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Bild: Frances Forster

Während wir quer über die Wiese rannten, die im Hof wuchs, versuchten wir beide, unauffällig zu fungieren. Keine der aufgetakelten Frauen beobachtete uns. Die sonderbaren Schmetterlingsflügel-Wimpern klebten beinahe in allen Gesichtern. Auch der besondere Schmuck, die glitzernden Kleider und die bleiche Haut deuteten auf ihren Reichtum hin. Keine von ihnen würde wissen, wie sie sich allein mit einem Fächer verteidigen müsste. Oder wie man einen tödlichen Biss vermeiden könnte. Alle waren so unwissend und doch brauchten sie unseren Schutz, damit sie überlebten. Und doch behandelten sie uns wie Dreck an ihren Schuhsohlen. Sie trampelten auf uns herum, spielten sich auf. Obwohl wir Pegasi sie mit einem einzigen Schlag umbringen könnten. Obwohl wir dominanter waren, liessen wir uns versklaven wie Lasttiere, die nicht maulten. Wir verhielten uns unterlegen, dennoch. Ein Pegasus wollte frei sein. Wollte fliegen. Und wenn sie uns weiterhin so bestraften, würden sie eines Tages selbst dafür bezahlen müssen, was sie uns antaten. Gott, wie hatten dieselben Rechte wie der Adel!

Plötzlich riss mich Cobie um die Ecke und ich stiess mit dem Handgelenk an die Mauer eines der Gebäude. Um ehrlich zu sein hatte ich auch keine Ahnung, was dieses Gebäude eigentlich darstellte. Irgendwann würde ich das schon herausfinden, im Moment gab es wirklich wichtigeres.

Ich wurde von der Lichtreflektion der blitzenden Waffen im Ecken mir gegenüber geblendet. Ich kniff meine Augen zusammen, stellte auf scharf und erkannte den Ledergürtel, den Jannes heute Morgen getragen hatte. Ja, hier waren wir definitiv richtig.

„Und wie lautet dein Plan?", fragte Cobie mich ernst. Ihre Stimme war weder heiser, noch zitterte sie. Alles an ihr war darauf getrimmt worden, in solchen Situationen Mut zu beweisen. Ich hingegen räusperte mich zuerst viermal, bevor ich richtig sprechen konnte: „Wir schnappen uns Jannes' Waffen, gehen durch das gesprengte Loch und folgen dann der Spur, die ihre falsche Energie hinterlassen hat..."

„Und dann? Weisst du, wie viele auf uns warten? Wo wir enden? Ob Jannes noch lebt? Oder ein Hinterhalt?"

„Woher soll ich das denn jetzt riechen können?", knurrte ich zurück, sah auf den Hof, rannte dann auf den Waffengürtel zu, schnappte ihn mir und drückte mich wieder in das Efeu neben Cobie, noch bevor sie ihre Antwort gebildet hatte.

Mit einem Seufzer gab sie sich geschlagen. Sie schloss zufrieden die Augen und ich dachte schon, sie würde in Ohnmacht fallen oder so, doch dann erschauderte sie und wie schon einmal konnte ich beobachten, wie sie zu einem Pegasus wurde. Natürlich sah sie noch nicht ausgewachsen aus. Sie ging mir bis knapp an die Schultern, war schmächtig und vor allem eines: schwarzer als die Nacht. Ich schnallte ihr den Gürtel um den Hals, damit ich die Hände frei hatte. Ihr Schnauben brachte mich dennoch zum Grinsen, als ich Jannes' Schwert herauszog und mich bereit machte.

Mein Hirn schaltete alle unwichtigen Informationen aus. Wie der Efeu roch, wie der Adel auf dem Hof spazieren ging und wie laut sich das Klackern von Cobies Hufen eigentlich anhörte. Der Modus meiner Gefühle wurde verändert. Ich dachte nur noch daran, dass ich Jannes' letzte Rettung war.

Und wir würden ihn retten, komme, was wolle. Wir waren die Forster-Cousinen. Wir würden die ganze Sache rocken.

Ich schob den Efeu beiseite, sodass Cobie als Erste durch das stinkende Loch steigen konnte. Ein hässlicher Geruch nach verbrannten Batterien und überflüssiger Energie machte sich breit, ebenso der Gestank nach rauchendem Gummi. Röchelnd bewegten wir uns vorwärts, als der Pflanzenvorhang hinter uns zufiel uns das Licht aussperrte. Noch immer leuchtete Jannes' Schwert, was mich ein wenig entspannte. Wenigstens konnte ich so sehen, wo Cobie war und sie beim Ernstfall beschützen. Das war ich Galina und den anderen nun wirklich schuldig.

„Pass auf...", befahl ich Cobie, als wir uns dem Ende der Mauer näherten und sie setzte langsam einen Fuss nach draussen. Dann folgte der andere und nichts geschah. Cobies Mähne flog hin und her, während sie nach rechts und nach links sah. Ihr Blick suchte nach Gefahren, fand aber keine. Als Entwarnung wieherte sie leise und ich folgte ihr, das Schwert senkrecht vor mein Gesicht haltend.

Eine kühle Brise umwehte meine Beine und spielte mit meinen wilden Locken, liess sie wippen. Schon bald würde die Sonne wieder untergehen hinter den Turmwolken, die sich ihr näherten. Ein Sturm kündigte sich an.

Cobie schnupperte in der Luft, dann verzog sie ihr Maul. Sie nickte nach links und deutete mit ihrem rechten Vorderbein auf die Ruine eines zerfallenen Turmes. Mauersteine, teilweise auch noch richtige Steine, bildeten einen seltsamen Mauerkreis um den zersplitterten Steinboden. Darin wuchsen Dornenranken, sogar Rosen konnte ich erkennen. Ein Strahlen blendete mich und sofort wusste ich: wir hatten sie gefunden. Meine Cousine stellte sich neben mich, in Kampfesstellung. Ich kauerte mich etwas nieder, wandte mich in die entgegengesetzte Richtung und wartete, dass die ersten Dämonen uns angriffen. Sie vermehrten sich wie Fliegen - immer, wenn zwei auseinander gingen, trat ein dritter zwischen die beiden.

Die meisten versuchten, Cobie auszuschalten, doch ich vereitelte ihre Versuche. Während Cobie trat, leitete ich meine Energie durch die Klinge meines Schwertes und versetzte in sie in Elektrotode. Einige wichen meinen Klingen geschickter aus, beachteten die Glasscherben -also die sogenannte Asche ihrer Mitdämonen - gar nicht.

Um ehrlich zu sein, ich war schon nach dem ersten Schwertzug völlig ausser Atem. Ich hatte keine Ahnung, wie man ein Schwert schwingen musste und das schwächte meine Offensive. Die Waffe wurde schwer und bremste meine Angriffe, trotz meinen Bemühungen, meine Sache als Mensch gut zu machen. Ich wollte mich nicht verwandeln, bevor ich keine Wahl mehr hatte. Unsere Gegner griffen nach ihren Waffen - meist waren es Glasäxte, Messer oder seltsam gebogene Schwerter, welche aus demselben Material bestanden wie sie selbst. Alle hier wussten, wie man seinen Feind mit einem einzigen Schlag töten sollte. Ich nicht. Ich hatte keinerlei Erfahrung im Zweikampf.

Rücken an Rücken decktenCobie und ich uns. Ihre Heilung funktionierte einwandfrei, denn jeder Schlag inihr Fleisch wurde fast schon augenblicklich wieder geheilt. Ich schützte ihrenArsch. Nicht, dass schon wieder ein Pfeil dort rausragte, sobald wir beide malwieder nicht hinsahen.


Frances Foster: Aufstieg des AdlersWhere stories live. Discover now