Bild: Sean Raave
Ihre Miene wirkte wie gemeisselt, so geschockt wirkte sie. Ihre Augen waren schmal, in ihren violetten Augen blitzte Panik auf und in ihren Grübchen lag ein ängstlicher Zug. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie sich nur nach aussen hin taff und völlig unantastbar zeigte. Tief in ihrem Innern befand sich ein ängstlicher Stachel, welcher in einem Moment wie diesem zum Vorschein kam. Vielleicht hatte sie zusammen mit ihrem Vater ein Dämonennest vernichtet (bei Gelegenheit sollte ich nachfragen, was ihr Vater eigentlich ist) und sich so zu einem ruhmreichen Pegasus gemacht. Dennoch, ihre zweite Hälfte, Eric, wurde von ihr abgetrennt. Niemand konnte ihr eine Vorwarnung darauf geben, niemand zeigte ihr, wie sie damit umgehen sollte. Auf Schmerz kann man sich nicht vorbereiten. Man denkt, es wäre nicht schlimm. Man könnte dies Aushalten – aber dann trifft er ein, wenn man ihn nicht brauchen kann und alles zerbricht. Ein gebrochener Geist braucht zehnmal so lange, sich zusammenzuflicken als ein gesplitterter Arm.
„Sie wurde getroffen. Im Gefecht heute Morgen..."
Nikita holte geschockt Luft: „Sie lebt aber noch?"
„Natürlich. Ich kenne sie vielleicht erst ein Tag, aber Cobie Forster lässt sich nicht von einem Pfeil unterkriegen..."
„Pfeil? Ein Kentaur hat sie getroffen?", Nikitas Miene wurde steinern, „Was haben die meiner besten Freundin nur angetan!?"
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter, obwohl ich einen kurzen Stich in meinem Herzen fühlte. Cobie hatte also schon eine beste Freundin?
„Geh...flieg doch noch eine Runde. Das hilft...du kannst sie ja dann heute Abend besuchen!"
„Das hilft? DAS HILFT? DENKST DU ICH KOMME AUS DER STEINZEIT??? NATÜRLICH WEISS ICH, WAS HILFT, DU BLÖDER GAUL!"
Jannes riss mich noch rechtzeitig zurück, ansonsten hätte ich unter einem Huf gelegen. Nikita verwandelte sich rasend schnell. Ihre Haut überzog sich mit dunkelviolettem Fell, in derselben Nuance ihrer Augenfarbe. Sie kippte nach vorne und noch bevor ihre Hände sie abstützen konnten, waren da die Vorderbeine eines Pferdes. Sie wuchs in die Länge, ragte in die Höhe und Flügel brachen zwischen ihren Schulterblättern hervor. Sie holte Anlauf und ich hatte Angst, sie würde mich niederrennen, aber dann schlug sie mit ihren Flügeln und sie hob ab. Mit wenigen Schlägen verschwand sie im Nebel, als die ersten Regentropfen wieder vom Himmel fielen. Die Wolken verdeckten den violetten Klecks, den ich ausfindig machen wollte. Nikita Sumer Warwick-Coltrane war verschwunden und für ein einziges Mal wünschte ich, ich könnte mit ihr tauschen. Seit heute Morgen war ich nicht mehr in Gestalt eines Pegasus umhergeflogen und meine Schulterblätter schmerzten. Es schien fast so, als wollten meine Flügel ebenfalls herausbrechen und den Regen abperlen lassen, statt hier nass zu werden.
„Komm, wir müssen rein. Cobie wartet..."
Und mit diesen Worten hielt mir Jannes die schwere Holztür auf und ich betrat das über Millennien gereifte Treppenhaus.
Der zuständige Heilassistent führte uns – in einem hellblauen, fast weissen, geknöpften Unterhemd oder sowas ähnlichem – den Gang zwischen den Stationen hindurch, bis zum Zimmer V. Ich klopfte an und eine weibliche Stimme rief: „Herein?"
Jannes hielt mir ein weiteres Mal die Tür auf und ich betrat als erste von uns beiden den chemisch gesäuberten weissen Raum. Wie bei den meisten Krankenhäusern, die ich besucht hatte, war auch hier alles penibel geputzt worden. Die Wand rechts von mir wurde in einem zarten Gelbton gehalten, an dem fünf unbelegte Betten standen. Alle Decken waren weiss-gelb-schwarz gemustert, neben jedem Bett stand ein Nachttischchen mit Pflanze. Die fünf Betten an der linken Wand waren hingegen voll belegt. Ganz vorne lag ein verwunderter, kleiner Adliger, welcher sich kaum bewegen konnte, daneben eine magere Frau mit rundem Bauch. Ihr Mann sass daneben und redete leise auf sie ein. Zwei schlafende Adelskinder weiter lag dann endlich Cobie Forster, der Stuhl neben ihrem Bett wurde von ihrer Mutter, Galina Forster, besetzt. Auch sie sprach leise auf ihre Tochter ein, sah aber sofort auf, als wir näher kamen.
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Frances Foster: Aufstieg des Adlers
FantasyBand 1... Frances Forster; 16 Jahre alt und eine friedliche Künstlerin, die kurz vor ihrem Schulabschluss steht. Jannes Collins hingegen ein Prinz und der verhasste Sohn des Königreiches. Ihre Welten sind so verschieden. Beide leben ihr L...