,,MATTHEW!!", donner ich und breche mit fast die Fingerknochen, als ich mit all meiner neuaufkeimenden Kraft gegen die raue Oberfläche der Tür schlage. Doch dahinter regt sich nichts.
Ich sehe mich um. Sein Auto steht vor der Garage, also gehe ich davon aus, dass er daheim ist. Vielleicht schläft er schon?
Ich schüttle den Kopf und ramme meine Faust wieder gegen das Holz. Es gibt ein berstendes Geräusch von sich, hält meiner Wut jedoch stand.
Plötzlich vernehme ich zwei aufgeregte Stimmen, die schrill und hektisch miteinander sprechen.
Im selben Moment in dem ich zum dritten Mal klopfen will, öffnet sich langsam die Tür. Ich stoße sie schwungvoll auf und habe fest vor Matthew die schlimmsten Flüche an den Hals zu wünschen, da stocke ich.
Vom Flur aus kann ich gut genug in das Wohnzimmer mit den teuren Luxusmöbeln schauen, um die Verwüstung darin zu erkennen. Die beiden Sofas sind verrückt worden, die vielen Kissen darauf liegen auf dem Boden verstreut und einige Kleidungsstücke wurden achtlos über den niedrigen Tisch und unter den Sessel geworfen. Als ich dann noch die zugezogenen Gardinen und die gelöschten Kerzen erblicke, weiß ich, dass diese Unordnung keinem Einbruch zu verdanken ist.
Matthew baut sich vor mir auf, damit ich nicht weiter ins Wohnzimmer linsen kann.
,,Was möchtest du?", fragt er in verdächtig süßem Tonfall. Verführerisch lässt er seine Hand über meinen Arm gleiten, dann zieht er mit den Fingerspitzen kleine Kreise auf meinem Handrücken.
Unauffällig hebe ich meinen Kopf etwas an und kann Matthew tatsächlich über die Schulter schauen.
,,Mir ist etwas Abscheuliches zu Ohren gekommen und du musst dieses Gerücht als Gerücht enttarnen. Du musst mir sagen ob es stimmt." Während ich rede, suchen meine Augen die hellen Holzdielen nach einem bekannten Kleidungsstück ab, dass nicht meinem Ex-Verlobten gehört.
,,Und was ist das für ein Gerücht, dass dir solche Sorgen bereitet?" Matts Stimme ist noch immer süß und schnulzig und ich muss würgen.
Doch das ist nichts gegen die Übelkeit die mich überkommt, als ich eine dünne, graue Jacke wiedererkenne, auf der in roten Lettern die Worte Physical Love prangen. Zusammen geknäult liegt sie in einer Ecke, doch die blutrote Farbe und die Anfangsbuchstaben von Physical sind kaum zu übersehen.
Zu schnell pumpe ich den Sauerstoff in meine Lungen und Adern, sodass mir ganz schwummrig wird. Ich stütze mich gegen die Wand und wende den Blick vom Wohnzimmer.
,,Wie bitte?"
Hatte Matt etwas gesagt?
Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Wie konnte sie nur! Wie konnte sie nur?
Er mustert mich kurz. Nur seinen geweiteten Pupillen verraten unter welcher Spannung er steht.
,,Das Gerücht. Erzähl mir davon", fordert er mich auf und schaut absichernd hinter sich.
,,Klar", nicke ich und habe mich wieder so weit im Griff ihm die übelsten Beleidigungen und Beschimpfungen an den Kopf zu werfen, da sehe ich das Feuerzeug. Es liegt neben der Schlüsselschüssel. Klein, neonpink und mit spitzen, weißen Herzchen. Im Stillen gebe ich Stanley recht, dieses Feuerzeug ist mehr als nur schwul.
Egal!, schall ich mich. Es geht mir darum, dass die Arbeiter nicht gelogen haben.
Der Schock, dass mein Ex-Verlobter meine kleine - noch nicht mal eröffnete - Boutique in Brand setzen wollte und es mit ihr auf einem Sofa getrieben hat, auf dem ich noch vor wenigen Wochen täglich Platz nahm, sitzt mir wie ein Stein im Magen.
Die Erkenntnis war ein Schlag und endlich wahrzuhaben was für ein schlechter Mensch Matthew ist, das ist ein Backstein. Er verletzt mich von innen heraus, reißt klaffende Wunden in meinen Bauch und droht mich auf die Knie sinken zu lassen, aber ich würde weder diesen Funken Würde abgeben, noch Matt die Genugtuung darüber verschaffen mich am Boden zu sehen.
Stattdessen recke ich trotzig das Kinn und zische undeutlich: ,,Lass mich, meine Familie und meine Freunde einfach in Ruhe mit deinen Lügen, deinem Spott und..."
Seine Finger wandern wieder meinen Arm hinauf. ,,...deiner perversen Art!!" Ich schüttel seine Hand von meinen Körper und stürme zur Tür hinaus. Die warme Luft empfängt mich und begleitet mich bis zur Straße, wo ich stockend ein- und ausatme.
Als ich kurz zurücksehe, hat Matt die Tür auch schon geschlossen.
Mit dem auffrischenden Wind und dem sanft schmelzenden Schnee, beschließe ich auf sie zu warten. Ich will mir absolut und zu hundert Prozent sicher sein, dass nicht irgendeine flotte Dirne zufällig die gleiche Jacke besitzt.
Bibbernd warte ich also auf dem Bürgersteig und setze mich schließlich, als meine Beine anfangen unkontrolliert zu zittern.
Ich umschlinge meine langen Beine und binde meine Schuhe neu. Währenddessen überlege ich was der Seitensprung für Auswirkungen auf mich haben wird. Auf mich, auf meine Freunde, vielleicht sogar auf meine Familie. Und da drängen sich wieder Dr. Howards Worte in meinen Sinn. Ich muss eingestehen, dass er recht gehabt hatte. Mit so gut wie allem... mit allem. Der Seitensprung und sie als Person sind mir egal... Sind mir ja so unglaublich egal. Noch nie fand mir etwas unwichtiger. Doch ihr Seitensprung und die damit verbundenen Konsequenzen lasten schwer auf mir. Schwerer noch als Blei. Schwerer noch als der Backstein in meinem Magen oder das Pferd, das mich vor über einem Monat ins Koma trieb. Es wiegt schwer und mein totes Herz beginnt verwirrenderweise von neuem zu schlagen. Zuerst vorsichtig und zaghaft, dann kraftvoll und in aller Stärke. Mir wird klar, dass sich mit dem heutigen Tag alle meine Probleme in Luft aufgelöst haben. Doch würde ich meinem alten Freund die Nachricht überhaupt überbringen können? Würde er mir glauben?
Eine knarrende Tür in meinem Rücken reißt mich aus meinen traurigen Gedanken. Ich drehe mich um und mein junges Herz macht einen Satz nach vorn, während mein Verstand es dafür ohrfeigt. Ich bin erstaunt, dass in meinen eigenen Körper so viel Krieg herrscht. So viel Hass und Zerstreuung. So viel nichts bringende Eifersucht und so wenig bedingungslose Liebe.
Ich richte mich auf und ziehe damit ihre Aufmerksamkeit auf mich. Geschockt blickt sie mich an, öffnet den Mund, um etwas zu sagen und schweigt dann doch.
Ihr kurzes, braunes Haar steht ihr wild und verworren vom Kopf, sie trägt ihr T-Shirt falsch herum und ihre Augen - die eben noch einen solch befriedigten Ausdruck in sich trugen - klagen mir nun flehend, aber still ihr Leid.
Die Jacke mit den roten Lettern hat sie über dem Arm. Ich kann mich noch so gut an sie erinnern, weil sie mir diese Jacke bei unserem Spaziergang überreicht hat, als die salzige Meeresluft meine Haut reizte.
Physical Love. Irgendwie passt dieser Schriftzug nicht. Weder zu mir, noch zu ihr, noch zu unserer Situation. Zu nichts und niemanden scheint er zu passen und unwillkürlich frage ich mich, was sie dazu veranlasst hat diese Jacke zu kaufen.
Wir starren uns immer noch an. Irgendwann blickt sie betreten zu Boden.
,,Warum?", frage ich tonlos und vergesse die Kälte um mich herum, den Backstein in meinem Magen und das frohlockende und zugleich weinende Herz in meiner Brust. So oft wurde es nun schon verletzt. So oft gebrochen. So oft vom Laster überfahren. Zu oft.
,,Ich kann es dir nicht sagen... Ich weiß es selbst nicht. Ich weiß nur, dass er mich, ohne einen Grund zu nennen, verlassen hat. Er ist einfach gegangen. Doch er brauchte mir keinen Grund zu nennen, denn ich wusste auch schon so warum er fortging. Der Grund warst du."
Sie betonte das 'er' stets voller Hass, Abscheu und Wut, doch als sie zum letzten Satz kam, wurde ihr Ton weicher.
Ich wusste von Anfang an von wem die Rede war. Patrick. Aber ich verstehe nicht warum sie ihm mehr Verachtung entgegenbringt als mir. Schließlich bin ich doch diejenige die Patrick ihr weggenommen hat. Gewissermaßen.
,,Dich trifft keine Schuld", flüstert sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Aber vielleicht braucht sie das gar nicht zu können, da ich doch, nach Dr. Howard, ein offenes Buch bin. ,,Du hast dich von Anfang an bemüht mir deine Schönheit und Eleganz nicht unter die Nase zu reiben. Du warst freundlich, auch wenn du keinen Grund dazu hattest. Du hättest Patrick aufgegeben. Vielleicht nicht für mich, aber mit Sicherheit für ihn. Dich trifft keine Schuld. Du wolltest das Richtige tun... Der Unfall hat dich verändert."
Eine Träne rollt über ihre Wange und im gleichen Augenblick landet ein Regentropfen in meinem von roten Haaren verdeckten Nacken.
,,Wie passend", haucht sie und ich habe Mühe sie zu verstehen. Plötzlich schaut sie mir direkt in die Augen und mein dummes, naives Herz hört sofort auf herumzuhüpfen. Ich sehe in ihnen so viel Kummer und Schmerz, das es mir die Kraft zum nachdenken raubt. Also höre ich nur zu.
,,Wenn ein Mann einer Frau das Eheversprechen gibt", schluchzt sie leise. ,,Sagt man da nicht: Wie in Krankheit und Gesundheit? Der Mann verspricht für immer an der Seite der Frau zu bleiben. Sie für nichts auf der Welt zu verlassen... Als wir heirateten fragte ich ihn, ob er dich hintersich gelassen hat. Ob er dich vergessen hat. Oder über dich hinweg ist... Ob er bereit ist seine Zukunft mit mir zu verbringen..." Sie schnieft undamenhaft und wicht sich mit ihrer grauen Jacke über das feuchte, aufgeqollene Gesicht. ,,Weißt du, was er gesagt hat?"
Ich schüttle den Kopf und mache unbeholfen einen Schritt auf sie zu. Ihre Schultern beben und ich lege beruhigend eine Hand auf ihre Gänsehaut.
,,Er sagte- Er sagte, dass er dich nie vergessen wird. Dass es einfach unmöglich ist, dass er mich aber liebe. Und er versicherte mir, bis zum Tod an meiner Seite zu sein... Er hat sein Versprechen nicht nur gebrochen, er hat mich im Stich gelassen. Seine Ehefrau für eine winzig kleine Chance, die Liebe zu bekommen, die ihm zusteht. Der Frau, der er schon vor einer Ewigkeit das Herz geschenkt hat... Er liebt dich, obwohl du ihn abblitzen hast lassen und ich schäme mich dafür, dass ich das nicht habe kommen sehen... Das ich ihn trotz allem zum Gemahl nahm. Tja und wie dankte er es mir?"
Ihre Füße können sie nicht mehr tragen, ihre Beine knicken weg und der Regen zwingt sie zusätzlich in die Knie.
Ich stütze sie, bevor ihre verdrehten, aber dennoch sauberen Kleider den schlammigen Schnee berühren. Als sie sich losreißen will, drücke ich sie an mich. Zuerst zögert sie, doch schließlich versteckt sie ihre geschundene Miene in meinem offenem, nach hinten gelegten Haar. Der Wind peitscht mir jede Strähne einzeln ins Gesicht.
,,Matt hat mir die Liebe und die Zuneigung gegeben, die ich brauchte. Die Liebe und die Zuneigung, die mir eigentlich Patrick hätte schenken sollen... Doch das hat er ja nicht. Nicht mehr. Erst als er fort war, wurde mir klar, dass das mit uns niemals etwas geworden wäre. Ich war nur zu stur, um es einzusehen... Gebrochen, ausgenutzt und allein gelassen brauchte ich also... ein- ein Trostpflaster", jault sie mir ins Ohr und zeigt mir ein gequältes Lächeln.
Ihre Worte scheiden tief in mein Fleisch. Einerseits wird mir gerade klar wie sehr Patrick mich all die Jahre wirklich geliebt hat, andererseits würde ich ihn gerne für seine Dummheit und seine Rücksichtslosigkeit an die Kehle springen.
Ich hinke mit ihr am Arm zu ihrem Wagen, der versteckt und etwas abseits der Straße steht, setze sie hinein und starte den Motor. Da ich keine Lust habe bei Regen und Glätte über 4 Stunden nach Falmouth zu fahren, suche ich ein gemütlich aussehendes Hotel. Um Matthew zu ärgern, checke ich in einem verdammt teuren fünf Sterne Hotel ein und bezahle mit Karte. Spätestens morgen wird kein müder Penny mehr auf diesem Konto sein. Diese Erkenntnis bringt mich zum grinsen.
,,Zwei Zimmer... mit Aussicht... und großem Balkon... und Wellnessbehandlung... jeweils zwei Massagen... mit Chip fürs Schwimmbad, Sauna und Fitnessraum... und Frühstück, Mittag- und Abendessen... Ich bezahle im voraus." Freundlich zwinkere ich dem jungen Mann hinter dem Empfangstresen zu, der meine halbtote Begleitung etwas irritiert mustert.
,,Hat.... zu viel getrunken", lüge ich. ,,Ach ja, könnten sie noch dafür sorgen, dass noch heute Abend ein eisgekühlter Champagner auf unser Zimmer geliefert wird? Danke."
Der junge Mann zieht das Geld von meiner Karte ab, drückt mir unsere Zimmerschlüssel in die Hand und wünscht uns einen schönen Aufenthalt.
,,Ach, das hätte ich fast vergessen! Sind hier drin Tiere erlaubt? Stubenreine?"
Der Mann wendet sich mir nochmal zu; nickt.
Also bringe ich Kyla in ihr Zimmer, klaue mir ihren Autoschlüssel und rette den völlig aufgelösten Filou aus meinem Laden. Die Arbeiter sind bereits gegangen, aber nicht ohne vorher ihren Müll wegzuräumen und die Katzenklappe einzubauen. Deshalb lasse ich Cherry schlafen. Ich schließe meine Boutique wieder ab und lade meinen Hund in den Kofferraum.
,,So mein Süßer!", rufe ich und starte den Motor. ,,Wellness-wochenende!"
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Our Second Chance
أدب المراهقينRoman: Charisma und Patrick haben in ihrem gesamten Leben nur einen einzigen wirklich schweren Fehler gemacht. Sie haben beide für den anderen entschieden. Und sie haben diese Entscheidung nicht im Vorteil für sich getroffen. Sie haben nur an den an...