Weil ich dich liebe!

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Ein stetiges, unregelmäßiges Pochen reißt mich aus meinem Zuckerwatte-Pony-Traum.
Ich stöhne, ziehe mir mein flaches Kissen über den Kopf und rolle mich ein Stück nach links, um nicht von der Couch meines Bruders zu fallen. Irgendwann sticht mich etwas Spitzes in die Seite und ich quieke laut auf. Mit geschlossen Augen schlage ich mit dem Kissen um mich.
,,Verdammt noch mal! Cara! Ich wollte doch nur, dass du an die Tür gehst!", lacht Joshua.
Als ich über meine Schulter schiele, kann ich sehen, dass er einen langen Löffel in der einen Hand und sein Müsli in der anderen hält.
,,Das ist bestimmt Kate... Wimmel sie ab! Im Frauen verscheuchen bist du doch 1A!", stichel ich und bekomme sogleich ein zweites mal die schlanke Seite des Löffels zwischen meine Rippen gehauen.
Während Joshua seine inzwischen leere Schüssel auf der Anrichte abstellt und zur Tür geht, besehe ich mir die Wanduhr näher. Sie ist stehengeblieben.
Seuftzend stoße ich mich von der Couch ab und fliege in hohem Bogen auf den nackten, kalten Boden, wobei ich fast auf dem schnarchenden Filou lande.
,,Alles okay bei dir?", plärrt Joshua durch die Wohnung.
,,Klar", jaule ich und halte mir mit hochroten Wangen das Knie. ,,Die Couch hat nur endlich genug von mir."
Ich hinke zur Anrichte und ziehe aus dem kleinen Kühlschrank das einzig vorhandene Kühlpack hervor. Still lausche ich dem Lachen an der Tür, die irgendwann wieder ins Schloss fällt. Ich warte, aber mein Bruder kommt nicht zurück.
,,Yey!", maule ich sarkastisch und lange nach meinem Handy, das an Joshuas Aufladegerät hängt und doch tatsächlich 99% anzeigt, obwohl es die ganze Nacht über geladen hat. 10.23 Uhr.
Ich stopfe zwei Ladungen Müsli in mich hinein, ziehe mich gescheit an und frage dann den Nachbarn, der, wie ich aus vertraulichen Quellen weiß, auch in die Stadt muss, ob er mich doch ausnahmsweise mitnehmen wolle, da mein Mottorad noch - wortwörtlich - in der Boutique steht.
Er willigt ein, schließlich sind wir uns ja nicht unbekannt und wirft mich am GAZ raus. Ich bedanke mich mit einem freundlichen Grinsen und begebe mich auf den Weg zu meinem Laden und all den Kisten und Katons, die heute noch unbedingt ausgeräumt werden müssen. Ich komme nicht weit. Noch bevor ich das Messer an die Pappe gesetzt habe, um sie gnadenlos aufzuschlitzen, ertönt das allzu bekannte Klopfgeräusch.
Ich wirbel herum und wünsche mir noch im gleichen Moment, dass ich es nicht getan hätte. Hinter der Glastür mit dem zweifarbigen Rahmen steht Patrick. Zu seinen Füßen steht mein babyblauer Koffer und auf dem Arm hat er eine rostrote American Shorthair, der es überhaupt nicht gefällt, getragen zu werden.
Ich wende mich wieder dem Katon zu, doch das Klopfen will nicht verklingen. Also schreite ich geradewegs auf die Tür zu... und lasse die Schalusie herunter. Da die Elektrik spinnt, muss ich das von Hand erledigen.
Doch Patrick gibt nicht nach. Er stellt sich einfach vor das erste Fenster und rammt seine Faust bedenkenlos weiter gegen das brüchige Glas. Als ich auch diese Schalusie klappernd und scheppernd herunterlasse, positioniert er sich mit einer flehenden Mine vor Fenster Nummer zwei.
In dem Moment in dem ich Anstalten mache auch die letzte Scheibe zu verdunkeln, beginnt er seinen Mund auf und zu zumachen, als würde er sprechen.
,,Haha. Lustig. Als ob ich den Laden so billig bekommen hätte, wenn hier wirklich Schallschutzglas drin wäre", beschwere ich mich bei ihm, lasse aber von der Schalusie ab.
,,Bitte Cara. Es ist eiskalt. Meine Finger sind schon blau." Patrick hält seine freie Hand in die Höhe, doch ich reagiere nicht. ,,Sieh doch nur wie die Katze zittert."
Er hebt Cherry ein Stück hoch, die sofort anfängt wild um sich zu kratzen.
Seuftzend gebe ich nach und öffne die Tür. Cherry hat sich unterdessen aus Patricks Griff gekämpft, springt nun von seinem Arm und rettet sich an meinen Beinen vorbei ins Warme.
,,Ich habe deinen Koffer mitgebracht."
,,Toll. Ich musste mein Handy die letzten Tage mit dem Ladegerät meines Bruders aufladen", knurre ich feindselig und wühle in der oberen Tasche des Koffers herum, um endlich wieder meinen Schatz in Besitz zu nehme. Wie Gollum seinen Ring in 'Herr der Ringe' an sich presst, so halte ich mein Ladegerät, obwohl ich die Tage eigentlich auch ohne Handy zurecht gekommen wäre. Nicht sonderlich gut, aber ohne große Probleme.
,,Was willst du!", fauche ich. Ich formuliere es absichtlich nicht als Frage.
,,Ich habe gedacht, wenn ich dir das mit der Katze erzähle, hältst du mich für bekloppt oder für einen Stalker oder so was! Ich wollte sie dir nicht wegnehmen, ich wollte nur nicht, dass sie am Ende noch eingeschläfert wird", erklärt mir Patrick und ich habe das Gefühl mein Herz würde in tausend Einzelteile gehackt. Ich drehe mich um und werde von breiten, starken Händen zurück gedreht.
,,Es tut mir leid, okay! Ist es das was du hören willst? Es! Tut! Mir! Leid!"
Vor Wut schnaubend schüttle ich meine Schultern, damit er mich loslässt. Vergebens.
,,NEIN! VERDAMMT NOCH MAL! DAS IST NICHT WAS ICH HÖREN WILL!" Meine Stimme überschlägt sich und ist zum Schluss kratzig und rau. Ich unterdrücke ein Räuspern.
,,WAS WILLST DU DENN HÖREN!?" Patrick spricht leiser als ich. Aber immer noch laut genug, dass ich zusammenzucke. Er deutet mein Verhalten falsch und lässt mich los. Anscheinend denkt er, er hätte mir weh getan. Von mir aus!
Ich drücke den Rücken durch, um größer zu wirken.
,,Dass die Gerüchte nicht wahr sind! Dass du Kyla immer noch heiraten willst! Dass ihr vorhabt ein Kind zu bekommen! Such dir was aus!" Die Tränen kommen und ich kann sie nicht aufhalten.
Einerseits beruhigen mich meine Worte. Sie scheinen Balsam für meinen Geist und meine Seele zu sein. Mein Verstand schlägt bestimmt schon Saltos. Ich will keine von diesen Schlampen sein, die sich ihres eigenen Glücks bemächtigen,
indem sie sich an verheiratete Männer ranschmeißen.
Andererseits fahren meine Worte durch meine Haut, meine Muskeln und meine Knochen und zerfleischen mein Herz auf das Schlimmste. Ob ich es mir nun eingestehen will oder eben nicht, ich liebe Patrick nicht nur. Ich liebe ihn seid ich das erste mal in seine geheimnisvollen, dunkeln Augen geschaut habe. Und ich werde ihn immer lieben. Daran besteht kein Zweifel. Schließlich war ich bereit ihn aufzugeben, damit zumindest er glücklich wird. Wenn mich in Zukunft jemand fragt, was ich unter wahrer Liebe verstehe, dann werde ich antworten, dass wahre Liebe bedingungslose Liebe ist.
Patrick seufzt und fährt sich durch sein vom Wind zerzaustes Haar.
,,Das kann ich nicht sagen..."
Er scheint seine arrogante, selbstsichere Maske vor meiner kleinen Boutique liegen gelassen zu haben. In jenem Moment wirkt er so verletzlich wie ich ihn noch nie zuvor erlebt habe.
Ich blicke zu Boden, wische mir die Tränen von den Wangen und frage ihn: ,,Warum nicht?"
Er schweigt.
Ich beiße kurz und schmerzvoll die Zähne aufeinander und recke das Kinn vor. Er soll nicht merken wie schlecht es mir in Wirklichkeit geht.
,,Warum nicht!? Warum kannst du nicht einfach so tun, als wäre ich noch immer die Cara, die ich vor dem Unfall war. Hochnäsig, aufgeblasen und eitel. Oder noch besser! Warum kannst du dir nicht einfach vorstellen, dass mich der Gaul umgebracht hat! Warum kannst du nicht endlich einsehen, dass-"
,,Verdammt noch mal, Cara!! Weil ich dich liebe!!" Seine Schultern beben und seine Lippen zittern wie Espenlaub. In seinen Augen glitzern einzelne Tränen und ich verspüre einen unglaublichen Drang, der mich zu überreden versucht Patrick fest an mich zu drücken und nie wieder los zu lassen. Doch mein Hirn ist völlig damit beschäftigt seine Worte zu verarbeiten. Diesen einen Satz, der meine Welt in Sekundenschnelle auf den Kopf gestellt hat.
Weil ich dich liebe.
Ich liebe dich.
Und mein Herz antwortet ohne gefragt zu sein:
Ich liebe dich auch.
Mein Verstand hingegen schlägt mit aller Kraft gegen meine Schädeldecke und droht sie niederzureißen. Mein Mund ist plötzlich staubtrocken, während sich in meinem Nacken die Schweißtropfen sammeln.
,,Ich verliebe mich mit jedem Atemzug neu in dich und selbst wenn ich irgendwann aufhöre zu atmen, werde ich dich weiter lieben. Ich liebe dich, seid du mir bei unserer ersten Begegnung dein Haar ins Gesicht geworfen hast. Ich liebe dich, seid ich das erste mal deine kalte Haut auf meiner spüren durfte. Ich liebte dich auch, als du bösartig und blind durch die Welt getaumelt bist, einfach weil ich dich bedingungslos liebe. Und ich werde dich immer lieben. Weil ich mich jedes mal, wenn ich dein Lachen höre, dein Lächeln sehe oder dein billiges Parfüm rieche, neu in dich verliebe. Aus diesem Grund werde ich niemals aufhören können dich zu lieben. Du könntest mir jeden Morgen aufs neue das Herz brechen; es mir aus dem Leib schneiden und es zerquetschen. Weißt du warum du das könntest? Weil dir mein Herz gehört. Es gehört dir schon seid... immer."
Zuerst bringe ich keinen anständigen Laut über meine Lippen, bis sich im selben Augenblick mein Herz, mein Verstand und meine Seele einig sind.
,,Geh...", flüstere ich.
Patrick blinzelt irritiert. ,,Cara ich-"
,,Bist du schwerhörig!? Verschwinde!!"
Und er verschwindet. So schnell wie er gekommen ist.
Mit dem Rücken lehne ich mich gegen die verdunkelten Fenster. Irgendwann brechen meine Beine unter mir zusammen und ich rutsche unkontrolliert zu Boden. Weinend und schluchzend ziehe ich meine Knie an und schlinge die Arme darum. Mir ist plötzlich so unglaublich kalt.
Ich reibe meine nackten Oberarme und vergrabe mein Gesicht zwischen meinen Oberschenkeln. Vor Wut bekomme ich kaum Luft.
Wie konnte er mich nur so überrennen? Warum hat er mir seine Liebe nicht schonender gestanden? Warum hat er sie mir überhaupt gestanden? Wie konnte er mir das antun? Wie konnte er Kyla das antun?
Meine Finger verkrampfen sich und klemmen die Blutzufuhr zu meinem Unterarm ab. Bibbernd sitze ich da und heule mir die Augen aus dem Kopf. Mein Körper scheint mich völlig im Stich zu lassen, denn mit einem Mal habe ich keine Kontrolle mehr über ihn. Ich spüre nur eisige Kälte in meinen Adern, anstatt warmen, flüssigem Blut.
Mein Herz hat sich ganz verabschiedet. Es hat sich aus meiner Brust gesprengt und ist davongelaufen. Patrick hinterher.
Ich habe das Gefühl meine Tränen frieren auf meinen roten Wangen und das meine Hände langsam absterben. Mein Hirn pocht ununterbrochen gegen meine Schädeldecke und meine Gedanken drehen sich nur noch um Patrick. Es fühlt sich komisch an nichts außer Kälte zu fühlen, während einem plötzlich hunderte... tausende Erinnerungen, Gefühle und Vorstellungen durch den Sinn gehen. Man versucht verzweifel zu verstehen, warum derjenige das getan, das gesagt hat und kommt dann nur auf den Gedanken zurück, dass man am liebsten einfach nur ,,Ich liebe dich auch!" sagen würde. Doch tief in mir drin ist etwas, dass sich dagegen wehrt. Dass mir einredet es sei falsch. Ich solle mich zusammenreißen und nicht zu der zickigen, stolzen Rose mutieren, die ich vor meinem Unfall war. Dieses etwas ist weder mein Verstand, noch mein Herz, noch sonst ein Organ. Ich spreche von meinem Unterbewusstsein. Mein Unterbewusstsein hat mich mit seinem unfreundlichen, aber stets aufrechten Gemüt schon einige unangenehme oder neue - oder auch beide zur gleichen Zeit - Erlebnisse meistern lassen; mir geholfen das richtige zu sagen und das richtige zu tun. Ich habe mich meinem Unterbewusstsein sogut wie immer angeschlossen. Sie war die nervige Stimme in meinem Kopf. Ich kann sie jetzt nicht einfach über Bord werfen. Es ist so unmöglich wie Cherry, Filou oder gar Patrick selbst über Bord zu schmeißen, auch wenn dann vermutlich alle meine Probleme gelöst wären.
Mein Unterbewusstsein entscheidet nicht wie bei den meisten Menschen, ob ich jemanden in den ersten Sekunden leiden kann, es beeinflusst mich. Es weißt mich auf Stärken und Schwächen hin und überlässt mir die Entscheidung. Und es ist immer ehrlich.
Also schließe ich die Augen, lausche der Stimme, die heute viel sanfter zu mir spricht, als an dem Wochenende mit Patrick an der Mondsichelbucht und lasse mich freiwillig beeinflussen.
Im Leben gibt es mehr als genügend Tiefpunkte, aber wo wären wir, wenn jeder auf der Stelle aufgeben würde?, flüstert sie ungewohnt verständnisvoll. Versagen, Trauer, Eifersucht und Hass machen uns menschlich; sie machen uns stark. Ist es nicht oft so, dass der steinigste und steilste Weg zu der schönsten Aussicht führt?
Ich seuftze, höre jedoch nicht auf zu weinen.
Stell dich nicht so an, Mädchen! Was ist schon ein gebrochenes Herz, im Gegensatz zu Armut, Krankheit und Hoffnungslosigkeit?
Ich muss der imaginären Stimme recht geben. Was ist schon ein gebrochenes Herz? Zeit heilt schließlich alle Wunden! Ich sollte mir lieber Sorgen darüber machen, dass ich mal eben mit meinem Unterbewusstsein kommuniziere wie mit einer besten, ziemlich launischen Freundin.

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