Kapitel 40

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Schweigend liefen die beiden Trainer die lange Allee entlang.
Es regnete erneut. Die Regentropfen fielen zu Boden, bildeten Rinnsäle, flossen in die Kanalisation hinab.
Yuki spannte ihren Schirm auf.
Nach einiger Zeit erschien das Dach des Krankenhauses hinter dem Berg.
"Wir sind gleich da."
"Ja. Hey, N! Warte auf mich!"

Er lief immer und immer schneller, bis er vor der verschlossenen Tür stehen blieb. Das Mädchen traf etwas nach ihm ein und keuchte.
"D-du solltest... warten..."
"Die Tür ist zu."
"Weil du drückst anstatt zu ziehen." entgegnete sie amüsiert.
"Ups..."

Langsam öffnete der junge Trainer die Tür des Zimmers, in dem Touko lag. Ein Arzt stand vor ihrem Bett und grüßte die beiden Trainer.
"Freunde von der Patientin, nehme ich an?"
"Ja. Wie sieht es aus?"
"Ihr Zustand ist genauso schlecht, wie die Chance zu überleben. Sie liegt vorerst im Koma."

N fiel vor ihrem Bett auf die Knie und hielt ihre Hand.
"Touko... es tut mir so unsagbar sehr leid. Verlass' uns nicht. Bitte nicht..."

Die Nacht brach an.
"Wollen wir nicht langsam gehen, N? Es wird dunkel und du hast seit Stunden nichts getrunken oder gegessen. Komm."
"Nein... ich bleibe... geh' du dir eine Unterkunft suchen, wenn du müde bist. In meiner Tasche ist noch genug Geld für dich."
Sie schwieg.

Ein Schatten erschien hinter dem Bett.
"Mary."
Der Geist setzte sich auf die Bettdecke und streifte mit den Fingern das Gesicht von Touko.
"Nimm deine dreckigen Krallen von ihr!"
"Mhmhmh. Warum so sauer?"
"Verschwinde!"
"So zerbrechlich. So schwach. Du weißt wer daran schuld ist. Nicht wahr? Wärst du lieber nicht-..."
"HALT DIE KLAPPE, MARY!"
N lief um das Bett und drückte das Geistermädchen an der Kehle gegen die kalte Wand. Sie lachte.
"Du bist nichts wert. Denk darüber nach. Du hast sie dahin getrieben."

Der Morgen brach an. Yuki klopfte an der Tür, ein Tablett in der Hand.
Sie setzte sich neben N.
"Iss jetzt endlich mal etwas!" Das Mädchen schmierte dick Marmelade auf das helle Brötchen und schob es ihm in den Mund. Widerwillig schluckte der junge Trainer. Nach einigen Augenblicken trank er die Flasche Wasser aus.
"Zufrieden...?"
"Sehr sogar. Ach, Mensch! Das ist wichtig. Du kannst nicht einfach aufhören zu essen... oder zu trinken."
Er schwieg, seinen Blick auf Touko gerichtet.
Yuki legte ihre Hand auf die Schulter des Jungen.
"Komm mit in den Park. Da hast du etwas Ablenkung."

Die Trainerin verließ den Raum und lief die Treppen hinunter. N stand auf, küsste Touko auf sie Stirn und verließ das Zimmer ebenfalls. Jedoch lief er hinauf auf das Dach. Der Wind fuhr durch sein Haar.

Wo hat es eigentlich angefangen? Wo hat mein Leben angefangen, so besch-... zu werden...? Mein leiblicher Vater schlug mich und meine Mutter. Sie wurde alkoholkrank als er uns verließ. Meine Geschwister sind auch abgehauen... Mutter hat nur noch getrunken und begann mich zu schlagen. Sie hat es immer und immer wieder getan. Als sie Selbstmord beging hat mich G-Cis aufgelesen und fortan in diesem kalten, einsamen Schloss, fern jeglicher Zivilisation gehalten. Ich durfte nie mit Menschenkindern befreundet sein. Nur die Pokemon waren bei mir. Ich wurde gegen meinen Willen zum König von Team Plasma gewählt. Naja... 'König'. Wohl eher das Werkzeug von G-Cis...
Ich habe erstmals Freundschaften mit Menschen geschlossen, wurde, warum auch immer, angehimmelt und manche Mädchen träumen, so wie sie mir gestanden, von einer Beziehung mit mir... Nie fehlte es mir an etwas. Dachte man. Doch die Liebe, die mir nie entgegen gebracht wurde hat mich zerstört. Ich bin kaputt. Ich mache alles kaputt. Wäre ich nicht, wäre Touko nie-...
Vielleicht hat Mary ja wirklich recht gehabt... Vielleicht ist mein Leben wirklich überflüssig. Dieser Vogel darf nicht fliegen...

"N! Stopp!" Touko keuchte angestrengt.
Yuki schüttelte verzweifelt den Kopf.
"Was hast du vor?! Du wirst doch nicht etwa... N, NEIN!"

Er lächelte.
"Touko... Du... du bist wach!"
"Bitte nicht, N! Bitte! Es tut mir leid..."
"Das sollte es nicht. Immerhin hab ich dich in diese Lage gebracht..."
Die junge Trainerin hielt ihn fest.

"Hey, ihr beiden..."
Sie schwiegen.
"Ihr seid wunderbare Menschen. Vergesst das bitte nie. Ich bin so dankbar, dass ich euch kennenlernen durfte!"

Traurig lächelnd lief er rückwärts und Schritt für Schritt auf die Dachkante zu.

"N, NEIN! NEIN!" Touko schrie als er nur noch einige Zentimeter vor seinem Fall in die Tiefe stand.
"Es tut mir leid." Der junge Trainer ließ sich, noch immer traurig lächelnd fallen.

"NEIN! NEIN! WARUM?! N!"
Sie fiel wimmernd auf ihre völlig verkratzten Knie. Yuki stand schockiert neben ihr, mit Tränen in den Augen.
Aus der Ferne erklangen Flügelschläge.

I wouldn't mind.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt