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Bild: 7. Prinzessin von Asien, Asuna Misaki

Mum stürzte zu mir und umarmte mich, als wäre ich drei Jahre lang verschollen gewesen. Ich löste mich so sanft wie möglich aus ihrer Umarmung und setzte mich langsam auf. Ein kurzer Blick auf Jannes, dann sagte ich zu Mum: ,,Warum weisst du von den Visionen?"

,,Du hast die Gabe, dich an jeden deiner Träume zu erinnern, bis ins kleinste Detail. Du kannst ihn auch noch drei Wochen danach aufzeichnen und genauso ausmalen, als wärst du vor Ort gewesen - zum Beispiel dieses hier!"

Mum zog aus ihrer Handtasche, die mir bis jetzt gar nicht aufgefallen war, ein zerknittertes Blatt. Es zeigte Jannes, der auf einen Stuhl eindrosch und ein sehr wütendes Gesicht machte. Es war die Zeichnung, die ich gerade am Morgen zuvor gemacht hatte. An meinem Geburtstag.

Gilles beugte sich über meine Zeichnung und dann sah er mich an, während Jannes ebenfalls aufstand. Ich schlug die Decke zurück und folgte ihm, wenn auch etwas wacklig. Keine Ahnung, was mich seit meinem Geburtstag ritt, doch auf einmal hatte ich das Gefühl, der Prinz sei mein Herr. Wenn er sich bewegte, machte ich es ihm nach.

Der König entwand meiner Mum das Bild und betrachtete es genau. Jannes warf mir einen Blick zu, dann seufzte er: ,,Ich werde sie zur Schneiderin bringen, Jackie. Da kann diese Mass nehmen!"

Bevor der König irgendwie Einspruch erheben konnte - oder ich mich angesprochen fühlen – erklärte Mum sich als einverstanden. Sie erwartete keine Höflichkeitsform, sondern nur Respekt, den sie auch von ihm erhielt.

Jannes zog mich schon fast aus dem Raum.

Ich folgte ihm durch die Gänge, Treppenhäuser und Räume, die man schon fast als Saale betrachten könnte. Er hatte einen langen Schritt, wo ich kaum mithielt. Alles war mit Edelsteinen verziert - jeder Kronleuchter und jeder Kerzenhalter. Der Boden war überall gebohnert und geschrubbt, so dass es aussah, als ob es aus reinstem Glas wäre. Die Vorhänge waren golden oder silbern, die Fenster so riesig wie in einer hochmodernen Villa. Die Stockwerke mussten über zehn Meter hoch sein. Was mich sofort auf die Idee brachte, dass man hier grossartig flöge.

,,So sieht es nicht überall aus, Pegasus. Das hier ist nur der Königstrakt, der der königlichen Familienmitgliedern vorenthalten. Neben jedem Zimmer von einem König oder Prinzen oder was auch immer ist ein Zimmer für dessen Pegasus reserviert. Du wirst fast wie eine Prinzessin leben, zumindest wenn wir nicht trainieren oder kämpfen. Eine Kreditkarte mit unbegrenztem Limit wirst du ebenfalls enthalten, wenn du dich bewiesen hast..."

,,Und die anderen Adligen?"

Wir durchquerten einen riesigen Ballsaal mit einem Podium für die Musikanten in die Mauer eingehauen. Die vielen Logenplätze, die man unter dem Dach eingebaut hatte, besassen goldene Geländer. Wohin ich blickte, überall war es irgendwie golden. Der Boden unter meinen Füssen war gemustert und als ich mich genauer darauf konzentrierte, erkannte ich Federn. Und einen Schriftzug, den ich allerdings nicht so recht entzifferte. Die Fensterfront zeigte nach draussen, auf Stonehenge hinunter. Einige Touristen umrundeten das Monument der Zeit, während sie sich keinerlei Gedanken um Gehirnfehlfunktionen machten.

Müde wie nach einem ellenlangen Arbeitstag legte ich meine rechte Hand auf die kalte Fensterscheibe. Wie gerne würde ich jetzt aufwachen, lachen und darüber nachdenken, wie irre ich wieder einmal geträumt hatte. Doch niemals wäre das hier vorbei. Klar, wenn ich mich unter den Normalen versteckte, fände mich gewiss keiner, der nicht auf mich angesetzt worden war. Allerdings wusste ich jetzt, dass meine Eltern nie für immer vor ihrer Bestimmung flohen. Mit diesen Jahren, die sie unter den Normalies verbrachten, wollten sie nur einen Übergang schaffen, um mir zu zeigen, dass nicht alles nur aus Pegasi und Adligen bestand. Beide arbeiteten an einer viel grösseren Sache, mit der sie mich verbanden. Vielleicht gelang es ihnen, dieses Schloss in die Luft zu sprengen, doch niemals würden sie es schaffen, mich in einem perfekten Pegasus zu verwandeln. Dafür war ich nun mal einfach nicht geschaffen!

Mit einem traurigen Quietschen erschlaffte meine Hand und ich zog sie zurück, mit der Absicht, heute nicht daran zu denken. Wieder wandte ich mich dem Musikpodium zu, wo die Instrumente aufgestellt waren. Ich sah eine Geige und ging auf deren Ständer zu.

,,Die leben in den Palas, haben aber nicht ganz so noble Räumlichkeiten wie ich - warte! Das ist die Geige von-"

Aber ich griff schon nach der Geige und strich sanft über die Saiten. Mein Dad hatte mir die Grundgriffe beigebracht und die hatte ich nicht vergessen. Auch wenn diese Unterrichtsstunden fünf Jahre her waren. Als ich gerade Spielen wollte, hörte ich Musik. Sie war so wunderschön und schnell - und vor allem kompliziert. Jannes richtete seinen Blick auf der kleine Ausguck mir gegenüber. Dort oben stand eine schwarzhaarige Person mit schwarzen Augen. Ihr Kleid war dunkelblau und ihre Haare hatte sie mit zwei Stäbchen versehen. Sie entlockte dieser Geige, die sie in der Hand hielt, so wunderschöne Klänge, doch das seltsamste war, dass ich mir jeden Ton merken konnte. Als ihr letzter Ton verklungen war, griff ich nach dem Geigenbogen und begann dieselbe Melodie wie dieses Mädchen zu spielen.

Sofort sah das Mädchen zu mir herunter und ich sah die goldene Krone auf ihrem Kopf. Diese sah aus wie Rebenranken.

,,Prinze Jannes - wer ist diese Mädchen?", ihre Stimme hatte einen asiatischen Klang.

,,Prinzessin Asuna Misaki, das ist Pegasus Frances Foster..."

Ich sah auf und Jannes ebenfalls. Die Prinzessin verschwand und ich konnte Schritte hören. Und dann stand sie neben Jannes. Sie glich ihm kein bisschen, nein, sie war sowas wie sein Gegensatz. Ein schöner noch dazu. Ohne irgendwie zu zögern drückte sie ihm ihre Geige in die Hand und kam mit sehr eleganten Schritten auf mich zu.

Obwohl sie so schön war, strich sie mir unbeholfen über die Wange.

,,Du besitzen ein Gab', die aus Asia kommt. Meinem Heimatland. Du kannst gut aufpassen, was andere machen. Du kannst ganz einfach sprech', oder? Du lernst, wie Leute bewegen und sind, wenn du in anderem Land bist, Frances!"

Obwohl sie eine seltsame Art hatte, sich auszudrücken, wusste ich sofort, was sie meinte. Ich konnte fantastisch Leute nachahmen und die Dinge aufnehmen, die sie taten. Leider war das auch mit den Sprachen so und ich empfand es als Plage, wenn meine Mitschüler meine Hausaufgaben abschrieben.

Als ich den Blick senkte, warf Asuna ihre Locken zurück und drehte sich wie ein Model zu Jannes um.

,,Ha!"

,,Ja, ja, hier - deine Perlenkette. Ich habe mit ihr gewettet, dass der Pegasus, also das Kind von Ezra, was ganz besonderes kann..."

,,Warum hast du ihre Perlenkette?", fragte ich etwas verwundert und Asuna lachte, als sie sich ihre Kette wieder umlegte.

,,Prinz hat wollen mich erpressen..."

,,Erpressen?", ich warf Jannes einen Blick zu, aber eigentlich fand ich es gar nicht so übel, dass er sich verteidigte: ,,Eigentlich sind Wetten verboten, aber ich kenne Asunas Vorliebe für Perlen und Schmuck. Und da hab' ich ihr halt mal eine Perlenkette entfernt, um sie zum Wetten zu bringen!"

Die Prinzessin lächelte und wollte schon anfangen, mit mir Geige zu spielen, aber Jannes hielt sie davon ab. Er zog mich weiter, aus dem Trakt der Königsfamilie, in den Innenhof, den ich vorhin nur kurz beachtet hatte. Obwohl vorhin nicht mehr ganz passte. Er war unglaublich schön und passte irgendwie nicht zum düsteren Schloss von aussen, das ich so oft auf Bildern gesehen hatte. Nur, jetzt trainierten Jungs im Schwertkampf. Sie hielten alle echte Schwerter aus Silber in den Händen und versuchten, den anderen zu entwaffnen. Einige waren noch ein wenig steif, woraus ich schloss, dass diese Jungs noch nicht so oft ein Schwert in den Hand gehalten hatten. Andere droschen unerbittlich auf ihre Gegner ein, machten dabei aber nicht wenig Gebrauch von ihren Knien und Händen, um dem anderen eine zu Knallen. Alle trugen Shirts, die mit einem Wappen bestickt waren. Auf jeden Fall fiel mir auf, dass keiner dick war. Alle hatten Muskeln, Sixpacks und sahen mir nach, wohl noch nicht wissend, dass ich ein Tabu bin. Ich war einfach ein Pegasus. Und sie durften nichts mit mir anfangen, wenn ich das richtig verstanden hatte.

Jannes zog mich vorwärts, durch die Kämpfenden. Einer rief: ,,Wo hast du denn die aufgegabelt, Jannes?"

,,Wusste gar nicht, dass du 'ne Freundin hast!?", meint einer und die anderen lachen. Es war fast schon so wie Schule. Alle nahmen solche Dinge wie eine Freundin eher spöttisch als normal auf, was ich echt kindisch fand.

Frances Foster: Aufstieg des AdlersWhere stories live. Discover now