Chan war außer sich vor Wut und fuhr ziellos durch die Straßen der Stadt. Die Lichter zogen wie unscharfe Flecken an ihm vorbei, aber er achtete nicht darauf, wohin er fuhr. Alles, was er spürte, war diese brennende Enttäuschung – über Jisung, über Minho, aber auch über sich selbst.
Seine Finger umklammerten das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. Der Knoten in seiner Brust wuchs mit jeder Sekunde, und seine Gedanken wirbelten immer wieder um denselben Punkt: den Abend im Club. Er hatte es doch gesehen. Den Ausdruck in Jisungs Gesicht, als er Minho getroffen hatte. Wie weiß Jisung geworden war, als ihre Blicke sich trafen. In diesem Moment hätte Chan es wissen müssen – hätte die Zeichen deuten sollen. Doch er hatte sie ignoriert, sich eingeredet, dass es einfach nur die Verlegenheit eines flüchtigen Bekannten war.
Minho hatte ihm später die Wahrheit gesagt. Dass Jisung sein „Unbekannter" aus dem Urlaub war, derjenige, der Minho seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Derjenige, für den Minho Gefühle entwickelt hatte, obwohl er seinen Namen nicht einmal mehr kannte. Minho hatte es ihm gestanden, ehrlich und offen, wie er immer war. Und Chan hatte es akzeptiert – bis jetzt.
Jetzt fühlte sich alles wie eine Lüge an.
Chan knirschte mit den Zähnen und drehte scharf um eine Ecke, ohne auf die Richtung zu achten. Die Enttäuschung über Minho war fast noch schwerer zu ertragen als die Wut auf Jisung. Minho, sein bester Freund, derjenige, dem er immer vertraut hatte. Derjenige, der ihm gesagt hatte, dass er diesen „Unbekannten" nie vergessen konnte, dass er sich seitdem nach einer zweiten Chance sehnte. Und nun hatte Minho diese Chance genutzt – mit Jisung, von allen Menschen.
Die Gedanken an die beiden zusammen schnürten Chan die Kehle zu. Er fühlte sich betrogen, verraten, als ob ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden war. Jisung, der ihm nie die Wahrheit gesagt hatte. Minho, der wusste, was er für Jisung empfand, und trotzdem die Nacht mit ihm verbracht hatte.
Doch hinter der Wut, tief darunter, steckte auch die Enttäuschung über sich selbst. Chan hätte es kommen sehen müssen. Hätte früher darauf reagieren müssen. Stattdessen hatte er sich blenden lassen, hatte geglaubt, dass alles so weitergehen könnte wie zuvor – ohne zu merken, dass die Menschen um ihn herum längst andere Wege eingeschlagen hatten.
Ein leiser Fluch entkam Chan, als er das Lenkrad mit der Faust schlug. Die Lichter der Stadt verschwammen vor seinen Augen, und er spürte, wie ihm die Tränen brannten. Nicht vor Traurigkeit, sondern vor Frustration. Was sollte er jetzt tun?
Chan fuhr weiter, seine Gedanken kreisten unaufhörlich um das, was geschehen war. Die Wut, die Enttäuschung, alles schien ihn zu überwältigen. Er bemerkte die rote Ampel zu spät und trat abrupt auf die Bremse, als ein Auto knapp an ihm vorbeifuhr. Ein lautes Hupen und das Kreischen von Reifen rissen ihn aus seinem Chaos. Für einen Moment saß er starr da, sein Atem ging schnell, und sein Herz raste. Er hatte gerade noch einen Unfall verhindert, doch die Schockwelle durchlief ihn.
„Verdammt," flüsterte er und fuhr sich mit zitternden Händen durchs Haar. Er musste runterkommen, musste einen klaren Kopf bekommen, bevor er noch mehr Fehler machte. Sein Blick fiel auf ein Schild – den Parkplatz eines Fitnessstudios, auf dem er sich unbewusst wiedergefunden hatte. Es war nicht irgendein Fitnessstudio. Es war der Ort, an dem er und Minho früher oft zusammen boxen gegangen waren. Ironischerweise hatte Minho ihm damals das Boxen beigebracht, als Methode, um Frust und Stress loszuwerden.
Ohne weiter nachzudenken, parkte Chan das Auto und stieg aus. Seine Schritte waren schwer und entschlossen, als er in das Studio ging. Die vertrauten Geräusche von schweren Gewichten und gedämpften Gesprächen empfingen ihn, aber Chan nahm nichts davon wirklich wahr. Er war nur hier, um eine Sache zu tun – sich den Frust wegzuboxen.
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Stranger
Hayran Kurgu„Einen Drink?" fragt der Mann mit einer rauen Stimme, als Jisung näherkommt. „Warum nicht," antwortet Jisung und zwinkert ihm zu, während er den Drink annimmt. Ihre Blicke bleiben ineinander verhakt, und es scheint, als ob der Raum um sie herum vers...