Champion

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Ich beginne meine Leinwand zu bepinseln und mich dabei an einer von Renée Sintenis' Bronzefiguren zu orientieren, da ich mir vorgenommen habe das Pferd zu malen, das mich über den Haufen gerannt hat. Die Umrisse des rostroten, zu groß geratenen Ponys sind schnell gemalt, dann gehe ich an die Details. Die dürren, knochigen Beine, die spröden, eingerissenen Hufe und die nicht behandelten Striemen an Hals und Brust, die von einer Peitsche oder einem Stock herrühren. Mein Pferd trägt den Kopf hocherhoben und hält ein Vorderhuf angespannt in der Luft. Es strahlt etwas Erhabenes aus. Gefährlich machen ihn die angelegten Ohren, die gekräuselten Lippen und die geblähten Nüstern. Der sichere Stand auf den Hinterbeinen tut sein übriges; er wirkt unbesiegbar und unzähmbar.
Ich hebe die Muskeln und damit auch die gewisse Anspannung mit Lichtreflexen und Schattierungen hervor. Danach kommen Mähne und Schweif dran, was mir um einiges schwerer fällt als erwartet, da ich mit allen Kräften versuche, dass eine wie das andere so dreckig, verknotet und vernachlässigt wie nur möglich aussehen zu lassen.
Theresa und ich beschließen unseren Kunstunterricht zu überziehen, um unsere Bilder fertigzustellen.
Nachdem ich den Körper noch einmal überarbeitet habe, sodass das Tier auf den ersten Blick verwahrlost, auf den zweiten Blick wild und auf den dritten Blick sanftmütig wirkt, mache ich mich an den wichtigsten und zugleich schwierigsten Teil. Die Augen.
Ich pinsel die pechschwarzen Pupillen geweitet. Anschließend kümmere ich mich um den Ausdruck. Sie wirken wild und gehetzt, doch ich möchte, dass sie den gleichen Funken Liebe und Güte haben wie es das Pferd in den Augen hatte, das mich fünf Jahre meines Lebens vergessen hat lassen.
Ich beiße mir die Lippe blutig, doch trotz aller Strapazen, sehen die Augen keinen Deut freundlicher aus.
,,Darf ich?" Theresa beugt sich über meine Schulter, begutachtet mein Werk und verlangt den Pinsel. Ich gebe ihn ihr, da ich kurz vor der Verzweiflung stehe.
,,Bei den Augen ist es immer schwer Gefühle reinzupacken, deshalb wende ich mich immer an die Stelle wo beim Menschen die Brauen sitzen. Die Brauen sind einer der Hauptmerkmale, wenn man Emotionen zeigt. Bist du wütend ziehst du sie zusammen, bist du glücklich wandern sie ein Stück nach oben und wenn du genervt bist ein Stückchen nach unten."
Sie arbeitet die Stelle, wo bei uns Menschen die Augenbrauen liegen, mit einem dunkleren Rot und ein wenig Schwarz heraus, schafft mehr Platz zwischen eben diese Stelle und den Augen, damit sie nicht so streng wirken und lässt die straffen Züge drumherum verschwimmen, damit der Blick des Pferdes geheimnisvoll, aber zugleich auch sanft wird.
Anschließend drückt sie mir den Pinsel wieder in die Hand und ich mache mich an die Hintergrundlandschaft, um mich an unser Überthema 'TierArt' und an unser Unterthema 'Place in Time' zu halten.
Am Ende lässt der vorne leicht angehobene Stand das Pferd mächtig und die Augen und 'Brauen' das Pferd gütig wirken. Die friedliche, grüne Landschaft mit den vereinzelten Bäumen im Hintergrund bietet den perfekten Kontrast zu all der Anspannung, all dem Stolz und all der Verwahrlosung.
Nachdem ich mein Bild, unter größter Begeisterung meines Professors, in den Trockenraum gestellt habe, kann ich mich nicht dazu durchringen, Theresas Werk zu ignorieren.
Wie ich voraus gesagt habe, hat sie einen strahlend hellblauen Himmel und einen leuchtet dunkelblauen See gemalt. An den See grenzt ein großer, dunkler Wald. Ihn und den aufkommenden Nebel nutzt ein winziges Blockhaus als Tarnung. Eine Holzleiter führt zu einen Steg an dem ein kleines, graues Fischerboot angelegt hat. Die Atmosphäre hat etwas geheimnisvolles, fast gruseliges. Der helle Himmel dient als Irritation und Kontrast.
Ich suche das wundervolle Bild, von links nach rechts und von oben nach unten, nach einem Tier ab. Wenn ich keines finden sollte, hätte sie das Thema in gewisser Weise verfehlt.
In dem Moment indem ich die Suche aufgeben will, sehe ich es. Die halb geschlossenen, gelben Augenpaare die aus dem Wald heraus funkeln, der weiße Flügel eines Vogels, der die obere rechte Ecke der Landschaft schmückt und die paar Fische die unter der dunklen Wasseroberfläche lauern.
WOW! Das ist mein erster Gedanke. WOW!
Dieses unheimliche Gefühl, wenn man das Ölgemälde erblickt und der daraufhin einsetzende Schock, wenn man plötzlich das ganze Leben darin entdeckt!
,,WOW", hauche ich erfürchtig. Jetzt weiß ich, warum ich all die Jahre so eifersüchtig auf Theresa war.
,,Danke. Deins ist aber auch schön!" Meine Freundin steht hinter mir. Ihre Stimme hat einen schüchternen Unterton und sie blinzelt auffällig oft.
,,Wie bist du auf die Idee gekommen?", frage ich, knipse das Licht aus und schließe die Tür hinter uns.
,,Mein Vater hat mich oft zu dem Blockhaus mitgenommen und dann sind wir immer auf den See rausgefahren und haben gefischt. Damals hatte ich große Angst vor dem Wald und den Tieren darin", erzählt Theresa und verabschiedet sich mit einem höflichen Nicken bei unserem Professor. Ich tue es ihr gleich und verlasse damit als letzter Schüler den Kunstraum.
,,Was hast du jetzt noch vor?"
,,Ich habe mit meiner Tante ausgemacht, dass ich meinen Dienst im EAZ heute auf sechs Uhr verschiebe, damit ich nochmal zu Jade kann."
,,Warum?" Thersas langes, blondes Haar wippt bei jedem Schritt auf und ab. Mein Schritt hingegen ist eher mechanisch.
,,Reden, reiten... Vielleicht mein geheimes Lager ausräumen. Mal sehen." Ich zucke die Schultern und winke meiner Freundin zum Abschied.

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