Raus

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"Und wie sollen wir da verdammt nochmal hinkommen?", brüllt Tio.

"Keine Ahnung!!", schreie ich zurück und schlage ihm gegen den Brustkorb, sodass er zurücktaumelt.

"Das ist totaler Blödsinn Ina!", er schüttelt wütend den Kopf.

"Komm mir jetzt nicht mit Ina! Du weißt, dass wir aus der Stadt raus müsdarin.

"Wieso verdammt nochmal?? Vielleicht war das nur eine Szene für versteckte Kamera? Wir sollten nichts überstürzen!"

"Überstürzen?  Du hast doch gesehen wie sich der Wahnsinn auf die Leute übertragen hat die berührt wurden", fauche ich mit Tränen in den Augen.

"Du kennst den Kerl doch nichtmal, der dich angerufen hat!", knurrt Tio.

"Er ist unsere einzige Chance! Er hat einen Plan und den brauchen wir dringend!"

"Oh Gott Irina du bist sowas von stur!"

Ich sehe ihn entgeistert an, dann renne ich in mein Zimmer und knalle die Tür zu. Ich stecke mir mein Pfefferspray und ein Taschenmesser in den olivefarbenen Leinenrucksack, dazu zwei T-Shirts und eine Jeans, frische Unterwäsche und ein zweites Paar Socken, während mir Tränen der Verzweiflung über die Wangen laufen. Ich renne zurück in die Wohnung, Tio ist verschwunden.

Nachdem ich etwas Essen und Medikamente sowie Verbände eingepackt habe, schlüpfe ich wieder in meine Lederjacke und ziehe statt den Ballerinas von vorhin feste Wanderschuhe an. Meine Eltern zwangen mich vor einem Jahr die Schuhe zu kaufen, damit ich keine Ausrede mehr hatte, nicht wandern zu gehen,  und ich musste feststellen, dass es nicht nur die hässlichsten,  sondern auch die bequemsten Schuhe waren, die ich je getragen hatte.

Da ich nicht weiß,  wann meine Eltern nach Hause kommen, oder wann ich zurückkehren werde, schließe ich die Tür ab und binde die Schlüssel wieder an den Schuhen fest.

Vor dem Haus google ich erstmal die Adresse,  die Matt mir geschickt hat. Sie liegt außerhalb der Stadt mitten im Wald.  Spitze. In Ermangelung einer anderen Möglichkeit schnappe ich mir mein klappriges Fahrrad und trete kräftig in die Pedale.

Auf der Straße herrscht inzwischen das reinste Chaos und ich schlängle mich geschickt an den Autos vorbei und in einen schmalen Radweg. Dort fahre ich freihändig und stecke mir die Kopfhörer in die Ohren, um Jackie anzurufen, doch sie hebt nicht ab. Meine Eltern antworten ebenfalls nicht. Also rufe ich Tio an, obwohl ich noch sauer auf ihn bin.
Sie befinden sich in der Mobilbox der Nummer 0... Ich lege auf und rufe Matt an.

"IJ", begrüßt er mich knapp.

Etwas außer Atem sage ich "Hei! Ich bin unterwegs,  aber auf dem Fahrrad wird es eine Stunde dauern bis ich bei dir bin"

"Eine Stunde?", Matt klingt geschockt. "Hör zu. Wo bist du?"

"Auf dem langen Radweg der bei Tischer's von der Hauptstraße abzweigt"

"Okay. Rechts kommt bald ein mintgrünes Haus. Okay? Dort in der Einfahrt steht ein dunkelrotes Moped, eine Cross. Die Schlüssel liegen unter dem Blumentopf rechts an der Hecke. Nimm sie", erklärt Matt hastig.

"Ist das nicht Diebstahl?", frage ich etwas nervös. In Wirklichkeit will ich nur nicht zugeben, dass ich erst einmal gefahren bin, und das nicht sehr erfolgreich. Ich strample mich weiter auf dem Fahrrad ab und sehe mich nach dem Haus um.

"Ist okay, sie gehört mir. Wir sehen uns" Matt legt auf und ich erspähe das Haus. Im Fahren springe ich vom Rad, als ich hinter mir ein Keuchen höre.

Ein Blick über die Schulter verrät mir, dass dort eine alte Frau steht, das Gesicht fahl und eine klaffende Wunde am Hals. Ihre Augen leuchten durchgehend weiß.

Sie macht einen Schritt auf mich zu, und ich sprinte los, klettere über den Maschendrahtzaun in den Garten. Die Frau rennt gegen den Zaun und streckt gierig sie Hände nach mir aus, die mich nur um wenige Millimeter verpassen. Ihre Augen scheinen blicklos auf mich gerichtet.

Ich wirble herum, durch den Garten und zur Einfahrt, wo ich ein Mädchen etwas unter meinem Alter sehe. Sie ist infiziert, ich erkenne es sofort an ihren Augen und dem verzerrten Gesichtsausdruck mit dem sie mich ansieht, und ich stoße sie zur Seite, sodass sie stolpert und hinfällt. Ein Griff und ich bekomme den Schlüssel zu fassen. Mein Herz hämmert gegen die Rippen,  als ich mich auf die dunkelrote Maschine schwinge. Das Mädchen rappelt sich schwerfällig auf und humpelt auf mich zu.

Der Motor rattert, als ich so fest ich kann gegen den Kickstart trete. Ich versuche es erneut und nocheinmal.

Im Rückspiegel sehe ich den aufgerissenen Mund des Mädchens, aus dem Speichel und Blut fließen. Ihr Haar ist noch immer perfekt frisiert mit einigen kleinen Zöpfchen darin. Ihre Fingernägel tippen an meinen Oberarm, als die Cross einen Sprung nach vorne macht und ich mit einem Jubelschrei über die Straße wegfahre.

Foto: das Mädchen

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt