Regungslos

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Matt Taketer's P.O.V.

Schwer atmend werfe ich mich gegen die Wohnungstür, die unter meinem Gewicht knarrt und kracht, jedoch nur etwas nachgibt. Ich renne zurück bis zur gegenüberliegenden Wand, nehme Anlauf und werfe mich mit meinem Armstummel dagegen. Dort kann zumindest nicht mehr viel kaputt werden. Diesmal bricht das Schloss aus der Tür und ich stolpere in die Wohnung.

Direkt mir gegenüber steht eine Tür ins Wohnzimmer offen, worin die Balkontür ebenfalls geöffnet ist. Immer noch keuchend von der Treppe, die ich soeben hochgesprintet bin, jogge ich hinaus auf die Terasse, und dort liegt sie - im sanften Licht der Frühlingssonne, auf der Seite zusammengesunken wie ein schlafendes Kind. Doch unter ihrem Oberschenkel ist der Boden blutrot gefärbt und es bildet sich bereits eine Lache. Ein Blick auf ihr zerfurchtes Gesicht verursacht ein seltsames Stechen in meiner Brust, sodass ich nach Luft schnappen muss.

Ich schlucke einmal hart bevor ich mich auf dem kalten Steinboden auf die Knie sinken lasse und meine Hand an IJs Bein entlanggleiten lasse, bis ich entdecke, wo ihre schwarze Jeans nass vor Blut ist. Ein Blick auf ihren Brustkorb verrät mir, dass sie zwar nur sehr schwach, aber doch atmet. Ihre Jeans ist an der nassen Stelle etwas verbeult, als wäre ihr Bein dort dicker, also gehe ich davon aus, dass sie darunter eine Art Verband angebracht haben muss.

Wenn die Wunde allerdings tief genug ist, um so stark zu bluten, reicht ein gewöhnlicher Verband nicht aus. Das muss genäht werden. Entschlossen schlinge ich Irinas Arm um meinen Hals und binde ihre Handgelenke mit meinem Gürtel zusammen. So hängt sie wie eine Schlinge um meinen Hals und ich kann meinen Arm unter ihre Beine schieben und sie hochheben. Es erfordert meine gesamte Anstrengung, sie einarmig bis zum Auto hinunter zu tragen, und als ich endlich, verschwitzt und voller Blut, unten ankomme, lege ich sie sanft auf dem Asphalt ab und lehne ihren Rücken gegen den Lotus. Dann öffne ich die Tür und halte kurz inne, um durchzuatmen und mir das verschwitzte Haar aus der Stirn zu streichen, bevor ich IJ wieder hochhebe und auf den Beifahrersitz hieve. Während der ganzen Zeit gibt sie keinen Mucks von sich, doch ich ermahne mich selbst, nicht allzuviel darüber nachzudenken.

Ein Kitzeln an meinem Knöchel lässt mich das Gesicht verziehen, bevor ich mich umsehe, was es wohl sein mag. Vor Schreck mache ich einen Satz rückwärts gegen den Türrahmen, als ich das auf dem Boden kriechende Baby sehe. Aber es ist kein gewöhnliches Baby. Sein linkes Auge streift am Boden und ihm fehlt ein ganzer Arm. Den zweiten hat es mir entgegen gestreckt, die winzige Faust öffnet und schließt sich immer wieder. Ekel steigt in mir hoch und ich packe schnell meinen Dolch, den ich ihm in den winzigen Schädel ramme. Mit einem leisen Knacken bricht er auf und Gehirnmasse spritzt auf meine Schuhe. Einen Moment lang starre ich das tote Baby einfach nur an, ein flaues Gefühl im Magen, und putze die Klinge am Saum meines T-Shirts ab.

Dieses Ding ist wirklich Horrorfilmmaterial.



Vierzig Minuten später erreiche ich endlich den gegenüberliegenden Stadtrand. Unterwegs musste ich inmer wieder Umwege machen und Hindernisse umfahren. Von auf der Straße liegenden Häuserteilen bis zu langsam torkelnden Zombieherden von mehreren 100 Zombies war alles dabei. Jetzt kann ich endlich ordentlich Gas geben, was IJ neben mir etwas tiefer in den Sitz rutschen lässt. Sie hat sich die ganze Zeit über nicht bewegt und langsam wird mir wirklich ungut zumute. Hätte ich in der Stadt nach einer Arztpraxis suchen sollen, anstatt zu Onkel Jacks Haus zu fahren? Wie viel Blut hat sie in der Zwischenzeit verloren?

Mit 150km/h rase ich über die Landstraße und erreiche bereits nach 10 Minuten das moderne Gebäude mitten im Wald. Dort angekommen renne ich so schnell ich kann die Treppe hinunter und durch die engen Gänge im Keller, bis ich das kleine OP-Zimmer entdecke, das mein Onkel sich dort bauen hat lassen. Mit einer rollbaren Trage hole ich IJ über den Aufzug.

Da liegt sie nun. Blass und nur schwach atmend inmitten des sterilen Raumes. Hoffentlich nimmt sie mir das später nicht übel, denke ich, während ich ihre Jeans aufknöpfe. Das Blut klebt den Stoff jedoch so fest an ihre Haut und an den Verband, dass es mir nicht gelingt, die Hose über die Beine hinunterzuziehen.

Ich kratze mich nachdenklich am Nacken, nehme dann eine Schere von dem Beistelltischchen und schneide den Stoff auseinander. Der Verband darunter ist vollständig mit Blut vollgesogen und leuchtet mir rot entgegen. Verdammte scheiße. Kann das Mädchen nicht einmal auf sich aufpassen?

Während ich den Verband wegschneide, kommt mir ein böser Gedanke. Und tatsächlich. Die Wunde ist groß und tief, Eiter tritt an einigen Stellen aus und schwarze Ränder umgeben sie. Die Wunde sieht genauso aus wie ein Biss. Ein infizierter, furchtbar riesiger Biss. Meine Augen weiten sich, doch ich weiß nicht, was ich empfinde. Ein unendlich starker Druck scheint auf meiner Brust zu lasten und es fühlt sich an, als würde jemand meine Kehle zudrücken, so schwer fällt mir das Atmen. Fühlt sich so Angst an?

Ich spüre, wie meine Beine mich unfreiwillig von ihr weg tragen, bis ich gegen eine Theke stoße. Und meine Finger sich um das Messer, das darauf liegt, schließen. Vielleicht kann ich den Virus noch am Ausbreiten hindern. Vielleicht kann ich sie retten, wenn ich schnell genug schneide.

Foto: Trage

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt