Fremde

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Matt Taketers P.O.V.

Als ich aufwache, höre ich Stimmen. Oder ich wache auf, weil ich Stimmen höre. Waren die Stimmen schon länger da? Bin ich aufgewacht, weil ich ausgeschlafen bin, oder weil die Stimmen angefangen haben, an meine Ohren zu dringen? Zumindest fühle ich mich nicht ausgeschlafen. Dennoch sind die Stimmen sehr leise...

Blinzelnd öffne ich die Augen und sehe mich in meinem kleinen Zimmer um. Es liegt genau gegenüber von Irinas und der pechschwarze Teppich, der eine Tür ersetzt, hängt etwas schief. Durch den Spalt an der Seite dringt eiskalte Luft in mein Zimmer und als ich die Bettdecke zurückschlage, fröstle ich.

Die Stimmen kommen von unter mir, aber mit Sicherheit nicht vom Waldboden. Ich kann nicht genau verstehen, was sie sagen, es scheint eine fremde Sprache zu sein, irgendetwas südländisches. Okay, es nicht genau zu verstehen ist vielleicht untertrieben, ich verstehe garnichts.

Leise stehe ich auf und schleiche auf Zehenspitzen zum Vorhang, den ich mit dem Handrücken beiseite drücke. Dabei geht mir das Lied 'Tiptoeing in my Jordans' durch den Kopf und ich hätte beinahe genervt aufgestöhnt. Es letztes Jahr drei Tage lang durchgehend als Ohrwurm zu haben war genug!

Ich stelle jetzt fest, dass die Stimmen direkt aus dem untersten Stockwerk kommen. Die Sprache ordne ich als griechisch ein, doch da meine Sprachkentnisse sich diesbezüglich auf syraptikó - Hefter, malákas -Wichser und einige Gerichte wie Zaziki beschränken, verstehe ich garnichts. Nun ja, am Ende eines Satzes glaube ich doch, das Wort malákas herauszuhören.

Wieder auf Zehenspitzen und wieder mit dem dämlichen Ohrwurm im Hinterkopf schleiche ich aus meinem Zimmer und klettere nach unten auf die Küchen-Ebene. Ich spähe durch das nächste Loch im Boden und entdecke ein Mädchen, das um die dreizehn Jahre alt sein muss. Sie kriecht gerade aus dem Gang, an dessen Ende der kleine Raum liegt, in dem ich in den Tagen gefangen war, in denen ich dem Verbluten nahe schien. Vic hatte sich nie in meine Nähe begeben, weil sie stets befürchtete, ich könne mich doch noch verwandeln.

Das Mädchen richtet sich auf, streicht ihr hüftlanges braunes Haar zurück und dreht sich langsam einmal im Kreis. "Nikos?", ruft sie und ein Mann tritt durch den Eingang vom 'Badezimmer' aus in den Raum.

Die beiden besprechen irgendetwas auf griechisch und ich versuche angestrengt, etwas zu verstehen. Meine Versuche bleiben erfolglos, weshalb ich auch keine Zeit habe, den Kopf zurückzuziehen, als die beiden gleichzeitig  den Kopf nach oben wenden und mich entdecken. 

"Marika!", ruft das Mädchen und eine Frau erscheint von einer der hinteren Türen. Sie folgt den Blicken des Mannes, den die Kleine zuvor Nikos genannt hat, und des Mädchens. Blitzschnell greift sie nach hinten an den Gürtel und hat eine Waffe auf mich gerichtet. Die Kugel verfehlt meinen Kopf um haaresbreite und ich schnelle zurück, will meine Taschen nach einer Waffe durchsuchen, einem Messer, irgendetwas, doch ich muss feststellen, dass ich immer noch ausschließlich Boxershorts trage. Hektisch sehe ich mich um, ich höre, wie der zweite Schuss abgefeuert wird, rapple mich auf und drehe mich im Kreis. Ein drittes mal knallt die Waffe, dann höre ich, wie sie sich auf den Weg nach oben machen.

Gerade überlege ich, wie schnell ich tot wäre, wenn ich mich einfach aus dem Fenster stürzen würde, doch der Gedanke verfliegt wie ein Blatt im Wind, als ich eine handliche 38er auf der Küchetheke liegen sehe. Ich sprinte über den Metallboden, dessen Fugen sich in die Haut meiner nackten Füße graben, ergreife die Waffe und wirble herum. Gerade steckt die Frau, Marika, den Kopf durch das Loch und sieht sich eilig um. Ich ducke mich hinter die Theke und warte ab, bis sie ganz heraufgeklettert ist.

Als sie mir gerade für eine Sekunde den Rücken zudreht springe ich hervor, packe sie mit einem Arm, nehme sie in den Schwitzkasten und presse die Waffe mit der selben Hand an ihre Schläfe. Mein Handgelenk wird eigenartig verbogen aber dennoch komme ich mir ziemlich cool vor, das mit einer Hand zuschaffen. Jetzt sollte ich vielleicht irgendetwas dramatisches sagen wie 'Eine Bewegung und ich schieße', doch ich bin mir nichtmal sicher, ob sie deutsch kann, also belasse ich es dabei und begnüge mich mit dem Entsetzen in den meergrünen Augen des Mädchens, als es heraufklettert und uns dort stehen sieht.

Ich gebe ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass sie sich mir gegenüber hinstellen soll. "Hände hoch", füge ich hinzu, weil ich zumindest irgendetwas sagen möchte, das ich mal in einem Film gehört habe. Verängstigt stellt sie sich hin und hebt tatsächlich die Hände. Nikos, ein Mann in den 50ern mit rauschigem Vollbart und ergrautem Haar tut es ihr gleich.

"Was sucht ihr hier?", frage ich ihn.

"Einen Ort zu bleiben", sein Akzent ist sehr stark und bevor er spricht denkt er ein paar Sekunden nach. Das Mädchen sieht ihn von der Seite an, denn tritt sie vorsichtig einen Schritt vor. Entsetzt schreit Marika auf und ich presse die Waffe fester an ihren Kopf.

"Entschuldige. Mein Name ist Nikí, das sind meine Reisegefährten, Marika und Nikos", erklärt sie flüssig, wenn auch mit einem unüberhörbaren Akzent.  "Marika ist meine Mutter, Nikos ein Bekannter von uns. Wir suchten Unterschlupf und dieser Ort sah gut aus, also entschlossen wir uns, zu bleiben"

"Tja, ihr könnt aber nicht bleiben. Dieser Ort gehört uns", erkläre ich ihr. Würde Vic es gutheißen, ihnen Essen und Rast zu gewähren? Bestimmt nicht. Unsere Vorräte sind knapp genug.

"Bitte... das hier ... ", sie fasst in ihre hintere Hosentasche und hektisch richte ich die Waffe auf sie und will ihr schon zuschreien, dass sie die Hände hinter den Kopf legen soll, als sie einen Zettel hervorzeiht. "Das hier ist ein Brief meines Vaters"

Sie streckt ihn mir entgegen und ich sehe sie misstrauisch an. Nikos hinter ihr wirft ihr ebenfalls verwirrte Blicke zu, also kann es sich kaum um einen vorbesprochenen Plan handeln. Ich strecke dieHand vor um den Brief zu ergreifen, was garnicht so einfach ist.

In dem Moment zieht Nikos die Waffe.

 Victorias P.O.V.

 Blut klebt an meinen Händen. Nicht im symbolischen Sinne, nein, es klebt wirklich dort und tropft auf den Boden, der ohnehin schon dunkelbraun gefärbt ist. Ich atme laut und keuchend, es war doch nicht unanstrengend, sie alle niederzumetzeln.

Jetzt stehe ich einfach da, sehe nach unten und sehe dort das Büschel schwarzer Haare, völlig durcheinander. Die Leiche liegt auf dem Bauch, sodass ich nur erkennen kann, dass die Person klein war, dunkle Haare hatte, und tot ist.

Ich wische meine Hände an den Jeans ab, schnalle mir alle Waffen wieder um und verlasse den Balkon, wobei ich im Vorbeigehen einem immer noch stöhnenden Zombie den Griff meines Schwertes gegen den Schädel schlage.

Das leise Knacken hallt immer wieder in meinem Kopf nach, als ich mich auf den Weg mache.

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt