Kapitel 2: Die "Menschenwelt"

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„Chimärâ aufstehen! Sonst kommst du wieder zu spät", brüllt die Herrin des Hauses. Das hat mir gerade noch gefehlt. „Schon gut Marta, ich bin doch schon wach.", antworte ich lautstark und ziehe mir meine warme Decke über den Kopf. Natürlich bleibt das nicht lange so, denn Marta zieht sie mir herzlos weg. „Steh auf Chimärâ, du weißt ich habe dich vor 21 Jahren aufgenommen und," „und du gabst mir ein Zuhause, weil mich niemand haben wollte ich weiß!", unterbreche ich sie. Jeden verfluchten Morgen muss ich mir das anhören. „Deine Eltern haben dich nie geliebt! Sie sind tot! Hätte ich dich doch nie gefunden! Dies sind meine absoluten Favoriten, wenn es darum geht mein Leben noch schwerer zu machen. Ich hasse es hier! Ich habe keine Familie, keine Freunde und keine Geschwister, abgesehen von diesem widerlichen Kerl, der ebenfalls bei Marta lebt. Schon als Kind fiel es mir schwer mit anderen Kontakt aufzunehmen. Sie interessierten sich für Puppen oder Klamotten und ich interessierte mich für Geschichten oder das Schwimmen. Ich lese für mein Leben gern und dies macht mich in der heutigen Gesellschaft zum Außenseiter, da ich viel mehr Zeit mit Büchern verbringe, als mit Menschen. „Los Chimärâ beweg dich!", ruft Marta aus dem Badezimmer. Mit zu viel Schwung steig ich aus dem Bett und sehe ich die schwarzen Punkte vor meinen Augen tanzen. Ein paar Mal blinzeln und alles ist wieder in Ordnung. Meine frisch gewaschene Jeans und mein Top ziehe ich mir über. Ich schminke mich dezent, denn ich möchte die Leute nicht erschrecken indem ich wie ein Zombie herumlaufe. Noch etwa zehn Minuten hab ich Zeit. Das nutze ich und hole mir noch einen Muffin von Karl, meinem Lieblings Bäcker. Ohne groß zu überlegen, häng ich mir meine Tasche um, stecke mein Handy in die Hosentasche und stürme aus der Wohnung. Zur Uni ist es nicht so weit, so hole ich mir noch schnell einen Schokomuffin zum Frühstück. Den Bus werde ich schon nicht verpassen. Hoffe ich zumindest.

In der Uni erwartet mich der gleiche öde Alltag. Die Mädchen hinter mir tuscheln über die letzten Parties und Jungs. Was auch sonst? Ein Paar andere büffeln in den Ecken und kommunizieren auf einer komischen Sprache. Bestimmt aus Star Trek oder so. Ich jedoch zähle zu den "normalen" Mädchen hier. Nun zumindest bezeichne ich mich so, doch trotzdem weiß ich tief in meinem Inneren, dass niemand so ist wie ich. Manchmal habe ich das Gefühl beobachtet zu werden, was sich dann doch immer als Irrtum herausstellt. Wer würde mich schon beobachten wollen. So konzentriere ich mich auf die Vorlesungen von den verschiedenen Professoren und diese sind heute nun ja wie immer, etwas langweilig. Das befreiende Schlusswort erklingt und alle Studenten flüchten aus dem Hörsaal. Das war der letzte Kurs für heute, jetzt hab ich Zeit zum Schwimmen. Gedacht, getan und schon hüpfe ich in das erfrischende Wasser unseres Unischwimmbads. Am liebsten tauche ich einfach auf den Grund und bleibe dort für eine gefühlte Ewigkeit. Ich habe eine Begabung die Luft anzuhalten und dies ermöglicht es mir, dass ich dort unten über alles nachdenken kann. Wenn ich keine Verpflichtungen hätte, würde ich hier für immer bleiben und mit diesem Gedanken verlasse ich das Wasser. Marta wartet sicher schon und sie hasst es wenn ich unpünktlich bin. Mit dem Bus bin ich in wenigen Minuten dort, doch atme ich nochmal tief durch. Schon vor der Haustür, würde ich am liebsten zurück gehen. Aber so öffne ich die Tür und geh hinein: ,,Marta ich bin da!", schreie ich einmal laut und mache mich bemerkbar. „Hallo Chimärâ und wie war es in der Uni?", fragt sie mich monoton. „So wie immer. Ist Kevin auch schon da?", möchte ich wissen, denn dieser Typ ist eine einzige Nervensäge. „Nein noch nicht, der ist bestimmt noch mit seinen Freunden unterwegs." Verdutzt sehe ich die Frau vor mir an. „Was?! Kevin hat Freunde? Sind die aus der Baumschule oder was?" Ich kann mir ein kleines Lachen einfach nicht verkneifen. „Ach Chimärâ, hör doch bitte auf!", schimpft sie mich streng und zieht die Augenbrauen zusammen. „Kein Stress, er ist nicht hier.", versuche ich sie zu beschwichtigen. Und mit diesem Satz endet auch das Gespräch. Normalerweise haben wir uns nicht soviel zu sagen, außer sie wirft mir wieder vor wie schlampig ich doch sei. Doch all die Sachen die ich einst verloren hatte, tauchten immer wieder auf. Ich verstehe nicht wieso sie es immer so übertreibt.
Das Abendessen zieht sich wie jeden Tag, da Marta jede Erbse einzeln isst. „Ich bin fertig. Darf ich in mein Zimmer gehen?", frage ich höflich, um dieser erdrückenden Situation zu entkommen. „Ja geh nur, aber vergiss bitte nicht, deinen Teller aufzuräumen!" Natürlich vergesse ich es nicht, da ich sonst wieder eine Standpauke bekomme. Mit meinem Handy in der Hand gehe ich die Stufen hinauf. Für die Uni morgen muss ich noch einiges vorbereiten und das wird mich die halbe Nacht kosten. Ich schneide schnell ein kleines Bild aus und Auu! Langsam fließt das Blut aus der kleinen Wunde. Aus Reflex nehme ich sofort den Finger in den Mund und der Schmerz verschwindet. Mit den Gedanken wo anders, nehme ich den Finger heraus, um die kleine Blutung zu begutachten. Doch da reiße ich schockiert die Augen auf. Die Wunde ist einfach wieder zugewachsen. Habe ich mir den Schnitt zur eingebildet?! Der Schmerz, das Blut alles ist weg. Wie kann das denn sein? Ich lege die Schere weg und stehe langsam vom Stuhl auf, jedoch wende ich nicht den Blick von meinem Daumen ab. Bestimmt war gar nichts. Mit einem eigenartigen Bauchgefühl plumpse ich auf mein Bett. Ich zieh mir meine Hose, sowie mein Shirt aus und schlüpfe stattdessen in meine bequeme Shorts und einem lockeren Top. Ich schließe die Augen und denke an nichts mehr.

Chimärâ die Tochter des Ulmo (Legolas FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt