Im Wald

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Irina Jackson P.O.V.

Ein leises, scharrendes Zischen lässt mich aufhorchen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und drehe ganz langsam den Kopf nach rechts.

Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich eine Pfeilspitze nur wenige Zentimeter von meinem Auge entfernt sehe, die direkt auf meinen Kopf zielt. Sie ist so nah, dass sich eine Strähne meines schwarzen Haares bei der Kopfdrehug daran verfangen hat. 

Ganz langsam weiche ich einen Schritt zurück, bevor ich  den Schützen näher betrachte.

Es ist ein Mädchen, oder viel eher eine junge Frau, die mich aus zusammengekniffenen goldenen Augen anstarrt, welche von verruchtem schwarzen Kajal  umgeben sind. Ihre Augenbrauen sowie Lippen sind von einem eleganten Schwung und lassen sie älter wirken, als sie vermutlich ist.

Die blonden Haare des Mädchens sind stark verfilzt, als hätte sie sie wochenlang nicht gekämmt, obwohl die Seuche doch erst seit drei Tagen tobt. Oder kann es sein,  dass sie woanders früher ausgebrochen ist?

Momentan ist mir das im Angesicht des Pfeiles der auf mich gerichtet ist allerdings ziemlich egal. Ich traue mich nichtmal, die Pistole anzuheben, weil sie mit Sicherheit schneller schießen würde.

"Was suchst du hier allein im Wald?", fragt sie harsch mit dem Hauch eines Akzentes, den ich aber nicht zuordnen kann. Mit einem schnellen Schritt kommt sie noch weiter auf mich zu und lenkt dadurch meine Aufmerksamkeit auf ihr Outfit - eine zerfetzte Jeans und hohe Stiefel, ein T-shirt mit roter Aufschrift die aussieht als wäre sie mit Blut besprenkelt,  die Schrift kann ich aber nicht lesen da sie halb von einer Raulederjacke verdeckt wird.

"I-ich...", stottere ich. Nach einem Räuspern fahre ich fort: "Ich habe meinen... Zombieapokalypsenpartner verloren"

Ein höhnisched Grinsen breitet sich auf dem Gesicht des blonden Mädchens aus. "Wie süß. Und wie kommst du darauf, ihn hier zu finden?"

"Die Blutsp...", beginne ich und breche mitten im Wort ab. "Was geht dich das an? Ich kenne dich nichtmal!"

Ein Muskel in ihrem Gesicht zuckt und ich bereue, das gesagt zu haben. Gleich wird sie schießen, denke ich panisch.

Stattdessen lacht sie leise, lässt die Waffe sinken und streckt mir die Hand entgegen. "Vic"

Ich ergreife ihre Hand und singe grinsend: "Hei hei Wickie, hei wickie hei"

Da drückt sie so fest zu, dass meine Gelenke knacken und ich vor Schmerz beinahe in die Knie gehe.

"Irina", sage ich, das Lächeln erstirbt mir auf den Lippen und ich nicke ihr zu, bis sie endlich meine Hand loslässt.

Damit dreht sie sich um, hängt sich den Pfeilerbogen über die Schulter und stapft den Hang hinauf. Eilig stolpere ich hinter ihr her."Hast du jemanden gesehen? Seit gestern Abend um acht sind wir getrennt!"

"Das ist fast 20 Stunden her", antwortet Vic ohne lange nachzudenken.

"Und? Hast du nun jemanden gesehen oder nicht?", genervt stakse ich durchs Laub, wobei meine Haare vom Regen schon völlig durchnässt sind. Das Blätterdach ist in diesem Teil des Waldes weniger dicht als unten am See.

"Wie würde dieser jemand denn aussehen?", fragt sie, wirbelt herum und bleibt so abrupt stehen,  dass ich fast in sie hinein renne. "Hör auf mir nachzurennen!"

"Ein Junge, etwa in meinem Alter, vielleicht etwas älter", sage ich hastig. "Dunkle Haare, grüne Augen und er ist vermutlich stark verletzt. Sag mir ob du ihn gesehen hast und ich lasse dich in Ruhe!"

Vic mustert mich nachdenklich. "Ich habe einen Jungen mit dunklen Haare gesehen... seine Augenfarbe? Keine Ahnung... seit ich ihn gefunden habe hatte er die Augen nie geöffnet... aber verletzt ist er auf jeden Fall"

"Das muss er sein!", quietsche ich, springe vor und packe sie am Arm. "Das ist Matt!! Bitte bring mich zu ihm! Wo ist er?" Tränen schießen in meine Augen.

Vic stößt mich weg und starrt mich wütend an, bevor sie zischt: "Fass mich nicht an!"

Ich nicke und richte mich auf. Dadurch, dass ich auf dem Hügel unter ihr stehe, wirke ich noch kleiner als sonst schon, und fühle mich auch noch angreifbarer, dennoch richte ich die Pistole mit zitternden Händen auf ihr Herz.

"Führ mich zu ihm", verlange ich und blinzle die Tränen weg. Wenn Matt irgendwo bewusstlos rumliegt, muss ich ihm helfen.

Vic schmunzelt entspannt, sie zuckt nichteinmal mit der Wimper. "Du wirst nicht schießen" Als sie spricht erkenne ich perfekte weiße Zähne hinter ihren vollen Lippen.

"Woher willst du das wissen?", frage ich und versuche dabei, einen drohenden Unterton in meine Stimme zu legen.

"Erstens... wolltest du auf mich schießen,  hättest du von Anfang an auf mich ziehlen können. Zweitens wenn du mich erschießt hast du keine Chance mehr, ihn zu finden und drittens - der wohl wichtigste Punkt - liebst du ihn wohl kaum genug, um für ihn jemanden umzubringen"

Sie zieht eine der entweder  gezupften oder perfekt natürlich gewachsenen Augenbrauen hoch.

"Ich liebe ihn nicht!", knurre ich und laufe vor Wut und Scham rot an. "Wir sind Partner also schütze ich ihn"

"Was dir wohl nicht so gut gelungen ist", meint Vic spöttisch.

Ich beiße mir auf die Innenseite meiner Wange, um nicht loszukreischen und wie ein kleines Mädchen auf sie einzuprügeln. Stattdessen lasse ich die Waffe sinken und stecke sie unter meinen Gürtel.

"Und wenn ich bitte sage?", das beste falsche Lächeln, das ich je zu Stande gebracht habe, breitet sich auf meinem Gesicht aus und ich wende all meine Willenskraft auf, um ihr die Worte nicht ins Gesicht zu spucken.

Vic wirft den Kopf in den Nacken und lacht  so laut auf, dass ich Angst habe, sie könne Zombies anlocken.

"Komm, ich bringe dich hin, wenn du versprichst, mich nicht zu erschießen", und ohne eine Antwort abzuwarten stapft sie in den Wald.

Mir bleibt kaum etwas anderes übrig, als ihr hinterherzulaufen. Sie bewegt sich nicht nur eleganter als ich, ihre Schritte sind auch größer und schneller als meine, wodurch ich rasch außer Atem komme.

Ich bin mir zwar nicht sicher, aber es kommt mir vor, als würde Vic mich auslachen.

Weniger als eine Minute später bleibt sie stehen und verkündet: "Wir sind da"

Ich sehe mich um. Also links von mir ist Wald.  Vor und hinter mir ebenfalls. Und rechts von mir...

ist noch mehr Wald.

Doch als ich den Blick senke, sehe ich es. Dort, direkt an einen großen mächtigen Baumstamm gelehnt, liegt ein Stein.

"Was soll das?", fahre ich Vic an. "Findest du das witzig? Hier ist doch nichst!!"

"Tatsächlich?", fragt sie und hebt mit zwei Fingern mein Kinn an, woraufhin sich ihre Jacke zur Seite schiebt. Auf dem T-Shirt lese ich die blutigen Worte 'Zombielove never dies', bevor ich den Blick in die Richtung wende, in die sie mein Gesicht dreht, sodass ich gen Himmel blicke.

Foto: Vic

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt