Aufgehängt

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Irina Jacksons P.O.V.

"Du siehst aus wie meine Wäsche, so aufgehängt", ruft Matt amüsiert zu mir nach unten.

"Wow", schreie ich mit etwas zu schriller Stimme zurück. "Der war echt scheiße"

"Du findest ihn nur scheiße weil er sich über dich lustig macht", lacht Matt und  ich stöhne genervt. Kann er nicht einfach die Fresse halten und mich hochziehen oder runterlassen oder irgendwas unternehmen um mich zu retten?

"Würde es dir große Umstände bereiten, mir zu helfen?", brülle ich wütend. 

"Ja", ich werfe einen Blick nach oben und sehe, dass Matt sich mit baumelnden Beinen an den Rand des Baumhauses gesetzt hat und frech zu mir herunter grinst.

"Wenn ich bitte sage?", ich ignoriere meine zitternde Stimme und unterdrücke einen neuerlichen Panikanfall. Oder ist es doch ein Wutanfall? Klingt in meinen Ohren irgendwie wahrscheinlicher.

"Da müsstest du schon verdammt laut schreien, sonst könnte es sein, dass ich dich überhöre!"
Sein Ernst? Ich verdrehe die Augen.und atme tief ein, bevor ich so laut ich kann brülle: "Matthew Aron Tobi Taketer würdest du mir BITTE helfen?!!"

"Ich heiße Matthäus!", ruft er herunter und ich unterdrücke ein Lachen. Stimmt, sein Name war ja grausam, was ich ganz vergessen hatte. Seine Eltern müssen ihn sehr gehasst haben, als er getauft wurde.

"Matthäus!", schreie ich und klammere mich an mein Seil. "Hilf mir oder... oder..."

"Oder was? Sagst es sonst meiner Mami?", der Sarkasmus ist unüberhörbar. "Wach doch endlich auf IJ! Meine Mami ist tot, genauso wie deine Eltern und alle unsere Freunde! Dank dir hab ich jetzt nur noch einen Arm oder wäre im schlimmsten Fall ein Zombie geworden, hätte Vic mich nicht gerettet! Es gibt keinen Grund für mich, dich jetzt zu retten"

Ich schließe die Augen. Das tat weh.  Mit rasselndem Atem rutsche ich weiter das Seil hinunter. Er hat recht, es gibt keinen Grund für ihn, mich zu retten, also gibt es für mich auch keinen Grund, hier zu bleiben.

Bei Tio kann ich mehr tun als hier herumzusitzen und zu trauern über Gefühle und Menschen, die es längst nicht mehr gibt.

Wenigstens hält Matt endlich die Klappe, oder er ist garnicht mehr da. Es ist mir egal.

Mit einem dumpfen Aufprall komme ich am Waldboden an, lande in der Hocke und richte mich dann langsam auf.

Einen Moment halte ich inne, starre durch das Unterholz und denke daran, dass ich keine Waffen besitze. Ich hätte wenigstens den Dolch aus meinem Zimmer mitnehmen sollen.

Aber alles ist ruhig, also umfasse ich den Griff des ErsteHilfePacks fester und renne los.

Der laubbedeckte Boden dämpft zwar meine Schritte, doch so raschelt es umso mehr und nicht nur, wenn ich mich durch dichtes Gestrüpp kämpfen muss.

Nach gefühlten Stunden wird der Wald endlich lichter und die Sonne dringt an manchen Stellen bis zum Boden durch, wo hübsche Muster aus Licht und Schatten entstehen.

Am Waldrand angekommen lehne ich mich keuchend gegen einen Baum. Ich bin längst nicht so fit, wie ich sein sollte.

Rote Striemen ziehen sich über meine ungeschützten Hände, mit denen ich mich durch die Brombeerstauden gekämpft habe.

Mein Blick fällt auf den Boden und ich presse eine Hand vor den Mund, um den Würgereiz zu unterdrücken. Dort liegt eine verwesende, grünliche Leiche, deren Fleisch vom Regen aufgedunsen war.

Irgendetwas ist komisch daran, bis mir klar wird, dass keinerlei Maden oder Fliegen herumwuseln, wie es bei Aas eigentlich üblich wäre.
Natürlich nicht, schießt es mir durch den Kopf. Zombiefleisch würde ich nichtmal essen wollen, wenn ich eine Made wäre.

Das muss der Zombie gewesen sein, der Matt gebissen hat. Ich spüre Wut in mir aufsteigen und trete mit voller Kraft dem Zombie in die Seite, der an dem Streit mit Matt Schuld ist.

Okay, ich bin selbst daran Schuld, aber der Zombie hat mitgeholfen.

Ernüchtert muss ich feststellen, dass mein Schuh in den Rippen hängen geblieben ist und ich zerre ihn angeekelt wieder heraus.

Ein paar Schneeflocken segeln langsam vom Himmel und ich stelle überrascht fest, das es ziemlich kalt geworden ist.

Saskia's P.O.V.

Eine feine Gänsehaut hat sich auf meinen nackten Armen gebildet und ich fröstle.

Dennoch will ich meine Gebete für Mama und Papas Seelen nicht unterbrechen.

"Heilige Maria Mutter Gottes, voller Gnade, du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesu", hauche ich in die kalte Luft, wo feine Nebelwolken entstehen.

Während ich weiterbete überkreuze ich die Beine und mache mich immer kleiner, um die Körperwärme zu bewahren, die mir das kalte Kirchenschiff so schnell entzieht. Die nassen Klamotten machen es nicht besser.

"Heilige Maria Mutter Gottes, bitte für uns Sünder,  jetzt und in der Stunde unseres Todes", flüstere ich.

In Gedanken bin ich bei Mama und Papa, wie sie mich beim Wandern getragen haben, wenn ich müde wurde, wie Mama mein Haar flocht für die Schulaufführung, wie Papa mir beibrachte, wie man eine Maipfeife schnitzt.

Mein Mund bewegt sich wie von alleine zu den auswendig gelernten Versen, die ich jedes Jahr zu Allerheiligen für meine Großeltern sprach, die ich ohnehin nie gekannt hatte.

Ein seltsames Scharren reißt mich aus den Gedanken und ich fasse nach der Pistole.

Die Zombieapokalypse und was das Leben sonst so mit sich bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt