Kapitel 2

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Mein Wecker klingelte mich aus meinem eigentlich wohl verdienten Schlaf. Und das mal wieder viel zu früh.
5:30 war einfach noch nie meine Zeit und würde es auch nie werden. Aber da musste ich durch für meinen Job, der mir echt Spaß machte.

Der Tag der Entscheidung kam unaufhaltsam näher und ich war damit glücklicherweise auch nicht mehr ganz so überfordert, wie am vorherigen Tag.
Ich würde bleiben wollen, aber nur unter der Bedingung, dass meine Chefin mir eine Gehaltserhöhung geben würde, auch, wenn das hieß, dass ich mehr arbeiten musste. Es war mir egal.
Wenn ich schon gezwungen war in gewisser Weise selbstständig zu werden, dann wollte ich das auch ganz. Ganz oder gar nicht. Ich wollte kein Geld meiner Eltern annehmen, auch, wenn mein Vater noch so viel verdiente.

Während ich nochmal das Telefonat mit Yuna in Gedanken durchging, klopfte es an meiner Tür, was mich wieder in die Realität zurückbrachte.
''Ja?''
Herein kam mein kleiner, 14-jähriger, Bruder Youngmin noch im Pyjama und er sah nicht gerade glücklich aus.
''Young! Warum bist du denn schon so früh wach? Du musst doch eigentlich erst in einer Dreiviertelstunde aufstehen!''
''Ich bin wach geworden und kann nicht mehr einschlafen. Lohnt sich doch eh nicht mehr.''
Das erklärte aber nicht seine schlechte Laune, die man ihm ansehen konnte.
Er war, im Vergleich zu mir und meiner Mutter, Frühaufsteher, was er von unserem Vater hatte, weshalb es nicht zu wenig Schlaf sein konnte.

''Und wieso bist du so schlecht gelaunt? Gestern war doch noch alles in Ordnung?'', fragte ich besorgt nach und schaute ihn auch dementsprechend an.
''Ich hab das Telefonat, was du gestern mit Yuna geführt hast, mitgehört. Das ist auch der Grund, wieso ich in dein Zimmer gekommen bin.''
Ich schluckte geräuschvoll.
''Mum und Dad haben mir noch gar nicht erzählt, dass wir umziehen werden... Weißt du wieso?''
Er stand immer noch im Türrahmen meiner Tür und schien echt verletzt.

''Ich denke sie wollten, dass du so spät wie möglich davon erfährst, damit du die Zeit noch genießen kannst, bevor ihr nach London fliegt. Aber genau weiß ich es auch nicht.."
''..Ihr? Kommst du nicht mit?'' Nun klang er geschockt und noch trauriger, als er es vorher schon war.
''Wahrscheinlich nicht, nein.''
''Wieso?'' Eine stumme Träne kullerte seine Wange hinunter, mir ebenfalls, nachdem ich das gesehen hatte.
''Sei einfach froh, dass du keine so schwere Entscheidung treffen musstest und freu dich auf London, ja? Tu mir den Gefallen und sei nicht so sauer auf unsere Eltern. Es ist für sie auch schwierig das Land zu verlassen, in dem Mum, du und ich aufgewachsen sind und Dad schon seit sehr vielen Jahren lebt'', wich ich seiner Frage aus.
Er nickte nur und sagte dann leise: ''Ich geh dann mal wieder in mein Zimmer...''
''Mach das Youngie...''

Mit einem unordentlichen Zopf auf dem Kopf, nur wenig Schminke, die meine Augenringe verdecken sollte, im Gesicht, lockerem Shirt und langer Jogginghose als Kleidung und weißen, ausgelatschten Converse an den Füßen rannte ich nach unten, schnappte meine schwarze Sporttasche und sprintete in die Küche, in der mein Vater, meine Mutter und mein Bruder am Frühstückstisch saßen.

''Morgen Minjee! Wieso hast du es denn so eilig?'', fragte mein Vater. Meine Mutter saß nur still daneben und mein Bruder guckte grimmig drein. Er war mehr als nur wütend, er behielt es aber offensichtlich für sich, so, wie ich es ihm gesagt hatte.
''Ich hab vor der Arbeit noch ein Gespräch mit meiner Chefin!'', japste ich und flitzte von einem Schrank zum nächsten um mir ein kleines Sandwich für den Weg zurecht zu machen, denn ich hatte eindeutig keine Zeit mehr um gemütlich zu frühstücken.

''Hast du irgendwas gemacht, oder wieso will sie mit dir reden? Sag mir nicht, du hast was angestellt!'', rief meine Mutter aufgebracht, während ich auf der Suche nach einer großen Wasserflasche war.
''Nein Mama, ich will mit ihr reden. Ich hab aber jetzt auch keine Zeit euch das zu erklären, mein Bus kommt gleich!''
Ich lächelte meine Eltern an, die sich durch meine Worte etwas beruhigt hatten, aber immer noch skeptisch aussahen.
Endlich hatte ich das Objekt meiner Begierde gefunden und mein Brot eingetütet.
''Bis nachher!'', rief ich noch, bevor ich die Haustür hinter mir zu zog.
Ich konnte die verwirrten Blicke meiner Eltern förmlich durch die Hauswand spüren.

''Tut mir leid, dass ich.... zu spät bin. Ich hab den Bus verpasst und..... musste dann hier her sprinten....''
Ich war völlig aus der Puste, als ich im Büro meiner Chefin ankam.
Meine Tasche, inklusive meines Frühstücks, das ich nicht hatte essen können, weil ich hatte rennen müssen, hatte ich bereits in der Umkleide abgestellt.
''Ist doch kein Problem. Setz dich erst mal hin und komm zu Atem'', meinte Heekyung und lächelte freundlich.
Ich setzte mich auf einen der beiden Stühle, die vor ihrem Schreibtisch standen.

Heekyung war genau so alt, wie ich und meinte schon oft zu mir, dass ich sie doch einfach wie eine meiner Freundinnen behandeln sollte, was ich auch echt versuchte, aber meine Mutter hatte mir beigebracht immer höflich gegenüber höher gestellten oder älteren Personen zu sein, weshalb ich diese Höflichkeit auch nie ganz ablegen konnte.

''Möchtest du einen Schluck trinken?''
''Nein danke.''
In Wahrheit war meine Kehle total trocken, aber ich konnte gleich auch noch was trinken. Ich wollte dieses, für mich äußerst peinliche, Gespräch so schnell wie möglich hinter mir haben.
Heekyung sah mich an und fragte dann, was ich denn von ihr wollte.
Ich atmete noch einmal tief durch und erklärte ihr dann meine Situation:
''Meine Eltern und mein kleiner Bruder werden in ungefähr einem Monat nach London ziehen. Ich hätte auch mitkommen können, würde ich aber doch lieber hier in Südkorea bleiben wollen. Das geht aber nur, wenn ich genug Geld habe um mich selbst versorgen zu können-''
Sie unterbrach mich: ''Deine Eltern wollen dir nicht irgendwie Taschengeld überweisen oder so?''
''Doch eigentlich schon. Aber ich möchte das nicht. Zumindest möchte ich nicht so viel annehmen, wie sie mir geben wollen. Deswegen wollte ich fragen, ob-''

Wieder wurde ich unterbrochen. Ja, das war so eine Eigenheit von Heekyung. Wenn sie etwas zu sagen hatte, dann wartete sie nicht bis ihr Gegenüber ausgeredet hatte, sondern redet einfach rein. Ich fand es aber nicht schlimm.

''Und deswegen wolltest du fragen, ob ich dir mehr Geld zahlen kann?''
''Ich würde auch noch länger und härter arbeiten, früher kommen, später gehen und auf zwei meiner drei Pausen verzichten.''
Beschämt guckte ich auf den Boden, oder eher auf meine Schuhe. Sie schienen so interessant mit ihren ganzen Macken, die sie hatten.
''Aber Min.. Du bist doch schon meistens die Erste, die kommt und die Letzte, die geht! Du gibst die meisten Tanzkurse und übst selber noch mit deiner eigenen Tanzgruppe für jegliche Wettbewerbe. Ich fürchte, dass mehr einfach nicht geht. Sowohl als Arbeitspensum als auch an Gehalt. Besonders, da das erst dein erstes Jahr hier als Tanzlehrerin ist. Und du weißt, dass du Glück hattest, dass du hier den Job bekommen hast, obwohl du kein Studium oder so hattest..''
Ich seufzte. Das war mir alles  bewusst, blöderweise.

''Ich weiß... Und mir ist es auch echt peinlich danach fragen zu müssen.. Aber, wenn du meinst, dass da nichts geht, dann ist das okay. Es findet sich schon eine Lösung. Danke trotzdem..'', sagte ich betrübt und wollte gerade wieder aufstehen und gehen, als meine Chefin noch etwas sagte: ''Aber ich lass mal meine und die Kontakte meines Vaters spielen. Wir finden schon eine Lösung.''
Sie war fröhlich, dennoch schaute sie mich mit einem bemitleidenden Blick an.
''Danke Heekyung...'' Ich lächelte sie an und konnte nun wenigstens einigermaßen zufrieden mit der Arbeit anfangen.

Ersteinmal Lautsprecher aufstellen, Handy anschließen und die richtige Playlist für den ersten Tanzkurs raussuchen.
Mein erster Kurs an dem Tag waren mehrere Jugendliche, die kurz vor ihrem Abschluss waren und deswegen ein paar Standard-Tänze einüben wollten, einfach um sich nicht ganz zu blamieren.
Normalerweise übernahmen viele andere Angestellte diese Kurse, denn eigentlich war ich nur für den Bereich Hip Hop, R n B und so einen Kram zuständig, aber da wir im Moment eng besetzt waren, musste ich das übernehmen.
War ja nicht so, als würde ich keine Standard-Tänze können, nur diese zu unterrichten war Neuland für mich.

1371 Wörter

I Need U (german)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt