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Bild: Frances Forster


„Ich...weiss es nicht...", flüsterte ich ihm als Antwort. Allein das reichte, dass alle einen entsetzten Ausdruck in ihren Augen widerspiegelten. Es wäre ein schreckliches Schicksal und selbst Quinn wünschte es mir nicht.

Ich grub mich in Jannes' Kopf und sofort flogen mir tausende Gedanken zu. Wie er etwas dagegen unternehmen könnte oder gar dass er die Dämonen um einen Gefallen bäte. Seine Sorge um mich rührte mich mehr als seine Freude, dass ich noch am Leben war. Ihm ging es in erster Linie darum, mir ein besseres Leben zu ermöglichen und nicht darum, dass er sich einen neuen Pegasus suchen müsste.

„Leute, kommt. Lassen wir das Duo mal in Ruhe...immerhin haben sie sich sicher etwas zu erzählen..."



Sobald seine Freunde weg waren, begegneten sich unsere Augen. Blau traf grau. Zwei verschiedene Gedankenbänder verknüpften sich, wuchsen wieder zusammen. Hitze durchströmte meinen Körper und meine Fingerspitzen kribbelten. Ich hob meine linke Hand an, drehte die Handfläche gen Himmel und Jannes Fingerspitzen berührten mein Mal. Das verblasste Mal schimmerte grau auf. Von innen nach aussen wurde der Adler wieder dunkler und ich spürte die Wellen der Macht, die von Jannes ausgingen.

Spürst du das auch?, fragte ich ihn leise.

Jannes antwortete mit rauer Gedankenstimme, genauso leise wie ich und allein schon seine Stimme bescherte mir eine Gänsehaut.

Unsere Magie verbindet uns neu...

Ich biss mir auf die Unterlippe, als er seine Finger von mir löste. Ich suchte in seinem Gesicht nach Veränderungen. Narben, Furchen oder Falten. Aber ich fand nichts. Jannes sah noch genauso perfekt aus wie vor dem Dämonenangriff. Seine grauen Augen mit den klitzekleinen goldenen Sprenkeln. Die sanft geschwungene Nase, die feinen Lachfältchen und die Grübchen. Er überragte mich wie zuvor, hatte einen sehnigen Körper und diese breiten Schultern. Jannes Collins hatte äusserlich keine Narben von unserem Abenteuer getragen.

Aber als ich anfing, innerlich zu graben, fielen mir die Sorgen auf.

Ich schlang meine Arme um seine und liess mich im Meer seiner Gedankengänge davontragen. Und glaubt mir, wenn ich sage, dass es keinen gerechteren Reiter gab als ihn.

Kannst du noch fliegen?, kam es schelmisch von ihm.

Ein kleines Grinsen schlich sich in meine Mundwinkel und ich drehte mich von ihm weg. Mein Herz schlug schneller und ich drückte die Schultern durch, bevor ich meine Augen langsam schloss und mich auf das Adrenalin fokussierte, welches durch meine Adern strömte. Die Verwandlung ist ein schneller, aber wunderschöner Akt, der mich in ein fliegendes Pferd verwandelt.

Aquamarinblaues Fell überzog meinen Körper, als ich nach vorne fiel und meine Beine sich streckten. Zwischen meinen Schulterblättern schossen zwei federbesetzte Flügel heraus, streckten sich und ich genoss das Gefühl, welches mich durchströmte. Reine Glückseligkeit floss durch mich hindurch, liess mich ein freudiges Wiehern ausstossen. Jannes lachte.

Sein Lachen hallte in meine Kopf nach und ich genoss es fast noch mehr als meine Flügel.

Er schwang sich hoch, hielt sich an meinen Widerristhaaren fest, bevor ich mich vom Boden abstiess und in den Himmel schoss.

Die Luft war eisig kalt, aber sie machte mich wacher. Wilder. Mutiger. Und vor allem eines – verliebt in den Jungen, der sich etwas fester hielt, als ich meine Flügel dazu benutzte, noch weiter in die Höhe zu steigen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, so sehr strenge ich mich an. Ich spürte kaum noch den Schmerz in meinen Rippen.

Wie ein junges Fohlen flog ich um die Türme des Schlosses, drehte Schrauben, machte Saltos und raste auf den Boden zu. Jannes rutschte mal mehr mal weniger ab. Jannes konnte sich festhalten. Mehr oder weniger.

Irgendwann breitete ich einfach die Flügel aus und liess mich von den Aufwinden tragen.

Gerade ging die Sonne hinter den Nebelschwaden rund um das Schloss herum unter und alles färbte sich in den schönste Gelb- und Rosatönen. Hier, hoch genug, um keine Geräusche mehr vom Schloss her zu hören, aber die Lichter im Dorf darunter gingen langsam an. Der Markt war wie jeden Tag gut besucht – Feuerreiter führten Kunststücke vor, Frauen boten Kleidung an, Kinder rannten herum. Alles war wie immer. Chaotisch und doch geborgen.

Vermisst du deine Eltern?

Ja..., dachte ich fast schon lautlos, Ich weiss weder wo sie sich befinden, noch ob sie noch leben.

Jannes schwieg. Er dachte nichts, doch ich spürte die tiefe Zuneigung, die er für meine Mutter hegte. Für ihn war sie eine Amazone, eine Frau, die stark und wild zugleich war.

Frances...ich muss dir etwas gestehen...

Was?

Meine Stimme klang träge, müde von der Anstrengung, geflogen zu sein. Jannes schwieg einen Moment lang, dann holte er tief Luft und stiess hervor: Du kennst doch die Legende des Rubinrings, nicht wahr?

Jaaa...

Es gibt Anzeichen, dass er sich nicht in den Händen deiner Eltern befindet. Dass sie ihn an jemanden übergeben haben, als sie geflohen sind...mein Vater fürchtet, dass die Dämonen ihn besitzen. Aber ich denke, dass sie diese Macht schon längst ausgenutzt hätten, wenn sie ihn besässen –

Es gibt also einen Komplizen, den wir finden müssen?, hackte ich vorsichtig nach. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Jannes' Vater, der König Tyr Collins, schreckte vor nichts zurück, wenn es darum ging, seine Macht zu behalten. Und ich würde niemals an Jannes' Treue zu mir zweifeln – wären da nicht seine Verpflichtungen seiner Familie gegenüber. Natürlich kann er nach dem Ring suchen, den Komplizen decken und meine Eltern vor seinem Vater verleumden. Aber es gab Dinge, über der selbst unsere tiefgreifende Verbindung nicht stand. Selbst dabei gab es Grenzen. Und diese Grenzen würden – da war mich mir schon fast sicher – könnten noch tiefe Schluchten in unsere Beziehung reissen. Er war der eigentlich wahre Kronprinz. Erbe der damaligen und heutigen Königin, Erdmagier und der Adlerreiter. Jannes Collins war der Inbegriff des Guten. Sollte aber sein Vater jemals an seiner Loyalität zweifeln müssen, so stünde Jannes vor dem sicheren Tod. Und in meinen Augen war es seine Pflicht, den Rubinring seinem Vater zu überreichen, sobald unsere Schnitzeljagd danach erfolgreich verlaufen würde.

Ich werde dem König den Ring nicht geben, Frances, kam es ernst von ihm und in diesem Moment wollte ich ihm so gerne glauben, selbst wenn es mir nicht möglich war.

Der Ring ist das mächtigste Artefakt der Keltischen Republik. In den Händen des Falschen Herrschers bedeutet es Krieg und Verderben. Deine Eltern haben meinen Vater als den falschen Wolf angesehen und sie haben recht damit. Wir müssen den Ring vor ihm finden. Wir müssen ihn finden und besser verstecken!

Und warum zerstören wir ihn nicht einfach, wenn er so gefährlich ist?

Jannes schnalzte mit der Zunge.

Dieses Artefakt bildet den Übergang zwischen unseren Schutzzaubern auf der ganzen Welt und den Dämonbännen. Selbst wenn wir es schaffen würden, ihn zu zerstören, wir würden die Lange nur verschlimmern. Die Keltische Republik ist noch nicht bereit für einen Krieg gegen die Schatten. Und du auch noch nicht, Adler...

Wie um seine Worte zu unterstreichen zog ein eisiger Wind auf und schob die flauschigen Wolken vor die Sonne, sodass wir für einen Moment in Dunkelheit gehüllt waren. Und diese Dunkelheit hielt lange genug an. Lange genug, damit ich der schrecklichen Tatsache ins Auge blicken konnte: Vielleicht hatte ich Jannes vor den sicheren Tod gerettet, selbst überlebt und eines von vielen Rätseln gelöst. Aber ich war der Welt nicht entflohen, der ich als Prophezeiung verkündet wurde. Auf meinen Schultern lastete noch immer dieser Druck, diesem uralten Krieg ein Ende zu setzen. Und es lag an mir, dieses Schicksal freiwillig oder zwangsweise anzunehmen.


Frances Foster: Aufstieg des AdlersWhere stories live. Discover now