Kapitel 31

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Nach meinem flehenden Blick hat James Alexander fortgeschickt. Ich konnte mich jetzt nicht um seine Spielchen kümmern. Ich muss zu meiner Granny. Emily hat uns ein Taxi gerufen, ihren Wagen holen sie und James morgen. Als der Taxifahrer am Straßenrand hält, bringen mich die beiden zum Wagen. Auf der Rückbank kuschle ich mich an meinen besten Freund, versuche mich etwas zu beruhigen. Für meine Granny muss ich ruhig und gelassen bleiben. Ein Zusammenbruch, wegen des Stresses, würde mich weder zu ihr bringen, noch in ihrem Zustand weiterhelfen. Um sechs Uhr geht mein Flug, also muss ich mit einem kühlen Kopf packen. Ich muss einen Koffer packen, meinen Pass herrichten und eine E-Mail an meinen Chef verfassen.

Emily wird ihm dann am Montag alles genauer erklären. Ich kann nur darauf hoffen, dass er mich anschließend nicht hinauswirft. Ich verschwinde einfach aus dem Land, obwohl meine Probezeit noch läuft. Doch die Gesundheit meiner Großmutter, und das ich ihr in dieser Zeit beistehe, ist mir nun mal wichtiger. Ich hoffe nur, dass Granny die Nacht und ihre OP gut übersteht. Wir haben sie einfach allein in Deutschland gelassen. Wir hätten sie zu einem Umzug überreden müssen. Sie wollte nicht, doch wir hätten sie das nicht entscheiden lassen sollen. Ich kauere mich näher an James, der wiederum seine Arme fester um mich schlingt. Die Tränen laufen lautlos über mein Gesicht.

Zuhause angekommen bezahlt James das Taxi, während Emily und ich schon einmal unser Appartementgebäude betreten. Sie ruft den Fahrstuhl. Zwischen uns ist es still, keiner spricht ein Wort. Selbst James kommt auf leisen Sohlen an meine Seite getreten, legt mir wieder seinen Arm um die Schultern. Er ist der Einzige, der mich jetzt halten und trösten darf. Ich möchte niemand anderen an meiner Seite haben, als meinen besten Freund. Meine Augen schmerzen von den vielen Tränen. Am liebsten würde ich mich jetzt in mein Bett legen und die Erschöpfung aus meinem Körper herausschlafen, doch ich habe keine Zeit dazu. Ich muss mich sofort an die Arbeit machen. James lässt kurzzeitig von mir ab, um die Türe unserer Wohnung aufzusperren. Ruhelos gehe ich in mein Zimmer, lasse die Tür offen und beginne zu packen. Mein bester Freund eilt an mir vorbei ins Badezimmer. Als ich einen kurzen Blick hineinwerfe sehe ich, wie er für mich packt. Wieder schleicht sich eine Träne auf mein Gesicht. Emily ist jetzt ebenfalls wieder bei mir, drückt mich auf mein Bett. Ohne zu widersprechen folge ich ihrer stummen Anweisung.
"Ruh dich aus Marie. Wir kümmern uns um den Rest. Schlaf etwas." Sie streicht mir über mein Haar, löst die Maske, die ich vergessen habe abzunehmen. Das Letzte das ich spüre ist, wie sie mir einen Kuss auf die Stirn gibt, ehe ich ins Land der Träume sinke.

***

In München ist es bereits 20 Uhr, als wir landen. Während Steve und ich unsere Koffer holen, versucht meine Mum im Krankenhaus anzurufen. Die Besuchszeiten sind längst zu Ende, doch ich möchte Granny heute unbedingt noch sehen. Sie versucht nun mit dem Oberarzt zu reden. Früher war er einmal ein Freund der Familie gewesen, doch nachdem sie sich mit meinem Vater eingelassen hatte, wollte er keinerlei Kontakt mehr. Ihr Charme könnte uns also vielleicht weiterhelfen. Sicher hatte Mum mal was mit diesem Dr. Hansen. Ich schüttle den Kopf über meine innere Stimme. Als ob das nun wichtig wäre. Steve hievt gerade unsere Koffer vom Band, da kommt Mum um die Ecke. An ihrer Seite läuft Alexander. Mein Schock muss mir anzusehen sein, denn mein Stiefvater stupst mich am Oberarm. Sofort löse ich meine Augen vom Geschehen, blicke zu Boden. Mums geräuschvollen Schniefer kommen näher, was mir die Gelegenheit gibt, das Gespräch wahrzunehmen, das die Beiden führen.
"Er meinte, er könnte nichts für mich tun. Wir würden bis morgen warten müssen", erklärt sie Alexander.
"Darf ich es einmal für Sie versuchen, Mrs. Peterson?"
"Natürlich. Vielleicht können Sie etwas ausrichten." Mit einem Nicken entschuldigt er sich für einige Minuten und eilt in eine ruhige Ecke zum Telefonieren. Meine Mum hat nun ein leichtes Lächeln aufgesetzt, lässt sich von Steve in die Arme schließen, der sie sanft über den Rücken streichelt. Eine Geste die so viel Liebe und Zuneigung ausdrückt, dass ich verschämt zu Boden blicke. Ich dagegen habe mich noch nie so einsam und allein gefühlt. James müsste an meiner Seite stehen, mich unterstützen. Stattdessen ist er jetzt in New York, lebt sein Leben weiter. Ich entschuldige mich ebenfalls für einen kurzen Augenblick und stürme zur nächstgelegen Toilette. In der Kabine kann ich dann die Tränen nicht mehr aufhalten. Was macht Alexander hier? Warum hat er sich mit meiner Mutter unterhalten und möchte nun helfen? Ich habe ihn stehen lassen, ihn fortschicken lassen, ihn ignoriert. Trotzdem steht er heute auf diesem Flughafen und telefoniert mit dem Oberarzt, der uns als einziger gestatten kann, noch heute meine Großmutter sehen zu dürfen.

Wütend wische ich mir die Tränen vom Gesicht. Genau die Schwäche die ich an meiner Mutter kritisiert habe, scheint nun von mir Besitz zu ergreifen. Alexander macht mich jetzt schon zu einer nutzlosen, gefühlsduseligen Marie. Ein Mädchen, das ich nicht mehr sein will. Vor dem Spiegel wische ich mir die letzten Reste meiner Verletzlichkeit ab, atme tief ein und wieder aus. Ich werde mich ihm stellen.

Noch ehe ich die Tür öffne, um aus der Damentoilette hervorzutreten, habe ich mein Fake-Lächeln aufgesetzt und alles kaschiert, was niemand außer mir sehen darf. Hoch erhobenen Hauptes schreite ich der kleinen Gruppe entgegen. Ich reiche Alexander meine Hand zur Begrüßung. Er sieht mir tief in die Augen, greift nach ihr. Schon seine Berührung lässt Funken sprühen, doch der leichte Druck seiner Lippen auf meinem Handrücken lässt mein Herz in Flammen aufgehen. Die Wärme breitet sich immer weiter in meiner Brust aus. Schnell entziehe ich ihm meine Hand wieder, beinahe als hätte er mich verbrannt. Der Augenkontakt bricht, als ich mich wieder zu meiner Mutter umdrehe.
"Schätzchen, Mr. Black konnte etwas arrangieren. Wir werden Granny heute noch sehen." Sie schlingt ihre schlanken Arme um meinen Körper. Mit ihrer Wärme entweicht auch die Anspannung in meinem Körper.
"Wie geht es ihr denn? Hat der Arzt etwas erwähnt?"
"Sie hat die Operation gut überstanden, ist allerdings sehr geschwächt. Dr. Hansen meint die nächsten drei Tage könnte es kritisch werden. Sollte sie die Nächte überstehen, würde der Normalzustand wieder eintreten." Ich nicke, lege ein Lächeln auf und sage: "Komm lass uns unsere Sachen nehmen und losfahren."

***

Alexander hat uns mit seinen Leihwagen zum Krankenhaus gefahren. Meine Mum und Steve sind gerade dabei das Krankenhaus betreten, während ich Alexander zurückhalte. Er schuldet mir ein paar Antworten.
"Was machst du hier?", den Vorwurf, der in meiner Frage mitschwingt, kann ich nicht unterdrücken.
"Ich dachte das wäre offensichtlich. Ich habe nach Besuchszeiten einen Besuchstermin ausgehandelt und habe euch zum Krankenhaus gefahren."
"Du weißt genau was ich meine, Alexander. Halte mich nicht für dumm. Ich mein-"
"Ich weiß was du meintest, aber bevor ich mich vor dir wie einen Schuljungen ausschimpfen lasse, zeige ich dir nochmal auf, was ich für dich getan habe." Sein Gesicht ist Wutverzerrt und er kann seine Stimme kaum kontrollieren. Auch mein Herz rast und ich würde ihn so gerne gegen die Brust schlagen, oder ihn erwürgen, oder unter mir haben und ihm die Wut aus dem Körper vögeln. Seine Anwesenheit bringt mich durcheinander und das kann ich nun nicht gebrauchen.
"Ohne das ich dich darum gebeten hatte! Du hast dich einfach eingemischt."
"Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte deine Mutter weinend in der Ankunftshalle stehen lassen und euer Problem ignoriert?" Er hat Recht, ich klinge wie eine Verrückte aber ich möchte ihm klar machen, dass er mir nicht einfach folgen kann. Wenn es das war, was er getan hat.
"Wieso bist du hier in Deutschland. Ich habe dich ignoriert, ich habe mich nicht mehr mit dir getroffen. Die Sache zwischen uns - was auch immer es war oder wie du es nennen möchtest - ist vorbei. Spiel deine Spiele mit einer Anderen, Alexander, denn im Augenblick habe ich eine Schwerkranke Großmutter, und damit weiß Gott andere Probleme im Leben." Meine Wut bahnt sich ihren Weg nach draußen. Wenn er nur wegen einem Fick nach Deutschland geflogen ist, dann hat er sich getäuscht. Ich werde ganz sicher nicht mehr mit ihm ins Bett steigen. Dieser Fuck-Buddie-Schwachsinn hat alles nur ins Chaos gestürzt. Ich hätte von Beginn an 'Nein' sagen sollen. "Danke, dass du uns mit dem Oberarzt geholfen und uns hierher gefahren hast. Aber ich werde meine Meinung nicht ändern. Ich weiß nicht was du dir erhoffst, aber ich kann es dir sicher nicht geben." Ich drehe mich um, um zu meiner Granny zu flüchten. Zwei Schritte, weiter komme ich nicht, ehe er mit seiner Faust auf den Leihwagen einschlägt. Erschrocken drehe ich mich um. Er kocht innerlich. Ich kann die heiße Wut in seinen Augen brodeln sehen.
"Was ich mir erhoffe?", brüllt er. Er jagt mir in dieser Situation eine solche Angst ein, dass ich automatisch einen Schritt zurück, Richtung Krankenhaus, weiche. "Ich hatte gedacht, du würdest dich freuen einen Freund hier zu haben, der dir in einer so schwierigen Situation zur Seite steht, dich unterstützt. Ich dachte ich könnte dir helfen in dieser Zeit. Dir beweisen, dass ich nicht nur Sex von dir will, sondern DICH. Doch du willst oder kannst es nicht sehen. Für dich bin ich der Feind. VERDAMMT MARIE, wach aus deiner deprimierenden Welt auf. Nicht jeder will dir etwas schlechtes", wieder schlägt er auf sein Auto ein. "Aber du hast Recht, es ist wohl besser, wenn ich jetzt wieder fahre. Ich bringe eure Sachen zum Hotel. Sag deinen Eltern bitte, dass es mir Leid tut." Er klingt besiegt. Seit seinem Ausbruch sieht er mich nicht mehr in die Augen. Ohne ein weiteres Wort steigt er in seinen Wagen, legt den Gang ein und fährt. Wie angewurzelt bleibe ich stehen, verstehe nicht was er meint.
Er will mich. ER will mich. Er will MICH. Er WILL mich. Was möchte er nun von mir?

Mr. Blacks geheime Leidenschaft | BAND 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt