Joshua wich die ganze Zeit nicht von meiner Seite. Unsere Gespräche beliefen sich auf Nebensächlichkeiten, die ich eigentlich wissen sollte.
Welche neuen Sternchen auf dem roten Teppich herum stolzieren, welche Serien ihr abruptes Ende fanden oder welche Krisen die Welt erschüttert haben.
Welche entfernten Verwandten gestorben sind, was aus meinen ehemaligen Freunden geworden ist und wie, um Himmels Willen, ich auf die Idee gekommen bin, mir ein Pony schneiden zu lassen.
Schon zwei Tage später, darf ich das Krankenhaus verlassen.
Matt hat sich nur einmal kurz bei meinem Bruder gemeldet. Er solle mich nach Hause fahren und würde sich dann um mich kümmern, was ich allerdings stark bezweifle.
Ich drücke Dr. Howards Hand, bedanke mich, für seine Mühen und folge Joshua schließlich nach draußen.
Ich setze mich auf den Beifahrersitz eines geliehenen Volvo und beobachte meinen Bruder beim Autofahren. Sein Blick ist stur auf die Straße gerichtet und er umklammert das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervor treten.
,,Du fährst nicht gerne, oder?"
Ich lehne meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe.
,,Würdest du gerne fahren, wenn deine Eltern mit einem Auto gegen einen Baum gefahren sind und dein bester Freund von einem Auto auf die Haube genommen wurde?"
Ein Gefühl, wie ein Blitzschlag, durchzuckt meinen Körper. Ich sehe erneut die junge Frau aus der Boutique. Sie sitzt auf einem teuren Ledersessel und schaut die Nachrichten. Es geht um einen Jungen namens Steve Martin der angefahren wurde. Er starb noch am Unfallort. Die Frau greift nach dem Telefon, stockt und legt es wieder weg. Auf dem Display leuchtet Joshuas Nummer auf.
Ich seufze. ,,Halt an."
Mein Bruder mustert mich, als würde ich ihn bitten von einer Brücke zu springen.
,,Aaaaaaaanhalten", wiederhole ich ruhig.
Er gehorcht. ,,Und jetzt tauschen wir Plätze."
Bevor er sich beschweren kann, bin ich bereits ausgestiegen und um den Wagen herum gelaufen.
,,Hopp jetzt." Ich scheuche Joshua, mit den Händen fuchtelnd, vom Fahrersitz.
Wiederwillig schnallt er sich ab.
,,Keine Angst. An meine Führerscheinprüfung kann ich mich noch erinnern", beschwichtige ich ihn.
Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss herum und stemme mein Fuß aufs Gaspedal.
Während Joshua sich in der vorbeirasenden Landschaft verliert, versuche ich den Weg nach Hause zu finden. Das fällt mir erstaunlicherweise ziemlich leicht. Jedes Mal wenn der Weg sich gabelt oder eine Kreuzung auftaucht, folge ich meinem Bauchgefühl. Sicher biege ich ein paar mal rechts und ein paar mal links ab. Nicht ein einziges mal zögere ich. Irgendeine unsichtbare Hand scheint mich zu lenken und dann stehe ich auch schon vor meinem Haus.
Joshua öffnet den Mund, - wahrscheinlich und sich zu verabschieden - doch ich lasse ihn nicht zu Wort kommen.
,,Denk gar nicht dran! Du lässt mich nicht mit diesem Psychopathen allein!"
,,Der freundliche Herr Doktor hat gesagt, du sollst dich so bald wie möglich in deinen normalen Alltag eingliedern. Und zu diesem, ach so normalen, Alltag gehört nun mal dein Zukünftiger. Du wirst ihn bestimmt ganz liebreizend finden."
Er grinst schief.
,,Glaubst du ich war nur auf sein Geld scharf?"
,,Nein. Ich denke du hast einen dicken Dickkopf! Du wolltest irgendwem irgendetwas beweisen und hast dich schließlich in Lügen und Behauptungen verstrickt."
Ich senke den Blick. Das hatte ich nicht hören wollen.
,,Kommst du trotzdem mit rein?"
Ich ziehe eine Schnute und Joshua wirft lachend seinen Kopf in den Nacken.
,,Ich kenne dich lange genug, Schwesterherz, um zu wissen, dass ich, wenn ich mit rein komme, nicht mehr hinaus kommen werde. Aber von mir aus."
Hand in Hand, gehen wir auf die Haustür zu. Sie ist aus kaltem Metall und lässt keine heimeligen Gefühle aufkommen. Selbst der Schriftzug Home Sweet Home kann daran nichts ändern.
,,Home Sweet Home", zitiert mein Bruder.
Als ob ich nicht lesen könnte!
,,Willst du mich aufziehen?"
,,Kann sein..."
Die Tür geht auf und Matthew tritt heraus. Überschwänglich wirft er die Arme in die Luft und ist mir plötzlich viel zu nah.
,,Joshy!", rufe ich ihn um Hilfe. Er schiebt sich sofort zwischen Matthew und mich, sodass ich wieder frei atmen kann.
Mein Verlobter bedenkt meinen Bruder mit einem recht angewiderten Gesichtsausdruck.
,,Was willst du?"
,,Ich habe ihn gebeten mich zu begleiten", beschwichtige ich Matt.
,,Das hast du gemacht?" Er starrt mich an. Geschockt, irritiert und bestürzt.
Das verstehe ich nicht.
,,Hat er dir nichts erzählt?"
Ich schüttel den Kopf. Darüber wirkt Matthew keineswegs überrascht.
Joshua hingegen windet sich wie ein Aal. Die Situation scheint ihm mehr als nur unangenehm zu sein.
,,Du hättest es ihr sagen können, aber du hast sie ja im Stich gelassen!" Ich merke auf der Stelle, dass mein Bruder nur, um das eigentliche Thema, herumkommen will.
,,Ich musste arbeiten! UPS! Sry, das kannst du schließlich nicht nachvollziehen."
Mein Bruder spannt jede Faser seines Körpers an.
Ich kenne ihn dann doch zu gut um einfach dumm rum zu stehen. Ich stelle mich vor ihn und lege ihm sanft eine Hand auf die Brust.
,,Hey. Denk nicht mal dran." Ich fixiere ihn mit meinen Augen. ,,Was ist los?"
Joshua funkelt Matt wütend an.
,,Du hasst ihn! Seit drei Jahren hast du kein Wort mehr mit ihm gesprochen!", ruft dieser und mein Bruder flippt aus. Nur unter größter Anstrengung, kann ich ihn davon abhalten Matt eine zu verpassen, welcher mir wirklich keine große Hilfe ist.
,,Er ist ein Dieb und ein Schläger! Mit so jemanden solltest du dich nicht abgeben!", plärrt er.
,,Wenn du jetzt auf ihn los gehst, Joshy, dann bestätigst du nur diesen Müll. Bitte... Für mich."
Joshua gibt nach, doch nicht auf.
,,Ich sollte gehen."
Damit wird mein schlimmster Albtraum war. Ich klammere mich an ihm fest.
,,Nein, nein, nein. Bleib hier, bitte", nörgel ich wie ein kleines Kind, doch er verlässt mich trotzdem.
Verdammt angefressen, beleidige ich Matt auf das Übelste und schiebe ihn anschließend aus dem Weg, damit ich ins Haus gehen kann.
Ein starkes Déjà-vu-Gefühl erobert mein Herz, als ich mit den Fingerspitzen über die kunstvolle Verzierung einer langen, gewundenen Holzteppe fahre.
Ein Déjà-vu-Gefühl. Kein heimeliges Wohlgefühl.
,,Wenn wir verlobt sind... Warum trage ich dann keinen Ring am Finger?", springe ich ins kalte Wasser.
Matt strahlt wie ein Honigkuchenpferdchen. Er eilt durch einen Torbogen ohne Tor, bei dem ich auf der anderen Seite das Wohnzimmer vermute und kommt mit einem dunkelroten Seidenkissen zurück. Auf ihm ist ein Ring gebettet.
Tausende Erinnerungen strömen auf mich ein, doch wirklich zuordnen kann ich sie nicht.
Ich sehe die junge Dame, - übrigens, damit meine ich mich - wie sie den Klunker zwei Frauen präsentiert. Im Hintergrund ein Pferdestall. Ich sehe die junge Dame, wie sie Matt um den Hals fällt und ihn abschlabbert als wäre sie ein hungriger Köter. Und ich sehe sie, wie sie den Ring, grübelnd und mit Tränen in den Augen, hin und her dreht.
Ich schüttel den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben.
,,Komm mir mit dem Ding bloß nicht zu nah!", fauche ich bissig.
Matts Mundwinkel senken sich langsam.
,,Zeigst du mir das Haus? Danach will ich nur noch schlafen."
Ich bin unglaublich erschöpft.
Vom rustikalen Flur aus gibt es drei Wahlmöglichkeiten. Rechts, links oder nach oben.
Rechts ist nur das, mit lackschwarzen Luxusmöbeln ausgestattete, Wohnzimmer und zwei kleine Stahltüren, die zur Garage und zur Terasse führen.
Links geht es zum Esszimmer - ebenfalls, mit teuren Luxusmöbeln ausgestattet - und zu einer kaum benutzten Einbauküche. Dahinter ein zweites, kleineres Esszimmer und das Bad samt Whirlpool. Von da aus führt ein ewig langer, einfarbiger Flur zu unserem Schlafzimmer.
Hellblaue Wände, Holzfußboden mit molliger Fußbodenheizung und sterile, weiße Gardinen. Ansonsten ist in dem großen Raum nur noch ein niedriges Regal, darauf eine Lampe und ein Wecker.
Ich mache ruckartig kehrt und suche lieber den Keller. Es gibt keinen Keller.
Schließlich mache ich mich an den Aufstieg der verdrehten Holztreppe. Sie führt in zwei nebeneinander liegende Arbeitszimmer. Eines gehört, mit all den Akten, Ordnern und Schreibtischen, sehr wahrscheinlich einem Anwalt. Das andere ist, mit all den Skulpturen, Modellen und selbstgemalten Bildern, wohl für einen Künstler oder eine Künstlerin ausgelegt.
Das eine ist das Zimmer von Matt, das andere ist das Zimmer von mir. Leider erkenne ich keines der Werke wieder.
,,Und was ist da oben?"
Ich zeige auf die weiterführende Treppe, welche nach oben hin gefährlich schmal wird.
,,Der Dachboden. Damals hast du dich oft dorthin verzogen."
Matt lässt mich alleine hinauf klettern; er hat Angst sich zu verletzten. Ich könnte kotzen, hebel stattdessen aber die Klappe auf. Sie quitscht jämmerlich.
Der Dachboden ist voller Gerümpel. Katons, Kisten, Kinderspielzeug, Bücher, Zeitschriften, alte Klamotten, geschrottete Lampen und Lampenschirme. Eine dicke Staubschicht bedeckt das ganze Zeug und der Lichtschalter funktioniert nicht. An dem einzigen Fenster steht eine dunkelbraune, billig aussehende Couch. Allerdings wirkt sie auch unbeschreiblich bequem. Ich nehme mir eine, von Motten zerfressene, Flickendecke und kuschel mich mit ihr auf das dunkle Leder.
Binnen weniger Sekunden bin ich eingeschlafen.Geweckt werde ich von einem Hund. Ein kleiner Mischling mit struppig blondem Fell, leidendem Gesichtsausdruck und stinkendem Mundgeruch. Er hüpft zu mir auf die Couch und macht es sich auf meinen Beinen bequem.
,,Na Filou?" Ich kraule ihn hinter den Ohren.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen aufzustehen, greife ich nach dem erstbesten Buch in all dem Gerümpel.
Kein Ort ohne dich von Nicholas Sparks. Obwohl ich gerade größere Lust auf Sinn und Sinnlichkeit habe, beginne ich zu lesen. Der Rücken ist gebrochen, die Seiten sind völlig abgegriffen und die Ecken angeschlagen. Jedes Mal wenn ich umblätter, vergesse ich das zuvor ins Gehirn gehauene. Nachdem ich also zum achtzehnten Mal über die erste Seite gestrichen habe, lege ich das Buch wieder weg und knuddel lieber mit meinem Hund.
Der lässt sich das jedoch keine Minute gefallen und springt in einem hohen Bogen von der Couch. Anschließend schlittert er mit mir im Schlepptau die steile Holztreppe hinunter.
Die untergehende Sonne strahlt durch die Scheibe des Panoramafensters und wärmt meinen Rücken, während ich am großen Esstisch Platz nehme. Mir gegenüber sitzt Matt.
Er schiebt mir seinen Teller entgegen; darauf ein in Blut ertränktes Steak und Salat.
Ich stocher mit einer Gabel auf dem Porzellanteller herum. Ein dicker Klos bildet sich in meinem Hals.
,,Hast du keinen Hunger?" Matt legt - schon irgendwie süß - den Kopf schief.
,,Ich bin doch Vegetarierin...", erkläre ich ziemlich unsicher.
,,Das ist schon Jahre her."
,,Oh... Ich esse trotzdem lieber nur den Salat."
Matt nickt. ,,Das ich, als du im Krankenhaus warst, nicht für dich da war, tut mir leid."
Vielleicht ist er doch kein ganzer Idiot und ich bin auch nicht ganz bescheuert...
Wir essen schweigend.
,,Joshua hat angerufen. Er möchte dir morgen was zeigen", zerschneidet die Stimme meines Verlobten die angenehme Stille.
,,Was denn?", frage ich kauend.
,,Hat er nicht gesagt."
,,Aber du denkst es dir."
Ich sehe es in seinen Augen. Ich sehe etwas, kann aber nicht genau erkennen was. Sorge? Enttäuschung? Wut?
,,Ja."
Selbst wenn ich weiter stochern würde, würde er mir keine richtige Antwort geben. Da bin ich sicher. Also spreche ich ein neues Thema an.
,,Wo ist eigentlich Cherry?"
,,Wer, bitte?" Verwirrt fasst er sich an die Stirn.
,,Cherry. Die Katze."
,,Welche Katze?" Jetzt glotzt er mich an, als hätte ich gesagt, ich wäre der Kinder bringende Storch.
Ich wühle mein Handy aus der Hosentasche und suche in der Galerie nach einem Bild der Gesuchten. Ich finde nicht ein einziges.
,,Gest... Vor fünf Jahren, habe ich eine Katze anstatt einem Hund gehabt. Sie hatte eine Fellfarbe die meiner Haarfarbe ähnelt und war damals noch sehr jung. Cherry."
,,Ach, das Vieh! Ähm... Tier. Das hast du, schon ein paar Wochen nachdem wir uns kennengelernt haben, gegen den Hund eingetauscht", klärt er mich endlich auf.
,,Wo eingetauscht?"
Jetzt bin ich der Kinder bringende Storch und der Osterhase.
,,Na, im Tierheim. Wo denn sonst?"
,,Warum!?"
Er zuckt die Schultern.
Mein Herz zieht sich zu einer winzigen, verschrumpelten Rosine zusammen.
,,In welches Tierheim habe ich sie gebracht?"
,,Das um die Eck-"
,,Kannst du mir deine Autoschlüssel leihen?"
Bevor er antworten kann, bin ich schon zur 'Schlüsselschüssel' gerannt und habe mir, aus einer Ahnung heraus, den obersten gegriffen.
Ich flüchte in die Garage, fahre das Tor nach oben und frage mich währenddessen, warum ich keinen eigenen Wagen habe.
Beinahe blind manövriere ich die Einfahrt hinunter und halte schließlich suchend Ausschau.
Ich komme gerade noch rechtzeitig. Eine hübsche Blondine möchte nämlich gleich abschließen.
,,Könnten Sie mir sagen ob eine bestimmte Katze hier abgegeben wurde oder habe Sie so eine Art Schweigepflicht?"
Sie lacht glockenhell. ,,Kommt drauf an."
,,Vor ungefähr fünf Jahren habe ich eine rostrote American Shorthair, namens Cherry, hier gegen einen Dackel-Terrierer-Mischling getauscht. Mein Name ist Charisma Rose. Ich möchte die Katze gerne zurückhaben."
Die hochgewachsene Blondine sucht eine Zeit lang in ihrem Computer und nickt dann bedächtig.
,,Ja. Charisma Rose und Matthew Jones. Die Katze wurde erst vor wenigen Monaten vermittelt. Ich darf Ihnen leider nicht sagen an wen."
Plötzlich stehe ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
,,Aber ich kann dem neuen Besitzer eine Anfrage zukommen lassen. Dann könnten Sie sie besuchen."
Ich grinse sie an. ,,Danke."
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Our Second Chance
Teen FictionRoman: Charisma und Patrick haben in ihrem gesamten Leben nur einen einzigen wirklich schweren Fehler gemacht. Sie haben beide für den anderen entschieden. Und sie haben diese Entscheidung nicht im Vorteil für sich getroffen. Sie haben nur an den an...