Winter

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Matt Taketers P.O.V.

Meine Unterlippe zittert, ebenso wie mein Arm und die Beine. Ob vor Kälte oder dem daraus folgenden Schlafmangel, kann ich nicht genau sagen.

Der Schnee fiel von Tag zu Tag schneller und dichter, einen Monat lang. Bis heute Morgen.

In der Früh kam zum ersten Mal die Sonne zwischen den cremefarbenen Wolken hervor und seit dem sitze ich anstatt wie sonst  in meinem Zimmer in Decken gehüllt, nun an der Öffnung im ersten Stock des Baumhauses,  wo mir die Sonne ins Gesicht scheint.

Ich versuche, die Wärme zu spüren, doch die Wintersonne strahlt ein kaltes Licht aus und die Erinnerung an die warmen Tage verblasst immer weiter.

Das Einzige an mir, das noch warm ist, ist meine Hand. Das war schon immer so. Egal wie sehr ich fror, meine Hände blieben schon immer warm.

Das ist auch der Grund, wieso Viki neben mir ihre Finger mit meinen verschränkt hat, während ihre Beine in der Luft baumeln und sie auf den schneebdedeckten Wald hinunter blickt.

Ihre Finger sind eiskalt, doch das stört mich nicht so sehr. Meine Gedanken sind bei IJ.

Seit dreiunddreißig Tagen ist die Welt nicht mehr normal und in neunundzwanzig davon hat sie sich wie ein Zombie verhalten.

Seit sie an jenem vierten Tag zurück zum Baumhaus kam, nachdem wir uns gestritten hatten, hat sie kein Wort mehr gesprochen.

Anfangs ignorierte ich sie, weil ich immer noch sauer war. Sie war der Grund, wieso ich nur noch eine Hand hatte, um jemanden zu wärmen. Um ehrlich zu sein, käme ich damit sogar klar.

Ich hatte schon immer eine seltsame Sympathie für Wunden, Narben und Blut, also wäre ein verlorener Arm nicht das Schrecklichste, was einem passieren konnte, wenn auch unpraktisch.

Ich starre zu der immer dünner werdenden Wolkendecke hinauf und kneife die Augen zu engen Schlitzen zusammen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden.

Warum ich eigentlich sauer auf IJ war, ist, weil sie ihren Freund mir vorgezogen hat. Ich hasse es, an zweiter Stelle zu sein und ich lasse nicht zu, dass sie mit mir spielt.

Doch als ich sie geschlagen habe, was so impulsiv und unüberlegt war, wie kaum etwas, das ich bisher getan habe, ist sie einfach gegangen und hat mich zum Sterben zurückgelassen.

In dem Moment hätte ich sie gebraucht, doch sie entschied sich für den vermutlich noch hilfloseren Kerl, der aus Gründen,  die ich nicht ganz verstehe, überlebte.

Ich meine, er war doch eindeutig zu dumm, um auch nur einen einzigen Tag durchzustehen? Und er war an jenem zweiten Abend auch noch am Leben...

Im vergangenen Monat ist mir schon oft der Gedanke gekommen, wo er wohl jetzt ist und was er IJ angetan hat, das sie zum Schweigen bringen könnte.

Ich hielt ihre Stille erst für eine kurze Phase, vielleicht weil sie noch immer beleidigt war, wegen meiner Aussage, ich wolle nichts von ihr. Was ja so gar nicht stimmt... Ich mag sie... oder ich hasse sie zumindest nicht so sehr wie alle anderen Menschen.

Als es über eine Woche hinausging und ich weiterhin jede Nacht ihr Schluchzen durch die Wände hörte schob ich auch meine Theorie beiseite, ihre Stimmbänder könnten verletzt sein.

Vik windet ihre Finger aus meinen und streckt und dehnt ihre Glieder. "Hunger?", fragt sie, während sie auch schon aufsteht. Sie spricht auch sehr wenig und ich werde einfach nicht schlau aus ihr.

Ich nicke und starre wieder nach draußen,  die Sonne ist längst über den Zinitstand gewandert.

Vic verschwindet erst in der Speisekammer, dann kann ich ihren Schritten lauschen, wie sie hinüber in die Küche geht.

Meine Finger streichen über den Handballen und ich betrachte die Narben auf meinem Handrücken. IJ's Stimme hallt in meinem Kopf nach, wie sie sich nach deren Herkunft erkundigt. Ich wollte es ihr damals nicht sagen, und es geht sie auch jetzt nichts an.

Sie sind das einzige, was mir von meiner Schwester geblieben ist.

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt