mir vielleicht nicht alles erzählen, doch sein schlechtes Gewissen zeigt mir zumindest eines: Ich bin ihm nicht egal.

***

Als ich die Tür zu unserem Apartment öffne, tritt mir ein schuldbewusster James entgegen. Ich lege meine Handtasche ab und greife nach der Tasse Kaffee, die er mir entgegen hält. Sein übliches Friedensangebot an mich. Ich verkneife mir mein Grinsen und setze eine noch düstere Miene auf. Den „bösen Blick" habe ich übrigens von ihm gelernt.
„Ach komm schon Marie, spuck es schon aus. Sonst werde ich noch verrückt." Es stimmt; die Tonlage die er wählt lässt durchscheinen wie nah er am Abgrund der Verzweiflung steht. Mein Blick wird weich ehe ich kichere. Das scheint ihn ziemlich zu irritieren. Willkommen im Club. Mit deinem Verhalten geht es mir ähnlich.
„Setz dich, Jimmy", bestimme ich und gemeinsam nehmen wir auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz. Ich nippe kurz an meinem Kaffee, bevor ich ihn erlöse.
„Ich kam gestern noch einmal zurück in die Wohnung. Eigentlich wollte ich mich für meinen schnellen Abgang entschuldigen. Du warst in deinem Zimmer und ich konnte dein Telefonat mitverfolgen." Ihm entgleisen seine Gesichtszüge. Ob vor Wut, Enttäuschung oder Angst, ertappt worden zu sein, kann ich nicht sagen. „Ich konnte nicht hören, mit wem du telefoniert hast, aber das Worüber. Was mich so schockiert und wütend macht ist, dass du meintest du würdest mir nicht die ganze Wahrheit erzählen." Die kurze Gesprächspause lasse ich ihm um alles ordnen zu können. „Vielleicht bedeutet dir unsere Freundschaft nicht mehr so viel wie früher, oder du vertraust mir nicht mehr so sehr, aber-„, ich kann den Gedanken kaum zu Ende führen. Das er mir eventuell nicht mehr genug vertraut zerreißt mir das Herz. Er war immer schon einer der wichtigsten Menschen für mich, ein Teil meiner Familie. Sollte ihm das nicht mehr das Gleiche bedeuten, wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. „Egal was der Grund dafür ist, du musst wissen, dass ich dich immer lieben, immer zu dir stehen, dich nie verurteilen werde. Ich will, dass wir ehrlich miteinander sind. Du kannst es mir erzählen." Ich greife nach seiner Hand um ihm meinen Standpunkt klar zu machen. „Du bist mein bester Freund, mein engster Vertrauter." James reißt mich an sich, hält mich fest in seinen Armen, ehe er beginnt es zu erklären.
„Wie kannst du nur glauben, ich würde dir nicht genug vertrauen?"
„Aber warum redest du dann nicht mit mir darüber?"
„Marie, ich-. Ich musste selbst mal ins Reine kommen. Ich -„ So unbeholfen habe ich ihn noch nie erlebt. Was es auch sein mag, es nagt an ihm. „Als wir in Blacks Club waren... es ist kein normaler Club." Fragend blicke ich ihn an. „Black hat mir die Karten mit einem kleinen Hinweis gegeben. Hinter den Kulissen geht viel mehr ab, als es den Anschein hat. Ab drei Uhr morgens verwandelt sich das Ding in einen Sündenpool. Sodom und Gomorrha ist nichts dagegen." Weil ich nicht weiß, wie ich auf diese Information reagieren soll, starre ich auf meine Finger - als wären sie das Interessanteste was ich je gesehen habe.
„Kannst du dich noch an Zack erinnern? Der Barkeeper an dem Abend." Ich nicke sehe jedoch nicht auf. „Ich bin mit ihm in dieser Nacht zusammen gewesen." Mein Kopf schnellt nach oben. Ich bin überrascht, dass ich mir bei dieser schnellen Bewegung nicht das Genick breche. „Diese Zoe, Marie, die gibt es nicht. Ich habe mich verdammt nochmal mit Zack getroffen. Das verworrenste ist nicht einmal, dass ich herausgefunden habe wie heiß ich Männer finde. Ich habe mich sehr wahrscheinlich in jemanden verliebt, der genau wie ich ist - unfähig eine Beziehung zu führen - und mich jetzt auf Abstand halten will." Die unterdrückte Wut lässt ihn aufspringen. Seine Hände verkeilen sich verzweifelt in seinen Haaren. Ich bin immer noch in meiner Schockstarre festgefroren, versuche meine Verwirrung jedoch abzuschütteln, um ihm jetzt beistehen zu können. Sag was Lockeres. Versuch die Stimmung zu heben, versucht mein Unterbewusstsein zu instruieren. Doch meine Gedanken bleiben blank.
„Bist du dir sicher-„, fange ich an werde jedoch von ihm unterbrochen.
„Ob ich auf Ärsche und Schwänze stehe? Zumindest hat es mir am vorherigen Wochenende noch ziemlich gut gefallen", ruft er ungehalten. Nun schenkt er mir den „bösen Blick". Ich hebe die Hand - wehre seine Worte ab - um meine Aussage zu Ende bringen zu können.
„Nein James! Ich meinte, ob du dir sicher bist, dich in Zack verliebt zu haben?" Er lässt den Kopf hängen ehe er niedergeschlagen nickt. Ich gehe auf ihn zu, lege meine Arme um seinen schmalen Körper und drücke ihn an mich. Dass er sich verliebt hat ist etwas Neues für James, aber auch für mich. Die Eifersucht, die versucht sich an die Oberfläche zu kämpfen, drücke ich nieder. Er wird mich sicher nicht vernachlässigen, nur weil er jetzt einen neuen Freund hat. Warum ich eifersüchtig bin, wage ich nicht zu ergründen und rede mir einfach ein, es wäre aus Angst meinen besten Freund zu verlieren. So muss es sein!
„Ich will nie wieder hören ich würde dich verurteilen. Ich werde dich immer lieben, James. Egal ob du auf Männer, Frauen oder Beides stehst. Wenn du dich entscheidest, ab Morgen Jamie, die Travestie, sein zu wollen stehe ich dir auch zur Seite." Mit meiner Hand auf seinem Herzen spreche ich weiter. „Solange du dich hier drinnen nicht veränderst, bin ich bei Allem dabei." Ermutigend Lächle ich ihm entgegen.

Den Nachmittag über, nehmen wir uns füreinander Zeit. Ich höre mir die Geschichte mit Zack an. Es scheint ziemlich an ihm genagt zu haben und er beteuert immer wieder, wie froh er ist, jetzt ehrlich sein zu können. Nur die Details zum Club lässt er aus. Ich solle sie von Black erfahren, meint er dazu. Kurz nach Dämmerungsbeginn macht er sich auf den Weg zu Zack und ich mich auf den in mein Zimmer. Im Flur greife ich noch schnell nach meiner Handtasche. Nach den heutigen Enthüllungen freue ich mich auf eine warme Dusche und darauf schnell ins Bett zu kommen. Als meine Tasche auf dem Bett steht höre ich mein Handy klingeln. Ich krame in den Tiefen danach. Erschrocken sehe ich auf die 20 verpassten Anrufe und drei Nachrichten. Alle von Alexander. Die letzte ging gerade eben ein. Ich öffne sie nacheinander.

Wird das ein Running Gag? Jedes Mal wenn ich mich umdrehe wirst du verschwunden sein? - Alex

Geh' an dein verdammtes Telefon. Du reizt meine Geduld, Marie, wenn ich dich in die Finger bekomme werde ich Dir deinen süßen, kleinen Hintern versohlen. - Alex

Ich bin in 20 Minuten bei Dir. Sei für mich bereit. - Alex

Mr. Blacks geheime Leidenschaft | BAND 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt