Kapitel 22

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Während des Kusses schmeckte ich eine Mischung von Rauch und Pfefferminze. Als hätte er sich nach dem Rauchen einen Kaugummi in den Mund gesteckt, um den Geruch zu überdecken. Komisch, aber der Geschmack gefiel mir. Es machte ihn noch attraktiver.
Doch dieser Kuss wurde von einem Räuspern unterbrochen. Geschockt löste ich mich und blickte in die Augen meines Vaters. Er sah irgendwie enttäuscht aus. Jorge war sichtlich überfordert mit der Situation und wusste nicht, wohin er gucken sollte. Papa schüttelte den Kopf und humpelte davon. Er war ja schließlich nicht so gut zu Fuß. Ich hüpfte von Jorges Schoß und rannte ihm hinterher.

"Papa!", rief ich. Langsam drehte er sich zu mir um. Mittlerweile standen wir auf der kleinen Einfahrt unserer Hauses. Ja, hier ist alles klein. Die Einfahrt, das Haus, unser Auto. Einfach alles.
"Tini, du weißt genau, was ich von Männern halte", meinte er. Ich glaube, er ist in irgendeinem Zeitalter hängengeblieben, in dem die Frauen erst nach der Hochzeit küssen dürfen oder so. "Aber ich muss auch mal an mich denken. Du weißt gar nicht, wie wenig Freizeit ich zwischen der Schule und den ganzen Jobs habe!", schrie ich zurück. Ich hatte mich in den letzten Jahren nie mit meinem Vater gestritten. Klar, er ist alt und vielleicht sollte man alte Menschen nicht anschreien. Aber ich sah in dem Moment keinen anderen Ausweg. "Wenn ich dir solch eine Last bin, kannst du ja mit ihm durchbrennen! Ich komme schon alleine klar", schimpfte er. "Gut!", schrie ich und ging zurück ins Haus. Ich stampfte in mein Zimmer und schmiss mich ins Bett. Ich wollte gerade echt niemanden sehen.
Nach einiger Zeit legte Jorge sich einfach neben mich und nahm mich wortlos in seine Arme.
Doch nach drei Stunden war Papa immer noch nicht wieder zu Hause. So langsam machte ich mir Sorgen. Er war immerhin ein verwirrter, alter und pflegebedürftiger Mann. Wie konnte ich ihn überhaupt alleine draußen lassen? "Jorge, wir müssen ihn suchen", flüsterte ich.

*JorgePOV*

Martina und ich hatten uns aufgeteilt, damit wir ihren Vater schneller finden konnten. Mir ist das Ganze schon sehr unangenehm. Jetzt hasst er mich und weiß noch nicht mal, dass ich damals seinen geliebten Laden überfallen habe. Wenn er das herausfindet, bringt er mich um. "Ey, Jorge!", rief jemand hinter mir, als ich gerade den Park passierte. "Rugge! Ich hab dich ja total vergessen", meinte ich. Das hatte ich wirklich. "Das fällt dir ja früh auf, man. Jetzt brauche ich aber eine gute Entschuldigung, wieso du nicht auf Anrufe oder Nachrichten reagierst." "Äh, weißt du... Ich habe gerade anderes zu tun", stotterte ich. "Ach ja. Endlich Martina flachlegen oder was?", scherzte er. Oh, er hatte ja genau ins Schwarze getroffen. "Das ist nicht dein Ernst, Jorge", meinte er, als er meinen Gesichtsausdruck sah. "Sie hat sich um mich gekümmert, ok?", rechtfertigte ich mich. "Ich fasse es nicht! Wie kannst du sie nach all dem was passiert ist vögeln? Hast du nicht einen Funken Anstand?" "Ich liebe sie! Und aus genau diesem Grund tue ich das. Sex ist doch immerhin ein Zeichen der Liebe, oder nicht? Warst du es nicht immer, der mir das früher gesagt hat?" Ich sah, wie er überlegte. Er wollte sich ebenso wenig mit mir streiten, wie ich mich mit ihm. "Du hast recht. Aber wo warst du, nachdem du mich im Supermarkt hast stehen lassen?" Ich erzählte ihm, dass ich mich betrunken hatte und dann bei Tini im Wohnzimmer aufwachte. "Sie muss sich ja echt Sorgen um dich machen", stellte er fest. Da hatte er recht.

Wir verabschiedeten uns und ich machte mich weiter auf die Suche. Wie weit kann ein alter Mann schon kommen? Aber die Suche entpuppte sich als endlos.

Nach einer weiteren halbe Stunde hatte ich gefühlt sechs Mal den Park durchlaufen und machte mich auf den Weg in die Innenstadt. Dort traf ich auf Tini. "Sag mir bitte, du hast ihn gefunden", bettelte sie verzweifelt. "Er ist nicht im Park. Dort habe ich wirklich jedes Fleckchen abgesucht. Tut mir leid"; erklärte ich. Sie schlug sich die Hände vor die Stirn und meckerte: "Ich bin so blöd. Wie kann mir ein Mann, der nicht alleine klarkommt, nicht gut zu Fuß ist und dazu noch ziemlich verwirrt , verloren gehen?" "Das ist nicht deine Schuld, Tini. Du brauchst auch mal eine Auszeit", beruhigte ich sie. "Vielleicht gefällt dir die Idee nicht, aber wieso schickst du ihn nicht in ein Altenheim? Dort wird sich gut um ihn gekümmert und er ist unter Menschen, die ähnliche Probleme haben wie er." "Und woher nehme ich das Geld?" Gutes Argument. Aber sie macht so viel durch, nur weil sie sich so stark um ihren Papa kümmern muss. Sie sollte ihr Leben leben. Sie hatte bestimmt nicht mal eine erfüllte Kindheit. Na ja, hatte ich auch nicht. Aber ich hätte sie haben können. Sie konnte keine haben. Das war ein gewaltiger Unterschied.
"Guck mal, da!", meinte ich und zeigte auf einen Mann, der auf einer Bank saß und einfach nur die Leute beim Vorbeigehen beobachtete. "Papa!", rief sie und lief zu ihm. "Jorge, würdest du Papa einen Tee holen? Irgendwas, damit er sich aufwärmen kann?" Ich nickte.
Es war Herbst. Meine Lieblingsjahreszeit. Kein Wunder, dass ihr Papa friert, wenn er sich keine Jacke überzieht. Ich ging ins nächste Café und stellte mich in die endlos lange Schlange. Zum Glück hatte ich noch Geld von dem Überfall damals. Aber irgendwie fühlte ich mich mehr als schlecht, damit zu bezahlen. Doch jetzt blieb mir nichts anderes übrig.
"Wenn das nicht unser guter Kumpel Jorge ist", erklang es plötzlich hinter mir. Ich drehte mich um und blickte in die Gesichter meiner alten Gang. "Siehst ja richtig gut aus", spotteten sie. Dann tauchte Nick hinter ihnen auf, der bis letztens noch im Gefängnis gesessen haben muss. "Ich glaube wir haben noch so einiges zu besprechen", meinte er sauer.

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