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Bild: Jannes Collins


Es war bereits stockdunkel, als wir uns wieder dem Schloss näherten. Der kalte Wind, der trotz des Sommers in dieser Höhe umherschlich. England lag nicht gerade am Äquator, genauso wenig das Himmelsschloss der Familie Collins.

Der Felsen, den man bloss als magisches Wesen sehen kann, steht direkt hinter dem Portal der Stonehedge. Vor einigen Tagen entdeckte ich, dass wir die Menschen dennoch sehen konnten. Meist waren es Touristen, die Fotos des Steinkreises machten. Und irgendwie war ich eifersüchtig auf sie. Die Sterblichen waren so ahnungslos und doch wollten sie unbedingt alles erforschen. Denn sie wussten tief in ihrem Innern, dass nicht nur sie Intelligenz besassen. Sie waren nicht die einzigen in diesem Universum, trotzdem redeten sie es sich ein und zerstörten jede Bedrohung.

Ich schüttelte meine Mähne aus und liess uns sicher auf dem Gras im Innenhof landen.

Auf dem taufeuchten Boden zeichneten sich die Lichter ab, die noch eingeschaltet waren. Im oberen Teil des Schlosses lebten Reiter, Pegasi und der Hochadel. Im Dorf unten wohnten der restliche Adel. Jannes hatte mir das mal erklärt: als Hochadel galt man, wenn man auch nach der Kriegerausbildung weitergekämpft hat. In seinen Augen heisst es aber nicht, dass sie etwas Besseres sind.

Der Adel im Dorf übte nämlich die wichtigen Berufe im Alltag aus, sorgte für Nahrung und Kleidung. Frauen besassen selten Magie. Früher, so sagte mir Jannes, gab es noch Familien, in denen die Magie an beide Geschlechter überging. Früher gab es noch weibliche Reiterinnen – doch dies änderte sich nach dem Piktischen Krieg. Das Keltische Reich zerfiel – unsere Ländereien in Schottland verlor man an die Kentauren und Dämonen. Die Pikten fielen allesamt.

Früher gab es zwei Republiken.

Kelten & Pikten.

Die Kelten hatte ihren Ursprung in Irland. Sie ritten auf den Pegasi und dachten rational. Ihre Göttin war Epona. Pferde und Pegasi gehörten bei ihnen zum Alltag, genauso wie die Extravaganz ihrer Magie. Frauen trugen Kleider aus wachsenden Blüten, die Schmieden schufen gläserne Waffen. Sie glaubten nicht daran, dass es jemals zu einem Krieg kommen könnte. Dass Dämonen ebenfalls wüchsen und sich vermehrten.

Die Pikten hingegen waren bekannt für ihr einfühlsames Wesen und ihre Zurückhaltung. Sie tätowierten sich mit besonderen Farben – blau, rot, grün oder weiss – und trugen allesamt karierte Röcke. Bei ihnen besassen auch Frauen Magie. Das Oberhaupt jedes Stammes war der Druide. An Gottheiten glaubte man vereinzelt und Krieg war selten die Lösung auf Probleme. Pikten ritten ebenfalls auf Pegasi, doch es gab eher selten welche. Im Piktischen Krieg wurde Schottland angegriffen und dank dem Bündnis mit den Kelten zogen die beiden Republiken gemeinsam in den Krieg. Dabei fielen viele Pikten gegen die Dämonen und schliesslich musste man das Land aufgeben, um seine eigene Haut zu retten. Anscheinend gab es inzwischen wieder einige Nachkommen der Pikten, die in den Higlands siedelten. Aber sie zeigten sich nicht den Kelten, denn man gab ihnen die Schuld.

Laut Jannes' Erzählungen sei es auch so. Denn die Kelten kämpften nicht, weil sie wollten. Sie taten es, weil sie durch die Gier getrieben wurden, Macht und Land zu gewinnen.

Jannes rutschte von meinem Rücken. Ich faltete gedankenverloren meine Flügel zusammen und legte sie an meinen Körper. Jannes' grauen Augen musterten mich, er seufzte und trat dichter an mich heran.

Mit seinen eiskalten Fingern fing er an, meine lockig-schwarze Mähne zu flechten.

«Warum denkst du so viel über die Keltischen Reiche nach?», fragt er mich leise, schon fast unbeteiligt, «Die Pikten haben ihr Bündnis zu uns aufgelöst. Aber ohne sie werden wir diesen Krieg nicht führen können...»

Was ist, wenn sie noch immer da sind, aber dass sie sich da einfach raushalten wollen. Vielleicht vertrauen sie uns nicht mehr so wie damals...

«Du bist der Adler. Du kannst alles verändern. Es liegt an dir, sie für uns zu gewinnen...»

Irgendwo aus der Ferne hörte ich die Stimme meiner Mutter zitieren:

,,Geboren zu elfter Stund',

hellgrau die Augen und rot der Mund.

Adler so gross wie eine Hand,

immer gedrückt an eine Wand.

Eigensinniger Kopf,

Aquamarin-Blut-Tropf'.

Im Herzen aber ganz rein,

ganz gute Pegasi-Bein'.

Gemeinsam sollen sein ein Duo,

Können nicht einen in einem Trio.

Eine Schlacht um die andere,

Wandere,

Prinz mit braunem Haar,

Gebrochen das Herz ganz und gar,

Aquamarin leuchtet hell,

Schlachtruf klingt durch die Nacht grell.

Hauch des Todes schleicht umher,

Jemand ist nicht mehr.

Liebe überwindet alles,

Doch noch gebroch'n das Herz,

Durchschlagen mit viel Schmerz!"

Inzwischen konnte ich schon etwas mehr mit diesem mystischen Zeugs anfangen. Es gab einfach zu viele Möglichkeiten, zu viele Wege, die nach Rom führen. Sobald man eine Zeile mit einem realen Erlebnis in Verbindung brachte, änderte sich alles und es wurde noch schlimmer.

«Du denkst zu viel nach, Frances. Du solltest viel mehr auf dein Bauchgefühl vertrauen. Es ist doch egal, ob dieser Todeshauch nun auf die letzten Tage zutreffen oder nicht interessiert mich nicht. Mir geht es darum, dass du noch am Leben bist und wir gemeinsam nach dem Ring suchen können...», er unterstrich seine sanften Worte gepaart mit dem intensiven Blick seiner hellen Augen und den Liebkosungen in meiner Mähne.

Ich wieherte leise, innerlich seufzte ich. Er hatte recht. Ich musste mich mehr auf seine Entscheidungen verlassen, um wirklich mit ihm eins zu werden.

Einen Augenblick später verwandelte ich mich zurück in das kleine Mädchen Frances Forster mit den feuerroten Locken und den stürmischen Aquamarinaugen. Mir fröstelte. Anscheinend hatte es hier unten noch mehr abgekühlt als oben unter der Himmelsdecke, denn in meiner Baumwolljacke fror ich erbärmlich. Die Gänsehaut wanderte meine Arme hoch und liess mich schütteln.

Jannes griff nach meiner Hand und zog mich mit sich.

Vor uns ragte das imposanteste Gebäude des Schlosses auf – der Königliche Turm, wo sich zusammen mit den Regenschaftsräumlichkeiten, dem Thronsaal und dem Archiv auch der Königstrakt befand. Schon bald erklommen wir die Treppenstufen hoch bis fast unters Dach. Es fühlte sich fast wie Heimat an, als ich hinter Jannes sein Schlafzimmer betrat.


Frances Foster: Aufstieg des AdlersWhere stories live. Discover now