Vertrauen?

84 9 2
                                    

Irina Jackson's P.O.V.

Langsam lasse ich den Löffel, den ich in der Hand halte, in meinem Kakao kreisen. Kleine Milchwirbel entstehen um die Bröckchen von Kakaopulver, die sich langsam in der Hitze auflösen. Mir ist kälter, als mir je zuvor war. Matt wollte mich umbringen. Geil. Romantisch. Wow.

Ich nehme einen Schluck aus der Tasse und zische: „Fuck", als ich mir die Zunge verbrenne.

Nachdem ich meine Augen geöffnet hatte, sah er mich einfach nur an. Einen Moment, vielleicht sogar ein paar Minuten, die mir jedoch wie Jahre vorkamen starrten wir einander einfach nur an. Dann fiel die Axt mit einem dumpfen, metallischen Knall auf den Marmorboden, Matt sank auf dem Boden zusammen und vergrub sein Gesicht in der Hand.

Und ich? Ich sah ihn eine Weile an, während Blut aus meiner Beinwunde sickerte. Betrachtete die Muskeln um seine Schultern, die nun viel ausgezehrter wirkten als an dem Tag, als ich ihn zum ersten Mal sah. Sein mattes Haar, das allen Glanz verloren hatte. Und den Stumpf, der einmal sein Arm war. Für dessen Fehlen ich verantwortlich bin. Irgendwann wurde mir schwarz vor Augen und ich sank ebenfalls in mich zusammen.

Aufgewacht bin ich dann hier auf der Couch im Wohnzimmer, einem mir bisher unbekannten Raum. Auf dem Tisch ein Kakao, von Matt weit und breit nichts zu sehen. Aus der Temperatur des Kakaos konnte ich zwar schließen, dass er sich in der Nähe befinden musste, doch eigentlich wollte ich ihn gar nicht sehen.

Ich erinnere mich an eine Konversation, die wir lange vor all dem hier übers Internet hatten. Damals besprachen wir scherzhaft die besten Orte, um eine Zombieapokalypse zu überleben. Eine Insel, ein Berg, den man nur über einen schmalen Weg oder Klettersteig besteigen konnte. Dann meinte er, dass ich ihn umbringen solle, falls er zum Zombie würde, und dass er dasselbe mit mir tun würde. Die rationale Irina von damals stimmte natürlich zu – denn wer würde als Zombie schon leben wollen?

Doch jetzt, da er beinahe meinen Kopf mit einer Axt gespalten hätte, bin ich irgendwie sauer. Ich meine – was soll der Scheiß? Er hatte nicht einmal Beweise ...

Vorsichtig nehme ich noch einen Schluck von meinem Kakao, der zu meiner Überraschung kalt ist. Mir war nicht klar, wie lange ich über Matt nachgegrübelt hatte. Dabei bin ich noch gar nicht zu dem Punkt gekommen, an dem er mich geschlagen hatte, geschweige denn dem, an dem er mir den Verlust seines Armes vorgehalten hatte. Okay, ich war mitschuldig, aber Vic hatte ihn amputiert. Verdammt nochmal.

„Fluch nicht so viel", murmle ich mir selbst mit einem schwachen Lächeln zu.

„Was?", höre ich seine Stimme hinter mir. Ich bin zu lethargisch um mich erschrocken umzudrehen.

Stattdessen sage ich nur etwas lauter: „Ich habe nicht mit dir geredet ..."

Schwere Schritte nähern sich, umkreisen meine Couch und da steht er, den Kopf gesenkt, einarmig und mit reumütigem Hundeblick. In Sachen Konversation bleibt es wohl anfangs beim „Was?", denn er lässt sich schweigend in sicherem Abstand zu mir auf den Rand der Couch nieder, sieht mich kurz fragend an, als würde ich mich gleich über seine Anwesenheit beschweren, dann macht er sich an dem Verband um mein Bein zu schaffen. Ich lege den Kopf in die Kissen zurück und starre zur Decke. Er hat nur getan, was er musste, um sich selbst zu schützen. In der Situation hätte ich gleich gehandelt. Ihn gleich erschossen. Er hat es ja nicht getan. Ich lebe. Er wollte mir nichts Böses, das rede ich mir zumindest ein. Und jetzt sind wir quitt. Ich habe ihn damals zurückgelassen, er hat versucht, mich umzubringen. Ich hasse mich dafür, dass ich den Gedanken, er könne ohne mich leben, nicht aus dem Kopf bekomme. Denn ich bin jedenfalls von ihm abhängig.

Und nicht nur in Bezug auf meine Fähigkeit, physisch zu überleben. Er hält die Bruchstücke meiner Psyche zusammen, die langsam absplittern sobald er mich alleine lässt. Ich werde verrückt ohne ihn. Und verrückt zu werden ist das Schlimmste. Lieber wäre ich tot.

Matt Taketer's P.O.V.

Eiter. Schwellung. Die Wunde sieht übel aus, richtig übel. Irina trägt nur eines meiner Hemden, das ich oben im Gästezimmer aufgegriffen habe, so kann ich die dunkelblauen und lila Linien nur allzu gut erkennen, die sich über ihr ganzes Bein und den Oberschenkel hinaufziehen.

Blutvergiftung.

Ihr Gesicht ist zur Decke gewandt, unwissend starrt sie vor sich hin, während ich mich ein weiteres Mal damit zu arrangieren versuche, sie zu verlieren.

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt