Luftige Höhen

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Die eisige Luft piekst in meine Haut, doch in meinem Adrenalinrausch nehme ich das kaum wahr. Alles, was ich sehe, spüre, und vor allem rieche - in Form eines grauenvollen Verwesungsgeruches - ist die Gruppe Zombies, die aus der Küche, und jetzt auch aus einer zweiten Glastür auf den Balkon stolpern. Ihr grauenvolles Ächzen jagt mir einen Schauer über den Rücken und ich sehe mich panisch um.

Wohin? Wohin kann ich fliehen? Oder kann ich es doch mit ihnen aufnehmen? Oder soll ich nach Vic rufen? 

Lektion 7 in der Zombielehre: Laute Geräusche und Lärm werden von ihnen als potentielle Beutegeräusche wahrgenommen, vermeide also alle Geräusche. Neben Geruch ist Lautstärke eines der wenigen Dinge, die sie wahrnehmen können. Ich höre noch immer Matts Stimme in meinem Kopf, mit der Erinnerung an jenen ersten Tag, an dem ich ihn gesehen habe, nach den Monaten, in denen wir übers Internet kommunizierten.

Also nicht nach Vic rufen.

 Ein Zombie ist nur dann tot, wenn sein Oxipitallappen zerstört ist. Das ist ein Teil des Gehirns, der sich im Hinterkopf befindet. Ich lasse mich nicht davon irritieren, dass ich Matts Wortlaut noch haargenau weiß, sondern konzentriere mich auf den Gedanken, ob ich es mit fünf... zehn... siebzehn Zombies gleichzeitig aufnehmen kann, von denen ich jeden exakt in den Hinterkopf treffen muss, während sie mich an einer beliebigen Stelle beißen können, um mich zu lähmen und aufzuessen oder - weitaus schlimmer- mich zu einer von ihnen zu machen.

Also nicht die Zombies töten.

Damit komme ich zu meiner letzten Möglichkeit - und bei Gott keine Minute zu früh, denn gerade ist der erste Zombie bei mir und ich steche ihm mit voller Kraft den Dolch in den Schädel, noch bevor seine schmutz- und blutverklebten Hände meinen Arm ergreifen können. Er krächtzt und Schleim aus seinem Rachen wird mir ins Gesicht geschleudert. Ich trete ihm gegens Schlüsselbein und er kracht gegen den nächsten Zombie, sodass die ersten beiden außer Gefecht gesetzt sind. Schnell drehe ich mich einmal im Kreis.

Es ist klar, dass ich fliehen muss. Das Krächzen hat sie alle auf mich aufmerksam gemacht und zumindest die Hälfte erkennt mich als potentielle Beute. Ihre Füße schleifen taub über den Boden, die Münder mit den darinliegenden verfaulenden Zähnen sind weit aufgerissen. Welche Möglichkeiten bleiben mir? Zurück in die Wohnung kann ich unmöglich gelangen, nach oben hin führt kein Weg - allein springen könnte ich.

Mir wird klar, dass mir nichts anderes bleibt. Lieber sterbe ich, als zu solch einem gedanken- und seelenlosen Monster zu werden.

Ohne den Blick von den Zombies zu wenden klettere ich rittlings über das Geländer des Balkons. Noch einen letzten Blick werfe ich auf das Elend, das über die Menschheit gekommen ist, bevor ich die Augen schließe. Danke, denke ich für alle, die mir geholfen haben so lange zu überleben. 

Und meine Hände lösen sich vom Geländer, ich beuge die Knie und springe.

Matt Taketer's P.O.V.

Die Tomatensoße schmeckt fade in meinem Mund und ich löffle deprimiert die letzten Reste der eingekochten weichen Nudeln aus meinem Teller. Ich habe Ewigkeiten nach etwas scharfen, nach Pfeffer oder Chilli oder irgendetwas gesucht, und doch nichts gefunden. Das einzige Resultat meiner Suche war, dass meine Nudeln in der Zeit vekocht waren.

Gerade habe ich die letzten Reste der orangen Pampe hinuntergewürgt, als mein Blick nach draußen fällt. Seit Stunden sitze ich am Rand des Baumhauses, den Blick in die Ferne gewandt, und warte darauf, dass irgendetwas passiert. 

Das einzig spannende oder halbwegs interessante war eine Herde Zombies, die durch den Wald wandelten, und von denen ich die Hälfte mit einer einhändigen Armbrust erlegt habe. Dummerweise kam mir dann der Gedanke, dass ich die Pfeile noch brauchen könnte, also hörte ich auf  und nachdem sie außer Sicht waren wartete ich noch eine halbe Stunde, bevor ich die Pfeile aus den toten Zombies holte. Dummerweise hatte ich bei einigen verfehlt, was bedeutete, dass meine Pfeile in Zombieoberschenkeln steckend vor mir davon liefen. Zudem erforderte es meine gesamten Kraftreserven, mit nur einer Hand das Seil hochzuklettern.

Inzwischen senkt sich  der riesige rote Feuerball, den irgend ein Astrologe oder wie man die Typen nennt mal Sonne getauft hat, dem Horizont entgegen. Ich platziere mein Geschirr in der Spüle und werde  langsam ungeduldig.

Wo bleiben die Mädchen  bloß?, geht es mir durch den Kopf. In einer apokalyptischen Welt wird man schnell ungeduldig. Eine Verspätung von fünf Minuten konnte schon Vorbote einer Katastrophe sein, und Vic war für gewöhnlich lange vor Sonnenuntergang zurück, um sichergehen zu können, nicht von der Dunkelheit überrascht zu werden.

Bestimmt haben sie nur besonders viel zu tragen und kommen deswegen langsamer voran, rede ich mir ein. Vielleicht sollte ich ihnen besser entgegen gehen...

Ich entschließe mich dagegen - sollte ich wirklich wie ein Mädchen panisch werden und unüberlegt handeln? Keineswegs. Ich würde ganz ruhig hier warten, mich erstmal hinlegen und eine Weile schlafen, am Morgen würde alles besser aussehen.

Und genau das tue ich dann auch - ich ziehe meine Jeans, den Pulli und das Shirt aus und kuschle mich in meiner Bettdecke ein, wo ich nach mehreren Stunden unruhigem Hin- und Hergewälze tatsächlich einschlafe.

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt