Amanah POV
Manchmal hielt das Leben Dinge für einen parat, die man sich niemals hätte ausmalen können. An einem Tag wünschst du dir nichts lieber, als wieder mit diesem einen Jungen aus deiner Kindheit sein zu können, kurz danach gibst du auf, und lernst jemand anderen kennen und wenige Tage später stehst du vor deinem Spiegel, und richtest dein Kopftuch, weil dieser eine Junge, der jetzt ein junger Mann geworden ist, sich bei deinen Eltern gemeldet hat, mit der Absicht dich zu heiraten.
Vor nicht mal einem halben Jahr hätte ich mir nicht geglaubt, dass ich binnen einer Woche Yusuf eine Absage erteile, nur um 3 Tage später von Bilal angefragt zu werden. Und bis vor einer Woche war ich mir sicher, fürs erste eine Distanz von dem ganzen Heiratsthema zu nehmen, und mich auf mich zu fokussieren. Und doch stand ich jetzt hier, wie vor knapp 2 Monaten, nur dass mein Puls dieses Mal laut in meinen Ohren dröhnte, meine Hände schwitzten und das Grinsen auf meinem Gesicht nicht verschwinden wollte. Dieses Mal erwartete ich jemanden, der mein Herz höher schlagen ließ, und vielleicht war ich voreingenommen, aber das schien mein erstes gutes Zeichen zu sein.
Meine Mutter kochte, mein Vater lief nervös durch die Wohnung, räumte auf und putzte an Stellen, die niemals Tageslicht sehen würden, und auch ich hastete ziellos durch die Räume, um den angestauten Stress abzubauen. Nur Walid spielte seelenruhig in seinem Zimmer und schien von der Hektik um ihn herum wenig mitzubekommen. Ich wusste nicht, wer sich mehr freute. Ich oder meine Eltern. Meine Mutter hat Bilal schon immer geliebt, was, angesichts der Tatsache, dass er der Sohn ihrer besten Freundin war, niemanden wunderte. Mein Vater war weniger investiert in unsere damalige Freundschaft gewesen; dennoch kannte er Bilal schon immer als respektvollen Jungen, der oft bei uns zuhause war und als sein Vater vor Jahren verstarb, war mein Vater es, der ihn bei dem Totengebet, bei dem Begräbnis, dem späteren Umzug und vielen weiteren Prozessen zur Hilfe stand. Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits wieder Fremde geworden, aber ich erinnerte mich gut daran, wie mein Vater viele Tage unterwegs war, um Bilal und seiner Familie in dieser Zeit zu helfen. Ganz zu schweigen von seinem heldenhaften Auftritt, nachdem ich angegriffen wurde. Kurz gesagt, beide meine Eltern liebten Bilal und es waren erfreuliche Nachrichten für sie, dass er Interesse an mir zu haben schien.
Nach qualvollen 15 Minuten klingelte es an der Tür und mein Herz blieb stehen. Ich spürte, wie das Blut meinen Kopf verließ und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erst als meine Eltern aufgewühlt an mir vorbei raschten, um Bilal, seine Mutter und seine Schwester zu empfangen, tat ich es ihnen nach und stellte mich unbeholfen hinter meine Mutter, die hinter meinem Vater stand, der die Tür bereits geöffnet hatte. Der Klang der unregelmäßigen Schritte im Treppenhaus zog sich in die Länge und strapazierte jeden meiner Nerven, und nach Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hatten, erschien Bilal dicht gefolgt von seiner kleinen Schwester und seiner Mutter. Sein Blick war nach unten gerichtet und er hielt einen Strauß Margeriten in der Hand. Seine Präsenz nahm jegliches Denkvermögen von mir ein und ich versuchte zu verarbeiten, was meine Augen gerade sahen. Er trug eine Jeanshose und ein dunkles Polo-Shirt, welches an seinen Schultern spannte. Seine Haare waren fest nach hinten gebunden und stellten sein markantes Gesicht und dessen nahezu makellose Mimik zur Schau.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort stand, ohne mich zu regen. Es fühlte sich an, als würde ich das Ganze als Außenstehende betrachten. Wie er seine Schuhe an der Türschwelle auszog und dann meinem Vater der Hand gab, meine Mutter mit einem Nicken und seinem charmanten Lächeln begrüßte und anschließend vor mir zum Stehen kam. "As Salamu aleikum." Es war, als wär all die Luft aus der Wohnung geschwunden, während seine dunklen Augen mich unsicher betrachteten. Er hielt mir die Blumen entgegen, welche ich mit unruhigen Händen annahm. Achtsam darüber, ihn nicht dabei zu berühren. Er lächelte nicht mehr, und ich ebenso wenig. "Wua aleikum Salam." Die Spannung füllte den Raum zwischen uns und keiner sagte etwas, bis seine Mutter von hinten kam, ihn sanft weiterschob und mich in eine warme Umarmung zog.
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wär sie nicht da gewesen
RomanceViel zu früh musste der 24 jährige Bilal erwachsen werden. Viel zu früh musste er die Rolle seines verstorbenen Vaters einnehmen und dafür sorgen, dass seine Familie nicht den Abgrund traf. Wie viel Leid er dafür einstecken musste, war ihm gleichg...